•1•

743 16 0
                                    

„Das ist mein Fenster

Hoppla! Dieses Bild entspricht nicht unseren inhaltlichen Richtlinien. Um mit dem Veröffentlichen fortfahren zu können, entferne es bitte oder lade ein anderes Bild hoch.

Das ist mein Fenster. Eben,
bin ich so sanft erwacht.
Ich dachte, ich würde schweben,
Bis wohin reicht mein Leben,
und wo beginnt die Nacht?

Ich könnte meinen, alles
wäre noch ich ringsum,
durchsichtig wie eines Kristalles
Tiefe, verdunkelt, stumm.

Ich könnte auch noch die Sterne
fassen in mir; so groß
Scheint mein Herz, so gerne,
ließ es ihn wieder los
."

Gedankenverloren schaue ich aus dem großen Busfenster, während ich mit meinen Kopfhörern, Rilkes Worten lausche.
Mit ihren Worten im Ohr, beobachte ich, wie die großen, von Schneebehangenen Berge an mir vorbeiziehen. Der morgendliche Nebel hängt noch immer über diesen und verdeckte ihre, in den Himmel ragende, Spitze.

Doch nicht mehr lange und man würde ihre volle Schönheit betrachten können. Eindrucksvoll kämpft sich die Sonne durch die Wolken- und Nebeldecke. Erste Sonnenstrahlen kündigen einen bezaubernden Tag an.

Seufzend schließe ich die Augen und lehne meinen Kopf gegen die Lehne des Sitzes. Wohltuend wärmen die Sonnenstrahlen meine blasse Haut.

Was bin ich unter diese
Unendlichkeit gelegt,
duftend wie eine Wiese,
hin und her bewegt,

rufend zugleich und bange,
daß einer den Ruf vernimmt,
und zum Untergange,
in einem Andern bestimmt
."

Als das letzte Wort von Rilkes Gedicht erklang, ertönt eine leise und zutiefst melancholische Melodie, die meine Gedanken vertiefen.
Eine kleine Träne bahnt sich meine Wange hinunter, bevor ich ihren salzigen Geschmack auf den Lippen spüren kann.

In dem Gedicht, gleicht die Welt der Frau einer einsamen und dunklen und nie bemerkte sie dieses. Doch dann betritt Er ihr Leben und alles ändert sich. Sie beginnt zu leben und die Dunkelheit hinter sich zu lassen.
Vielleicht kann ich mich eines Tages erneut hoffnungslos verlieben und die Dunkelheit hinter mir lassen, in die mich Weston und mein Vater gestürzt hatten.

Brighton ist der erste richtige Schritt um neu zu beginnen. Dort kann ich etwas errichten, abseits von meinem Vater und seinen Fehlern, die ich zu spüren bekam.
Alles was ich aufbauen kann, würde nur mir allein gehören. Der neue Start liegt direkt vor mir. Ich würde lügen zu behaupte, ich habe keine Angst davor. Denn diese Angst habe ich, aber die Hoffnung endlich ein neues Kapitel in meinem Buch aufzuschlagen, ist um einiges größer.

Bei der Aussicht aus dem Fenster wird diese Hoffnung, durch eine Menge Freude ergänzt.
Seitlich der Straße sehe ich bereits die ersten Häuser, die den kleinen Vorort von Brighton bilden. Ihre Dächer sind genauso Schneebedeckt wie die Landschaft. In der Sonne glänzt der Schnee, wie kleine funkelende Kristalle.

Aus den Schornsteinen der Häuser steigt der Qualm der Kamine auf. Die Vorstellung eines wohligen warmen Feuers und einem heißen Frappuccino mit Sahne, lässt mich leise Seufzen.
Seit Stunden bin ich bereits unterwegs, völlig durchgefroren, da meine Jacke viel zu dünn für diese Temperaturen ist. Hätte ich mir den Reiseführer für Brighton und Umgebung genauer durchgelesen, wäre meine Winterjacke mit mir mitgekommen.

Neben der Kälte bin ich zudem hungrig, da ich in der Eile nur ein trockenes Brötchen und einen Apfel einpacken konnte. Beides ist schon lange verputzt wurden.
Bald aber werden wir da sein und ich kann mich von meinem Ersparten ein Frühstück kaufen. Bei dem Gedanken an einen frischgebackenen Blaubeermuffin mit Butterstreuseln und Zimt, knurrt mein Magen laut auf. Dafür ich würde ich alles stehen und liegen lassen.
Von meinen Schwärmereien habe ich verpasst, dass wir den Vorort hinter uns gelassen hatte und in Brighton einfahren.

„In Kürze erreichen wir unsere Haltstelle, den Bahnhof. Ich wünsche Ihnen einen schönen Aufenthalt. Denken sie an ihr Gepäck und lassen sie nichts zurück", ertönt die Stimme des Busfahrers.
Augenblicklich packen die anderen Mitfahrenden ihre Sache zusammen und zappeln unruhig auf ihren Sitzen.
Aufgeregt zupfen die Kinder an den Ärmeln ihrer Eltern und pressen ihre Finger gegen die Scheibe. Als ob sie einen besseren Blick gewinnen würden, drücken sie ihr Gesicht an das Fenster, woraufhin diese beschlägt.

Schmunzelnd beobachte ich sie, bevor ich einen Blick auf die anderen Leute warf. Die meisten im Bus sind Touristen mit Kindern. Für sie scheint die Reise das Highlight des Jahres zu sein, welches bald vorüber sein würde.
Unter den Touristen sitzen noch ein paar wenige Studenten im Bus, doch die meisten werden mit ihren Eltern anreisen.

Den Reiseführer für Brighton hatte ich in Gibswell, meiner Geburtsstadt, gefunden und mich sofort verliebt.
Sie ist keine große Stadt, aber auch alles andere als klein. Vor allem im Winter soll sie voll mit Menschen sein, denn dann beginnt die Ski- und Snowboard Session und die Wintersemester starteten.
Die Universität lockt besonders viele junge Leute nach Brighton, denn diese ist bekannt für ihren guten Ruf und den ausgezeichneten Lehrgängen.
Die Universität ist ein weiter Grund, warum ich mich für diese Stadt entschied. Hier kann ich mein neues Kapitel beginnen und abtauchen vor meiner Vergangenheit. Vielleicht finde ich hier ein neues Zuhause, in welches ich mich verlieben kann.

Mit einem leichtem Ruckeln kommt der Bus zum Stehen. Neugierig blicke ich aus dem Fenster. Wir waren nicht im Stadt inneren, sondern am Bahnhof, doch der Anblick überwältigt mich bereits jetzt. Überall stehen kleine Backsteinhäuser, die mit verschiedenen Ornamenten geschmückt sind. Eine Vielzahl der Häuser sind kleine Geschäfte. Über den Läden hängen Holzschilder, auf denen die Namen der Läden geschrieben sind. Fest nehme ich mir vor, diese allemal abzuklappern.

Lichterketten sind ich Bäumen gewoben und verstärken die wohlige Atomsphäre. Von weitem kann ich einen Glockenturm sehen, der zu der Kirche Brightons gehören muss.
„Ich wünsche einen angenehmen Aufenthalt", grüßt der Busfahrer, bevor sich die Türen öffnen.
Sofort werden die Taschen gepackt und die Leute drängen lautstark quatschend aus dem Bus, wobei sie sich mehr schieben, als zu bewegen.
Tief holte ich Luft. Sobald ich den Bus verlassen würde, gibt es kein Zurück mehr, nur ein Geradeaus.
Doch dahin will ich.

Entschlossen richte ich meine Brille zurecht, ziehe mir meine Kapuze über den Kopf, bevor ich meine Jacke übersteife und mitsamt meines Rucksacks aussteige.
Augenblicklich versinken meine Turnschuhe in der leichten Schneedecke. Unangenehm nässt der Schnee meine Socken. Vor einer dicken Jacke sollte ich mir neue Schuhe kaufen.
Mit meinen Fingern halte ich meine Kapuze fest, die von dem eisig kalten Wind immer wieder von meinem Kopf geblasen wird. Zitternd stelle ich mich an der Kofferausgabe an, wo sich die meisten Leute bereits angestellt hatten oder schon Koffer und Skier entnommen haben. Nach und nach strömen sie zu ihren Hotels oder in die Innenstadt.
Unter meinen Kinn ziehe ich die Strippen meiner Kapuze zusammen, sodass ich meine Finger von der Kapuze lösen kann und meine warme Luft in meine Hände hereinblase. Schneidend zieht der Wind durch meine dünne Jacke hindurch und lässt mich ununterbrochen zittern.

„Ich freue mich so sehr auf die Stadt!", ruft eine junge Frau zu ihrem Freund und greift freudestrahlend nach ihren Koffern, bevor sie mir den Weg freimachen.

Im Gegensatz zu den anderen im Bus, habe ich nur eine einfache Sporttasche. Die Sachen würden vorerst ausreichen.
Als ich endlich meine Sporttasche in der Hand halte, drehe ich mich in Richtung Stadt, wo auch das Studentenwohnheim sein soll.
Eigentlich will ich nicht in das Wohnheim einziehen, aber finanziell habe ich keine andere Wahl. Eine eigene Wohnung lässt mein Budget nicht zu und selbst das Wohnheim kratzt ordentlich an meinem gespartem Geld.

Dennoch schlägt mein Herz immer kräftiger, als wolle es mir aus der Brust springen. Ich war von Zuhause weg und in Brighton angekommen. Dabei sieht es genauso bezaubernd aus wie in meinem Reiseführer.

Das alles fühlt sich unreal an, ebenso wie ein wunderschöner Traum.
Aber es ist kein Traum, sondern die Realität. Brighton liegt vor mir, wie meine Zukunft. Noch nie war sie greifbarer als in diesem Augenblick.
Voller Vorfreude stapfte ich durch den Schnee und folge den Holzschildern, die den Weg zeigen.
Vielleicht begegne ich sogar einem Café oder einem Laden, um meinen laut knurrenden Magen zu besänftigen.


𝓐𝓵𝓼 𝓲𝓬𝓱 𝓭𝓲𝓬𝓱 𝓽𝓻𝓪𝓯Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt