Teil 1

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Clara

Es war ein warmer Frühlingstag im Mai. „Was wollen wir heute machen, Larissa? Worauf hast du Lust?" fragte ich meine Tochter. Der Kindergarten hatte heute geschlossen und somit wollten wir zwei etwas Schönes unternehmen und einen Ausflug machen. Wir wollten die letzten freien Tage, die Larissa noch im Kindergarten war ausnutzen, denn im August würde sie in die Schule kommen. Wahnsinn wie schnell die Jahre vergangen waren. Ich erinnerte mich noch ganz genau daran, wie der Tag gekommen und Larissa auf die Welt gekommen war. Das waren jetzt fast sechs Jahre her. Sie war mittlerweile ein so großes und kluges Mädchen geworden. Ich schaute sie an und lächelte. Sie stand gerade nur in Unterwäsche bekleidet vor dem Waschbecken im Badezimmer und wollte sich die Zähne putzen. Ihre langen braunen Haare, die ihr bis zur Hüfte reichten, standen wild in alle Richtungen ab. Ich musste erneut lächeln, schaute in den Spiegel und stellte fest, dass ich nicht besser aussah. Meine rotblonden Haare, die ebenfalls hüftlang waren, sahen auch aus, als hätten sie heute Nacht eine wilde Party gefeiert. Mein Gesicht war noch gekennzeichnet von Falten, die es sich in der letzten Stunde vom Kissen geholt hatte und meine blauen Augen hatten noch nicht ihre Farbe angenommen, wie sie den Tag über sonst meine Mitmenschen anleuchteten. „Mama, können wir heute vielleicht in den Zoo fahren?" fragte sie aufgeregt und schaute mich grinsend über den Spiegel an. Ihre braunen Augen funkelten förmlich und ihr bezauberndes Lächeln ließ mein Mutterherz einen kleinen Hüpfer machen. Ich war unheimlich stolz und froh, dass es Larissa in meinem Leben gab. Kein Tag mit ihr wurde langweilig. Sie brachte mich immer wieder zum Lachen und dafür war ich unendlich dankbar. Kinder waren eine Bereicherung und dank ihr hatte ich ein wundervolles Leben. Um glücklich zu sein fehlte es mir eigentlich an nichts. „Okay, lass uns in den Zoo fahren!" lächelte ich begeistert und ihr kleiner, zierlicher Körper hüpfte aufgeregt im Badezimmer umher. „Aber dann sollte ich mich jetzt wohl mal fertig machen. Nicht, dass die Leute im Zoo denken, ich sei aus dem Pandabären Gehege ausgebüxt." „Mama, im Kölner Zoo gibt es keine Pandabären!" sagte sie neunmalklug. „Du Fuchs!" Ich nahm sie fest in den Arm und drückte ihr einen Kuss auf die Stirn. Sie rannte in ihr Zimmer, um sich ein Kleid aus dem Kleiderschrank zu holen, welches sie dann anzog. Wir machten uns gemeinsam im Badezimmer fertig und frühstückten anschließen gemütlich. Nachdem wir uns noch etwas zu Essen und zu Trinken eingepackt hatten, machten wir uns kurze Zeit später mit dem Auto auf den Weg nach Köln zum Zoo.

Paddy

An diesem Morgen war ich schon sehr früh auf den Beinen. Das war eigentlich gar nicht üblich für mich, denn normal schlief ich immer bis mindestens 10 Uhr. Allerdings hatte mich der Streit gestern Abend mit Joelle sowieso kaum schlafen lassen. Ich war ins Gästezimmer gegangen, damit jeder seine Ruhe haben konnte. Außerdem fand ich es falsch nach diesem Streit mit ihr ein Bett zu teilen. Ich konnte es immer noch nicht fassen. Es war mal wieder das allgegenwärtige Thema aufgekommen.

Auslöser dieses Streits war ein Testergebnis. Ich hatte mich testen lassen, ob es vielleicht an mir lag, dass Joelle bisher noch nicht schwanger geworden war. Das Ergebnis war eindeutig. Ich war kerngesund und nichts stand mir im Wege, um ein Kind zu zeugen. „Ich war beim Arzt und habe mein Sperma testen lassen, Joelle! Es ist alles in Ordnung, ich kann Kinder zeugen hat der Arzt gesagt. Willst du dich vielleicht auch mal testen lassen und gucken, ob alles in Ordnung ist?" „Du hast was?" fragte Joelle mich total entsetzt und stellte ihr Weinglas mit voller Wucht auf den Couchtisch. Ihre Reaktion überraschte mich ein wenig. War es nicht normal, dass man auch diesen Schritt machte wenn es seit Jahren nicht klappte mit dem schwanger werden. Ließen sich Mann und Frau dann nicht untersuchen, ob alles in Ordnung war? „Ich habe mich untersuchen lassen! Ich bin kerngesund, mein kleinen Freunde auch. Es sollte also kein Problem sein, ein Kind zu zeugen! Aber vielleicht ist bei dir etwas nicht in Ordnung?" sagte ich leise, da ich sie nicht verletzen wollte. Aber kaum hatte ich das ausgesprochen, schrie sie mich an. „Das ist nicht dein Ernst, oder? Du glaubst, dass mit mir etwas nicht stimmt, dass ich der Grund bin, weshalb ich nicht schwanger werde?" Sie machte ihrem Ärger Platz und schnaubte durch ihre Nase. Ihre Nasenflügen fingen dabei immer leicht an zu beben wenn sie richtig sauer war und ihre Wut raus lies. „Es kann doch sein!" kam es kleinlaut von mir. „Aber vielleicht machen wir uns ja auch ..." Weiter kam ich nicht, da sie mich unterbrach. „Michael Patrick Kelly, mit mir ist alles bestens in Ordnung! Ich bin ebenfalls kerngesund, auch ich habe mich untersuchen lassen. Aber ich will das einfach nicht, ich will keine Kinder! Nicht mit dir und auch mit niemand anderem! Ich möchte meinen Körper nicht verunstalten für ein Wesen, was mich dann nächtelang nicht schlafen lässt und mir seine Milch, welche es zuvor aus meinen überdimensional angewachsenen Brüsten gesaugt hat, auf die Bluse spuckt! Ich habe mich letztes Jahr sterilisieren lassen!"  Da saß  ich nun mit dieser Information, die sie mir gerade vor die Füße warf und es fühlte sich an wie eine heftige Ohrfeige. Erst nach und nach kam die Information bei mir vollständig an. „Du hast was?" fragte ich sie ruhig, denn ich konnte es nicht fassen. „Du hast dich letztes Jahr sterilisieren lassen, ohne vorher mit mir darüber zu reden?" „Es ist mein Körper, mit dem kann ich tun und lassen, was ich will!" verteidigte sie sich. „Natürlich kannst du das! Aber wäre es nicht angebracht gewesen, mich vorher darüber zu informieren? Oder findest du es toll, dass ich tagtäglich darauf hoffe, dass du endlich schwanger wirst und ich jedes Mal aufs Neue enttäuscht werde? Macht es dir Spaß, mich so zu verletzen?" schrie ich jetzt ebenfalls und  sie schaute mich überrascht an. Wahrscheinlich hatte sie seit ihrer Entscheidung sich sterilisieren zu lassen kein einziges Mal an mich gedacht, wie es mir dabei geht. „Und was soll das heißen, du willst kein Kind mit mir?" Das hatte mich wirklich sehr verletzt. Ich hatte immer gedacht, dass es ein gemeinsamer Wunsch von uns war, dass wir eines Tages Eltern werden würden. Aber da hatte ich mich wohl getäuscht. Dass sie sich einfach so hatte sterilisieren lassen, ohne mit mir vorher darüber zu reden, das war ein sehr großer Vertrauensbruch. War es sinnvoll eine Ehe aufrecht zu erhalten, in der es kein Vertrauen mehr gab? Wir hatten uns vor Gott die ewige Treue geschworen. In guten wie in schweren Tagen. Aber dies heute war ein verdammt nochmal richtig schwerer Tag! Wollte Gott, dass ich mit einer Frau zusammen lebte und eine Ehe führte, in der es kein Vertrauen mehr gab? Wollte er wirklich, dass ich in meiner Ehe unglücklich werden sollte? Wollte er, dass ich  mit einer Frau zusammen bleibe, die auf einmal andere Vorstellungen von einer gemeinsamen Zukunft hatte als ich? Scheinbar hatten wir schon seit längerer Zeit eine andere Vorstellung einer glücklichen Ehe geschweige denn einer gemeinsamen Familie. Ich schaute sie an. Unsere Blicke trafen sich und sie entdeckte wohl gerade die tiefste Enttäuschung aus meinen Augen blitzen und seufzte. „Ich gehe ins Bett. Ich schlafe im Gästezimmer. Ich muss alleine sein und darüber nachdenken! Du hast mich damit sehr verletzt und ich muss mir klar werden, was ich nun für meine Zukunft will!" sagte ich und verschwand aus dem Wohnzimmer. Sie versuchte gar nicht mich aufzuhalten. Schade um meinen Wein, den ich extra für diesen Abend besorgt hatte aber ich hatte ihn nicht angerührt. Jetzt stand er kurz vor der Besichtigung unseres Abflussrohrs in der Küche.

Ich holte mir mein Bettzeug aus dem Schlafzimmer, zog mich um, machte mich im Badezimmer fertig und legte mich ins Bett. Lange hatte ich noch das Nachtlicht an und lauschte den Geräuschen der lauten Stadt, die unter uns nur langsam zur Ruhe kam. In München wurde es nachts nie ruhig. Hier war alles so laut und schnell. Ich brauchte einen Ort, wo ich ich sein konnte. Wo ich nicht ständig Angst haben musste, von Fans erkannt zu werden. Joelle wollte unbedingt in die Stadt ziehen, damit sie es, wenn ich auf Tour und sie alleine war, nicht so weit zur Arbeit hatte und sich abends mit Kollegen und Freunden treffen konnte.  Auch etwas, was nur auf ihren Wunsch hin beschlossen wurde. Immerhin hatten wir das vorher wenigstens gemeinsam besprochen, auch wenn ich nicht begeistert war. Ich vermisste so sehr unser Haus auf dem Land. Aber die Aussage über die Sterilisation hatte mich wie ein Panzer überfahren. Eine einzelne Träne bahnte sich ihren Weg über meine Wange, bis sie letztendlich in der Grube oberhalb meines Schlüsselbeins versiegte.

Ich nahm mein Handy in die Hand und schrieb Joey eine Nachricht.

Hey brother! How are you? Kann ich euch besuchen kommen?

Es dauerte nicht lange, bis ich eine Antwort erhielt.

Hi Paddy, yes of course! Wann willst du herkommen?

Morgen?

Oh, das ist kurzfristig. Ich bin morgen noch in Berlin. Hab ein Interview. Aber Tanja ist da, ich denke es ist okay wenn du morgen kommst. Gegen Abend bin ich auch zurück! Ist alles okay?

Prima, danke! Können wir morgen reden?

Alles klar Kleiner, wir sehen uns morgen!

Ich legte das Handy bei Seite und starrte wieder an die Decke. Es war ruhig und auch von Joelle war nichts mehr zu hören. Ich hatte die leise Hoffnung, dass sie vielleicht weinen würde, dass es ihr leidtun würde. Aber da war nur noch Stille in der Wohnung. Wenn ich morgen Früh zu Joey fahren wollte, dann musste ich langsam schlafen. Ohne Schlaf konnte die Fahrt von knapp 6 Stunden gefühlt eine Ewigkeit dauern. Ich schaltete die Nachttischlampe aus und drehte mich um. Immer wieder hallte das Wort Sterilisation in meinem Kopf herum. Ich war wirklich sehr enttäuscht von Joelle. Irgendwann schlief ich dann doch ein, hatte aber einen sehr unruhigen Schlaf mit wilden Träumen.

Als ich am Morgen in die Küche kam, war Joelle gerade zur Tür raus und auf dem Weg zur Arbeit. Ich legte ihr einen Zettel hin.

Joelle, ich fahre zu meinem Bruder! Ich weiß noch nicht, wann ich zurückkomme! Du hast mich sehr verletzt! Ich weiß nicht, ob unsere Ehe so noch eine Chance hat! Bitte ruf mich nicht an und lass mich eine Weile alleine darüber nachdenken! Danke! Paddy

Ich zog die Tür hinter mir zu, stieg in der Tiefgarage in meinen Wagen und fuhr los. Während der Autofahrt dachte ich viel nach. Als ich Joelle das Ja-Wort gegeben hatte, da wollte ich geliebt werden. Ich wollte mich bei ihr aufgehoben, verstanden und umsorgt fühlen. Natürlich hatten wir viele Jahre eine harmonische Ehe geführt und ich war sehr glücklich darüber, sie an meiner Seite zu haben. Wir waren füreinander da und hatten uns gegenseitig Halt gegeben. Ich war oft auf Tour und nahm viele Termine wahr, aber die Zeit, in der ich dann zu Hause war, nutzten wir umso intensiver. Wir hatten auch wunderschöne Urlaube zusammen erlebt und hatten es uns auf unserem kleinen Hof richtig heimisch gemacht. Jede Phase der Ehe legt uns Aufgaben und Anforderungen auf. Nach der ersten Verliebtheit muss die Partnerschaft zusammen weiterentwickelt werden. Nur so lässt sich eine erfüllte Liebesbeziehung entwickeln, die auch  standhält. Kleine Zweifel an der Ehe können durchaus normal sein denn sie gehören halt dazu. Aber waren das hier noch kleine Zweifel? Diese tiefe Verbundenheit, die einst zwischen Joelle und mir dominiert hatte, war auf einmal weg! Wenn ich zurück denke, dann fing das an, als Joelle den Wunsch geäußert hatte, in die Stadt zu ziehen.

Niemand tritt durch Zufall in dein LebenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt