13.

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Er rannte immer weiter, wusste nicht wohin, wollte einfach nur weg. Er rannte durch die reich belebten Straßen, in eine Seitenstraße, presste sich an einem Pärchen vorbei, rannte weiter. Der unebene Boden schmerzte unter seinen Füßen und er stolperte, brach sich dabei die Zehennägel ab, rannte jedoch immer weiter. In einer Seitengasse bleib er stehen, wusste nicht wo er war. Als er sich umschaute, sah er nur alte Wohnhäuser, streunende Tiere und kaputte Geräte, die überall in der Straße lagen.

In welchem teil der Stadt war er? Wie weit war er von dem Hotel weg?

Letzteres konnte er beantworten, indem er lauschte. Er war schon so weit gelaufen und so tief in die Stadt hinein, dass er nicht einmal mehr das Stöhnen der Straßen vernahm.

Das Pärchen, an dem er sich vorbei gezwängt hatte, waren die letzten beiden Wesen, die ihre Lust aufeinander auslebten, die Steven gesehen hatte.

Er ging weiter, diesmal langsamer, rannte nicht mehr so schnell wie vorher. Die Nacht war warm, doch kam ein kühler Luftzug durch die Gasse geflogen und bescherte ihm eine Gänsehaut. Es war kein Licht mehr zu sehen und kein Stöhnen mehr zu hören. Nur noch er selbst und die Silhouetten von streunenden Tieren und Mülltonnen.

Sein Weg führte ihn weiter durch die Gasse, bis er schließlich in weiter Ferne wieder Lichter erkennen konnte, die durch ihre bunten Farben zweifelsohne auf weitere Bordelle und Sexshops schließen ließen.

Als er näher kam, setzte das Stöhnen der Straßen wieder ein, lauter, durchdringender.

Er stand am Rande der Straße, war nackt, mit blutig gelaufenen Zehen und trockenem Schweiß auf der Stirn.

Links von ihm, lehnte an einer Hauswand eine Vielusra und ließ sich von der gespaltenen Zunge einer Kauetza befriedigen. Der Anblick, wie sie dort hockte, auf Knien vor der Vielusra, ihre Zunge zwischen den kurzen Beinen, wie sich die Krallen der Vielusra auf dem Boden zusammenzogen und dort Kratzspuren hinterließen, ließ bei Steven die Erinnerungen wieder wach werden.
Die Hände der Vielusra, zu Fäusten geballt, von dicken, roten Adern durchzogen, erinnerten ihn an seine eigenen Hände, wie sie vor langer Zeit gewesen waren.

Zahnreihen, lang und spitz, blitzten auf, als sie ihren Mund zu einem Lachen öffnete. Es sah aus, wie damals, als er das selbe erlebt hatte.

Wie damals in der neunten Klasse.

Wie damals, als er an ihrer Stelle gestanden hatte, die Hände zu Fäusten geballt, an den Einlagen seiner Schuhe mit seinen Zehen gerieben, die Zunge von Jinatles zwischen seinen Beinen, lang, in hellem rot, feucht wie ein Meer aus zähflüssigem Wasser, das den salzigen Geschmack seiner Männlichkeit aufgenommen- mit dem ihrigen Saft vermischt und heruntergeschluckt hatte.

Ihr Gesicht hatte ausgesehen wie das der Vielusra, getrieben von Wollust, gezeichnet durch Verlangen.

Würde es der Vielusra genau so gehen wie Steven, oder würde es ihr ergehen wie Jinatles?

Jinatles hatte damals, als sie mit Steven zusammen im Wald gewesen war, für einen Moment so gewirkt, als würde sie mit ihm tatsächlich etwas wie Lust empfinden, als würde sie wirklich etwas an ihm spüren, asl würde sie es sich anders überlegen. In ihren Augen lag ein Glanz, als sie zu ihm hochgeschaut hatte, ein Schimmern, das ihre Begierde nach ihm ausstrahlte und zeigte, sie wolle mit ihm auf ewig in den Tiefen des endlosen Verlangens versinken und ihn dort niemals loslassen.

Steven drehte sich um, dann ging er. Er ging, nackt wie Gott ihn schuf die Straße entlang, vorbei an all den glücklichen Gesichtern, die Pure Lebenslust ausstrahlten, all ihre unterdrückte Lust aus sich heraus schrien und sich dabei berührten, wie man es ihnen niemals sonst erlaubt hatte. Es war ihre Lust, die Steven krank machte, es war ihr endloses, unstillbares Verlangen nach einander, das ihn wahnsinnig werden ließ.

Neben einer der wenigen leeren Bänke blieb er stehen und schaute ein letztes Mal nach rechts. Eine kleine Gesjedro saß auf einer Bank gegenüber, ihr Bauch war riesig. Sie war schwanger und es war unverkennbar, dass sich unter ihrer Wüsten gelben haut, ein kleines Wesen befand, dass an die Oberfläche des Planeten wollte. Es wollte ein Teil von Nemolonia werden, ein Teil der Gesellschaft. Ein Teil von dem Planeten der ungezähmten Lüste. Vor ihr hockte ein Givarta, seine langen Hände ausgestreckt in Richtung der Gesjedro. Seine Finger wirkten, als würden sie in alle Himmelrichtungen wehen. Sein silbernes Haar, das die Hälfte seines Oberkörpers bedeckte, wirkte anmutig im Schein des Mondlichts.
Ein Schrei war zu hören. Unverkennbar der Schrei eines kleinen Kindes. Welcher Gattung es angehörte konnte Steven nicht sagen, doch als er sich setzte sah er, wie der Givarta etwas unverständliches zu der Gesjedro sagte, dann, als wäre es eine Trophäe, das Kind in den Himmel streckte und der Gesjedro aushändigte.

Sie saßen dort, Steven direkt gegenüber. Trotz dem Abstand von vielen Metern, konnte er sehen, wie glücklich sie waren, wie froh sie waren, ihr Kind bekommen zu haben.

Die Mutter, lächelnd. Das glücklichste Weibchen der Welt. Wenn auch nur für einen Moment, doch war sie glücklich wie vermutlich niemals zuvor.

Der Vater, stolz darüber, aus seinem Samen, dem Elixier des Lebens etwas geschaffen zu haben, das nicht nur ihn, sondern auch seine Frau zu den glücklichsten Menschen aller Zeiten machte. Ein großes, starkes Männchen, dass es geschafft hatte.

Es.

Steven beugte sich nach vorne, und kotzte auf den Boden.

Er schlug die Augen wieder auf, weil er unsanft von den weichen Händen von Sharik' miil gerüttelt wurde.

Langsam wurde es um ihn herum wieder klarer und er konnte wieder sehen, was um ihn herum passierte.

„Oh dem großen Wlaretis sei Dank, du lebst noch."

Steven blickte sich um und sah, dass die Zahl der Passanten abgenommen hatte. Es war dunkler geworden und er fror, lag auf der Bank, den Fleck von seinem Erbrochenem auf dem Boden, die Reste auf seinen Füßen klebend.

„Was ist passiert?", fragte ihn Sharik aufgelöst und gebot ihm, ein Stück weit zu rutschen.

Steven schaute sich um, sah das das Pärchen von der anderen Straßenseite verschwunden war und lehnte sich zurück. „Ich konnte einfach nicht mehr", stammelte er so gut es ging und legte die Hände in seinen Schoß, den Blick nachdenklich in den Himmel gerichtet.

„Schon gut, schon gut", beruhigte ihn Sharik und hielt ihm seinen Mantel hin.

„Ich hab dir deinen Mantel mitgebracht, du erfrierst hier draußen noch wenn du nicht bald was warmes anziehst."

Steven stand auf, zog sich den Mantel über, dann ließ er sich wieder auf die Bank sinken. Mit „Vielen Dank, Sharik", bedankte er sich freundlich und drehte seinen Kopf zu ihr. Es war das erste Mal, dass er sie in Kleidung sah. Sie sah wunderschön aus, wie sie immer ausgesehen hatte, immer aussehen würde. Sie trug selbst einen Mantel, in einem zarten beige Ton. Die Tentakel, die ihr wie haare vom Kopf hingen, lagen ihr auf den Schultern, bildeten einen schützenden Wall zwischen sich und der Welt hinter ihr. Sie hatte hohe Stiefel an, aus denen ein kleines Stück weit ihre Beine hervor schauten, bis die lüsternen Blicke jedoch von ihrem sündhaft kurzen Rock gehalten wurden.

Aus Augen, strahlend blau wie die tiefe Nacht blickte sie ihn besorgt an, griff langsam seine Hand und sagte: „Komm mit. Ich habe dich eine Stunde lang gesucht, dachte schon du wärst aus der Stadt verschwunden."

Langsam stand Steven auf, ließ sich von Sharik durch die Straßen führen. Sie drehte sich noch einmal zu ihm um, dann sagte sie: „Lass und zu mir nach hause gehen. Erzähle mir was passiert ist und warum du einfach abgehauen bist, dann schauen wir weiter, ja?"

Steven nickte stumm, dann setzten sie den Weg fort.

Nemolonia - Planet der ungezähmten LüsteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt