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Leise schluchzt meine Mutter auf. Mein Vater dagegen schaut nur wütend drein.
„Ich komme nach Stetpond. Nur zu Besuch, aber fang an zu begreifen, dass du mit deiner Arbeit alle von dir stößt. Auch Mama. Daher stammen eure Probleme. Und ehe ihr sie nicht begrabt und mir meinen nötigen Raum gebt, bin ich nicht bereit, nachhause zu kommen!"
Tief atme ich durch und wische mir meine Tränen vom Gesicht. Ich habe mir immer gewünscht, dass es zu dieser Aussprache kommt. Vielleicht ist es auch meine Schuld, dass wir es nicht eher getan haben. Ich bin derjenige gewesen, der weggerannt ist. Aber dieser Tag fühlt sich nicht richtig an für die Aussprache. Er begann so sorgenlos und endet in einem Chaos an Gefühlen

„Miss und Mr. Parker, ich möchte nicht unhöflich erschein, aber sie sollten vielleicht wirklich gehen", mischt sich nun Milo ein, der aus der Küche zu uns gekommen ist. Jedes seiner Worte versucht er behutsam zu wählen, um die Stimmung nicht zu verschlechtern. „Jim wird sich wie versprochen bei ihnen melden!"
Zustimmend nicke ich meinen Eltern zu. An meine Versprechen halte ich mich. Das habe ich immer.

Erneut schluchzt meine Mutter. Flüchtig berührt sie mich. „Vielleicht willst du an Heiligabend zu uns kommen und wir reden nochmal in Ruhe."
Dann zieht sie meinen Vater zur Wohnungstür. Er wagt es nicht, auch nur ein Wort zu sagen. In diesem Moment scheint es auch das Beste zu sein, schweigend auseinanderzugehen.
„Wir haben dich lieb, Jimmy. Wir regeln das. Gemeinsam!"

Dann verlassen beide die Wohnung.
Leise schließt sich die Tür und lässt eine bedrückende Stille zurück. Tief hole ich Luft, versuche das Zittern meiner Hände zu beruhigen.
„Jim."

Milo versucht zu mir durchzudringen, doch Lola zieht ihn sanft beiseite. Beide verschwinden in Lolas Schlafzimmer. Ich hoffe, meine Probleme haben keine negativen Einfluss auf die Dinge, die sie die Nacht vorhaben. Es sind meine Sorgen, mit denen sich beide nicht befassen müssen.
Mit einem Mal spüre ich Arme, die sich um mich legen und fest in eine Umarmung ziehen. Lavendel Duft steigt in meine Nase. Nur sie trägt diesen Geruch. Cassandra.
Es sind ihre Arme, die sich um mich legen.

„Cassandra", flüstere ich mit belegter Stimme. Normalerweise schreckt sie vor jeder Berührung zurück. Ihre Finger auf meinem Hemd zu spüren, ihr Haar, wie es an meinen Hals kitzelt, kommt mir unwirklich vor.
„Du musst nicht-, nur weil ich-"
Kein ganzer Satz will meinen Mund verlassen. Noch immer unter Schock von der Begegnung mit meinen Eltern und sprachlos über Cassandras Umarmung.
„Ich vertraue dir, Jim Parker", flüstert sie mir zu.

Vorsichtig lege ich meine Hände ebenfalls um sie. Kurz spüre ich ihre Anspannung, die sich durch ihren gesamten Rücken zu ziehen scheint, doch dann entspannt sie sich.
„Du hast keine Vorstellung, wie sehr ich das vermisst habe", flüstert sie leise, während ihr Kopf auf meiner Brust ruht.
Es steht außer Frage, dass sie meinen erhöhten Herzschlag wahrnimmt.
„Was meinst du?"
Ihre Nähe scheint meinen Kopf leergefegt und jeden Gedanken davongetragen zu haben. Stattdessen schwirrt mein Kopf und er fühlt sich an, als würde er sich drehen.
„Berührungen."

Sie spricht das Wort so zart aus und doch mit einer Bedeutung, die mir ihre Sehnsucht nach physischen Kontakt genaustens beschreibt.
Langsam und doch viel zu schnell löst sich Cassandra von mir. Ihre hellen braunen Augen betrachten mich mit solcher Intensität, dass mir warm wird. Noch wärmer, als eh schon. Dabei hat Mason den Raum ordentlich durchgelüftet.

„Es tut mir leid, was da eben geschehen ist", murmelt sie und spielt mit ihren Händen an dem Kleid herum, welches sie trägt. „Das war privat und geht mich nichts an!"
„Nein, nein, mach dir darum keinen Kopf", versuche ich sie zu beruhigen, denn ich bin derjenige der sich den Kopf zerbricht. Das ganze Drama hätte ich ihr gerne erspart- Vor allem den Wutausbruch meines Vaters. Ich weiß nicht viel über Cassandras Vergangenheit. Jedoch weiß ich, dass ein Mann sie verletzt hat.
„Ich werde dir keine Fragen stellen, zudem was du gesagt hast, oder deine Eltern, wenn es das ist, was dich bedrückt."

Leicht berührt ihr kleiner Finger den meinen. Unendlich viele kleinen Funken durchströmen meinen Finger, bis sie meine gesamte Hand erfüllen und meinen Arm heraufwandern.
„Ich bin nicht bedrückt." Stirnrunzelnd betrachte ich sie, doch sie hat mich schon längst durchschaut. Ich bin bedrückt, dass meine Wut mich verleitet hat, vielerlei Dinge her auszuposaunen. Wenn ich Cassandra etwas von meiner Erkrankung erzähle, dann weil ich diese Entscheidung gefasst und in Ruhe treffe. Abseits von meinen Freunden und Eltern, die über alles Bescheid wissen.
„So wie du mir Zeit gibst, gebe ich dir die Zeit. Deal?"

Innerlich fällt mir ein Stein von Herzen. Ein sehr großer sogar. Irgendwann wird der passende und richtige Zeitpunkt kommen, wo wir unsere Vergangenheit zeigen, aber nicht heute. Nicht diese Nacht.
„Deal."
Freudestrahlend lächelt sie mich an und gibt mir die Hoffnung, dass der Tag doch nicht ruiniert ist.
„Du musst mir noch deine Schallplatte zeigen, damit ich weiß, was so toll an ihr ist."
„Die Herausforderung nehme ich an."

Entschlossen laufe ich zu dem Couchtisch, auf dem sich meine Geschenke stapeln. Zu den anderen Geschenken lege ich die kleine Schachtel meiner Mutter. Ich öffne es Morgen. An einem neuen Tag, ohne die Wut und den Frust des diesigen.
Von dem Tisch greife ich nach der Schallplatte. Noch immer bin ich sprachlos das Cassandra sie für mich gekauft hat. Es ist wohl eines der schönsten Geschenke, aber das bleibt ein Geheimnis. Lola wäre frustriert, wenn ich nicht ihres als das Beste küre.
„Du wirst danach nie wieder ohne Schallplatten leben können", erwidere ich selbstsicher, aus eigner Erfahrung. Nach meiner ersten Schallplatte war es um mich geschehen. Ohne sie möchte in nicht mehr leben.

Leise öffne ich meine Zimmertür. Seelenruhig schlummert Buffy zusammengerollt auf meinem Bett. Zum Glück hat sie das Drama nicht mitbekommen. Zwar steckt sie ihre Schnüffelnase in jede Angelegenheit, aber Krach und laute Stimme mag sie überhaupt nicht.
„Stören wir Buffy?"

Kopfschüttelnd lege ich die Schallplatte in den Spieler, der einen unschönen Platz auf dem Schreibtisch bekommen hat.
„Sie schläft tief und fest. Du solltest dich nur nicht auf sie setzen!"

Lachend beobachtet sie mich, wagt es nicht sich auf das Bett neben Buffy zu setzen. So süß wie sie aussieht, kann ich die Sorge verstehen, Buffy zu wecken.
Knisternd ertönt die Musik aus dem Spieler. Die Melodie ist sanft und melodisch. Jeder Tön trifft bis tief ins Herz. Obwohl diese Musik das Gegenteil von dem ist, was ich sonst höre, vergöttere ich sie ungemein.
„Das ist wirklich wunderschön."

Lächelnd greift Cassandra nach meiner Hand. Noch immer sehe und spüre ich eine Unsicherheit von ihr, doch die panische Angst, die jedes Mal bei einer Berührung Besitz von ihr ergriff, scheint verschwunden zu sein.
„Da hat sich mein Geld gelohnt!"
„Hat dich Mr. Barnes über die Ohren gehauen?", hake ich neugierig nach. So gern in den alten Herr auch hab, ist ihm vieles zuzutrauen.
„Das bleibt ein Geheimnis."
Und ich spüre, wie sie meine Hand fester drückt und kann mein Glück kaum fassen.

𝓐𝓵𝓼 𝓲𝓬𝓱 𝓭𝓲𝓬𝓱 𝓽𝓻𝓪𝓯Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt