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Er blieb stehen, erstarrte fast. Sein Blick wanderte nach oben, als er die Zeiger des großen Uhrenturms auf drei Uhr stehen sah. Es war ein majestätisches Geräusch, was wohl auch die anderen Passanten fanden, denn die Geräusche der Lust um Steven herum erstarben abrupt. Er schaute sich um und stellte zu seiner Verwunderung fest, dass alle aufgehört hatten ihren lüsternen trieben nachzugehen. Sie alle standen an Ort und stelle und schwiegen. Nur ein einzelnes paar, das die Glocken wohl überhört hatte, oder dem es einfach egal war, dass sie geläutete hatten, machte weiter und ließ sich nicht beirren.

Auf einmal erfüllten die Geräusche eines Koria Horns die Straßen. Er hörte schwere Schläge auf dem Boden von weit her kommen und drehte sich um.

Ein gehörnter Flesikas, mit einem Oberkörper geformt wie der eines Hummers und Vier Beinen, die mit Hufen aus einem Stoff, der in der Sonne grün schimmerte und unter seinem grau-gelben Unterkörper hervorstachen.

Er galoppierte über die Straße, blies dabei wie als Warnung in sein Horn. Steven schaute ihm ungläubig hinterher und stellte fest, dass alle Passanten sich am Straßenrand in einer Reihe aufgestellt hatten und nach vorne schauten. Sie alle waren immer noch nackt, doch tat niemand mehr etwas mit dem anderen und alle standen sie einfach nur da und schauten schweigend nach vorne. Nur das eine Paar, das an der Hauswand stand, trieb es immer noch hemmungslos und schien den plötzlichen Sinneswandel der anderen kaum wahrzunehmen. Wie in Trance, gefangen in ihrer Lust, taten sie es weiter, gedrückt an die Wand, die Arme fest umeinander geschlungen, mit dem muskulösen Glied zwischen den Beinen, sich in die eng verschlossene Spalte seiner Partnerin schiebend.

Das Geräusch des Horns ebbte ab, doch stattdessen hörte Steven das Rasseln von Ketten und Schritte auf dem Boden.

Er stellte sich zwischen eine Maleok und einen Lorabat, um zu sehen, wem all die Aufmerksamkeit galt. Aus der Ferne konnte er kaum etwas erkennen, da, obwohl die Straße sehr leer war, seine Sicht durch die Passanten neben ihm eingeschränkt war. Die Geräusche wurden lauter und plötzlich gingen alle um ihn herum auf die Knie (insofern sie denn welche hatten) und schauten zu Boden. Verwirrt darüber was gerade passiert war, ging Steven ebenfalls in die Knie, aus Angst vor seltsamen Blicken, ihm gegenüber, als einziger, der nicht dem herannahenden Etwas durch sein Knien Respekt zollte.

Vorsichtig schaute er nach oben und nun sah er es besser. Es war ein großer, goldener Thron, getragen von einem Reptikas, einer riesigen Amphibie mit einer Größe von mehr als sechs Metern, was selbst bei einer solchen Spezies eine beachtliche Größe war. Wer solch ein Biest ritt, der war entweder ein Meister der Jagt und Dressur, oder konnte sich jemanden leisten, der ihm ein solches Biest fing und dressierte. Nachdem der Reptikas einen goldenen Thron auf seinem Rücken balancierte, war davon auszugehen, dass die Person, die auf diesem saß, eine hohe Position hatte. Vermutlich war es die Person, die alle fünf Städte des Planeten regierte, von denen Sharik am gestrigen Abend gesprochen hatte. Er hörte die Schritte an sich vorbei ziehen, sie vermischten sich mit dem Gestöhne der sich liebenden und blieben plötzlich direkt vor Steven stehen.

Er hielt den Atem an. Was sollte er tun? Hatte er etwas falsch getan? Er starrte weiterhin den Boden an und dachte an seinen Besuch auf Dofak' leos in der achten Galaxie. Er hatte dort schnell gelernt, dass man dem dort herrschenden König Bludiras Shekloma, besser gehorchte. Hatte man sich dort nicht verbeugt, wenn er an einem vorbei ging, so wurde man unverzüglich festgenommen und in seinen Keller gesperrt, wo nur die heraus kamen, die sich in einem wöchentlichen Kampf beweisen konnten. Wer verlor, merkte man daran, dass er starb. Die einzigen Schlüssel aus seiner Arena waren der Sieg und der Tod.

Er hatte daraus gelernt, hatte vier andere Gefangene erschlagen müssen, hatte sich mit ihrem Blut beflecken müssen, hatte sie auf grausame Art zu Tode würgen müssen, ehe er es geschafft hatte zu entkommen.

Das Gefühl, er könnte etwas falsch gemacht haben, beschlich ihn nun auch wieder. In dem Moment, in dem die Ketten vor ihm zu klirren aufgehört hatten, als er schritte, nur Zentimeter vor sich vernommen hatte, da war ihm für einen kurzen Moment das Herz stehen geblieben.

Er atmete aus, die Schritte entfernten sich und er traute sich, den Kopf ein kleines Stück weit zu heben. Link und rechts neben ihm, hatten die Maleok und der Lorabat die Köpfe immer noch gesenkt, die pure Entsetzung in ihren Gesichtern, die Angst auf der Stirn.

Steven sah, wie ein großer ansässiger der Rabrat von Cladrak' his vom großen Reptil abgestiegen war und auf die beiden sich liebenden zuging. Der Anblick der Tentakel, die dem rotgesichtigen Wesen vom Kinn hingen, zu einem Zopf zusammengebunden, brachte Steven dazu, zurück an die drei Tage zu denken, in denen er auf Cladrak' his gefangen war, keine Chance hatte zu entkommen und die Hoffnung schon fast aufgegeben hatte.

Es war ein Rabrat, wie der, der ihn von dem Planeten weggeholfen hatte. Der ihn zu seinem Chef geführt hatte, der wütend geworden war, weil er nicht seinen Anweisungen gefolgt war. War sein Chef wütend auf ihn, weil er auf Nemolonia gelandet war? Weil er, schon wieder, seine Anweisungen missachtet hatte?

Er hörte, wie der Rabrat vor dem Pärchen an der wand stand und etwas unverständliches sagte. Er hörte daraufhin, wie die weibliche Person, ebenfalls etwas erwiderte und darauf anfing zu lachen. Das Lachen verstummte augenblicklich, als es sich in einen Schrei verwandelte.

Schritte.

Nach links und nach rechts.

Ein Schuss.

Zwei Schüsse.

Wieder Schritte, diesmal langsamer.

Nur wenige Zentimeter vor ihm, hörte Steven etwas schweres auf den Boden fallen. Zitternd vor Angst, traute er sich nicht, aufzublicken um zu schauen, was das war.

Die schweren Schritte des Reptikas ertönten wieder und entfernten sich langsam. Als sie außer Hörweite waren, schaute Steven langsam wieder auf. Niemand war mehr da. Alle waren gegangen. Auf der Straße, dort wo er gekniet hatte, lag vor ihm die Leiche des jungen Schlokula Weibchens, das ihn durch ihre leeren, vollständig ergrauten Augen heraus anstarrte. Auf der gegenüberliegendes Straßenseite, sah er die Leiche des Männchens. Er lag stumm auf der Straße, niemand war da, als wäre nichts passiert. Wieso hatte niemand geholfen? Wieso kümmerte sich niemand um die Toten?

Vermutlich waren diese Fragen damit zu beantworten, dass solche Dinge häufiger passierten und die Leute es schon einfach gewohnt waren. Sie würden alle nach Hause gehen, sich befriedigen lassen und den Tag leben bis er zu Ende war. Dann würden sie schlafen gehen und der nächste Tag würde wieder von vorne beginnen. Langsam ging Steven die Straße zurück, von der er gekommen war.

Er wusste, weshalb die Straße um drei Uhr leer war.

Er wusste, wieso sein Chef ihn gebeten hatte, den Planeten zu meiden.

Er wusste, dass er das alles seinem Bruder erzählen musste.

Nemolonia - Planet der ungezähmten LüsteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt