Still sitze ich neben Cassandra und lausche ihren Worten. Sie hat keine Sekunde gezögert, mir vorzulesen, nach dem ich gestand, das Buch nicht zu kennen.
Doch ich kann mich kaum auf irgendeine Zeile konzentrieren. Schon nach wenigen Minuten wird mir bewusst, dass ich kein Wort mitbekommen habe.All meine Konzentration liegt bei ihrer Nähe zu mir. Zwar hat sie genug Abstand zwischen uns gebracht, dennoch spüre ich ihre Wärme und rieche ihren Duft nach Lavendel.
Aus dem Augenwinkeln beobachte ich sie und kann trotz aller Bemühungen den Blick nicht abwenden. Ihre Augen sind noch immer gerötet. Ich bin mir nicht sicher, ob sie es mitbekommen hat, aber ich bin schon länger in der Bibliothek gewesen und habe mitbekommen, wie sie sich Tränenüberströmt am Regal niederließ. Ihr Anblick zerriss mir fast das Herz. Was auch immer geschehen ist, schmerzt sie über alles.Noch mehr schmerzte es mich, alte Wunden von ihr geöffnet zu haben, als ich nach ihrer Mutter fragte. Dabei hätte ich wissen sollen, nicht nach ihren Eltern zu fragen.
Mit einem Mal klappt Cassandra das Buch zu. Für einen Moment starrt sie es noch an, bevor sie zu mir schaut. Für einen Augenblick stockt mir der Atem. In ihren Augen liegt eine solche Intensität, dass mir ganz warm wird.
„Was machst du in deiner Freizeit? Außer Lesen."Ich muss von ihr wegblicken, um auch nur ein vernünftiges Wort herauszubringen.
„Alles was mit Musik zu tun. Ich spiele Gitarre und sing." Sobald ich beginne von meiner Leidenschaft zu erzählen beginne, fließen die Worte nur so vor sich hin. Musik ist etwas, worüber ich den ganzen Tag reden kann. Sie erfüllt jeden noch so winzigen Teil meiner Seele.„Wann hast du mit der Musik begonnen?", fragt sie neugierig nach. Ihre Interesse ist in keiner Weise vorgetäuscht. Nein, sie möchte es wirklich wissen. Sie weiß gar nicht, wie viel mir das bedeutet. Nie hat sich jemand die letzten Jahre ehrlich Interessiert und nicht nur meine Krankheit und Genesung von Belang ist. Ich verstehe meine Eltern, ihre Sorgen und Ängste. Ich hätte sterben können und die Chancen standen nicht einmal schlecht. Aber sie nahmen mir mein Leben und gaben mir nur zu Gesicht, das ich krank bin und mehr durfte ich nicht sein.
„Kurz nachdem ich zurück in meiner alten Heimat war", versuche ich meinen eigentlichen Grund zu verbergen. Noch bin ich nicht bereit darüber zu reden. Es fällt mir schwer, mich an all das zurück zu erinnern und zu schildern. Aber vor allem, will ich nicht, dass Cassandra mich als Krankheit, vielleicht sogar als Problem sieht. Denn das bin ich nicht.
„Wenn du willst zeige ich dir etwas."Fast schon zu überschwänglich richte ich mich auf und reiche ihr die Hand. Ich weiß nicht welche Welle der Gefühle mich überrollt, aber sie fühlt sich verdammt richtig an.
Schweigend blickt sie auf meine Hand. Ihr Blick ist starr, als versuche sie zu begreifen, was vor sich geht. Ich sehe, wie sich ihre Augen erneut röten. So sehr will ich wissen, was sie dermaßen plagt. Und dennoch bleibe ich still, weil ich weiß, dass nicht jede unsere Geschichten erzählt werden kann. Manche brauchen Monate, manche Jahre und andere eine Ewigkeit.
Ohne meine Hand zu berühren, richtet sie sich auf. Auf ihren Lippen liegt ein schwaches Lächeln, trotz der geröteten Augen und ich frage mich, woher sie ihre Stärke nimmt.
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𝓐𝓵𝓼 𝓲𝓬𝓱 𝓭𝓲𝓬𝓱 𝓽𝓻𝓪𝓯
RomanceCassandra flüchtet vor den Monstern ihrer Vergangenheit. Auf ihrer Suche nach einem neuen Zuhause landet sie in dem verschlafenem Ort Brighton. Durch ein Missgeschick trifft sie auf Jim Parker, der sich ungewollt in ihrem Herzen breit macht. Doch au...