Prolog

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,,Nutzlos," zischte Xiao, als er auch noch den letzten Hilichurl mit einem schnellen Angriff niederstreckte. Der Körper des bösartigen Wesens fiel zu Boden und keine Sekunde später war er auch schon verschwunden. 

Lautlos schwang der Yaksha seinen Jadespeer auf den Rücken und verließ den Lagerplatz der Hilichurle. Zum ersten mal in dieser Nacht zeigte sich nun der Mond hinter den Wolken. Er hüllte die felsige Landschaft von Liyue in weißes Licht, gerade hell genug um ein paar Ruinen zu beleuchten, die etwa hundert Meter entfernt lagen. Xiao setzte sich in Bewegung, auf der Suche nach weiteren dämonischen Wesen, die in der Nacht aktiv wurden. 

Es war eine ruhige Nacht. Eine leichte Brise wehte durch die dunklen Haare des Adepten und zog an der Strähne hinter seinem Ohr. Sein Gesichtsausdruck wirkte entspannt, seine Bewegungen waren leichtfüßig und nahezu lautlos. Doch das Verhalten des Yakshas trügt, denn in seinem Inneren herrscht in jeder Sekunde seiner Lebenszeit ein unerträgliches Getöse. Schreie, Rufe, Stöhnen, die Stimmen der Verdammten. Er kann sie jederzeit hören. Und es nur eine Frage der Zeit bis er ihnen ebenfalls zum Opfer fällt. Den Verstand verliert, so wie seine gefallenen Kameraden. Doch solange er seine Rolle des beschützenden Yakshas ausübt, solange er dieses Land unter dem Vertrag mit dem Geo Archon von Bösem befreit, solange wird er auch gegen sein schlechtes Karma ankämpfen. Dies ist die Last, die er zu tragen hat, aber auch der einzige Grund weshalb es sich für ihn zu kämpfen lohnt. 

Bisweilen zumindest. 

Nahe der Ruinen konnte Xiao keine weiteren Monster entdecken, doch als er weiter hinein ging ertönten plötzlich laute Schritte, die sich aus der Ferne näherten. Sie waren langsam und klangen mechanisch. Ein Ruinenwächter kam auf ihn zu und erfasste den Adept mit seinem großen glühenden Auge. Sofort setzte er sich in Bewegung, um die riesige Maschine zu zerstören. Diese zielte mit einigen Geschossen auf ihn, welchen Xiao jedoch ohne Probleme ausweichen konnte. 

Anschließend ging er zum Angriff über. Mit seinem Speer durchstieß er das Auge des Ruinenwächters und traf damit seine Schwachstelle. Die Maschine sackte in sich zusammen und war für ein paar Sekunden Bewegungsunfähig. Diese Gelegenheit wollte Xiao sofort nutzen, um sie mit seinen starken Sprungangriffen zu zerstören, doch als er dazu ansetzte, hielt er plötzlich inne. 

Die Haltung des Ruinenwächters war anders als sonst. 

Jemandem, der diese Maschinen nicht schon zu Tausends beseitigt hatte, wäre es vermutlich gar nicht aufgefallen. Doch es schien so als hätte er etwas in seiner großen Hand, das er mit seinem Körper zu schützen versuchte. Tatsächlich erkannte der Adept sogar bei näherem Hinsehen, dass ein Stück Stoff zwischen den Fingern herausschaute. 

,,Was zum..," sprach Xiao zu sich selbst. Ein Ruinenwächter, der etwas bei sich trug und es sogar versuchte zu beschützen. So etwas hatte er in den Jahrtausenden seiner Lebenszeit noch nie erlebt. Fast machte er nun einen Satz nach hinten, als aus der gleichen Richtung plötzlich ein Kichern erklang. Die Stimme eines Menschen? Nein, eines Babys. 

Der Adept starrte die Maschine vor sich ungläubig an. Lange genug, damit diese sich wieder aufrichten und ihn ins Visier nehmen konnte. Tatsächlich verwendete der Ruinenwächter bloß einen Arm zum Angreifen. Seinen langsamen Bewegungen wich der Adept leichtfüßig aus und studierte das seltsame Phänomen weiter. Schließlich verschwand er auf eine hohe Mauer in der Ruine und beobachtete die Geschehnisse aus der Ferne. Nachdem der Ruinenwächter den Yaksha aus den Augen verloren hatte gab er seine abwehrende Haltung auf und öffnete seine große mechanische Hand. 

Ein Mensch. Warum beschützte er einen Menschen? Normalerweise tötet ein Ruinenwächter alles menschliche, was in seine Nähe kam. Ja, sogar ein wehrloses Baby. Xiao seufzte genervt. Auch wenn diese Maschine versuchte das Kind zu beschützen, er konnte es auf keinen Fall in der Obhut dieses Monsters lassen. Es war viel zu gefährlich. Die Sterblichen sind verletzlich und schwach, sie unterliegen ihrer emotionsgesteuerten Natur. Ganz zu schweigen von ihrem Nachwuchs. Und Menschen fallen nun mal leider in seinen Aufgabenbereich.

Xiao zückte erneut seinen Speer und ging zum Angriff über. Doch er musste vorsichtig sein, damit er das Kind nicht verletzte. 

Schließlich gelang es ihm, das Baby aus den Fängen des Ruinenwächters zu befreien. Dieser ging nun endgültig zu Boden und zerfiel in seine Einzelteile. Der distanzierte Adept stellte einen durchaus eigenartigen Anblick dar, mit dem Kind im Arm und einem nachdenklichem Ausdruck im Gesicht. Das Baby schien von dem ganzen Lärm und Chaos um es herum vollkommen unbeeindruckt zu sein. Stattdessen quietschte es vergnügt und streckte die Hand aus, um nach einer Haarsträhne des Yakshas zu greifen. 

,,Du bist mit Abstand das seltsamste sterbliche Wesen, das mir je begegnet ist," gab Xiao leise von sich, während er das wehrlose, kichernde Baby in seinen Armen betrachtete.

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