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„Roy ist das letzte", stöhne ich frustriert auf, während ich mich um die Schulter von Milo kümmere

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„Roy ist das letzte", stöhne ich frustriert auf, während ich mich um die Schulter von Milo kümmere. Er tut zwar als habe er keine Schmerzen, doch ich kenne ihn besser. Vor allem bei dem Zusammenprall wird er mich nicht glauben lassen können, dass es ihm gut geht.
Aus dem Kühlschrank hole ich Eiswürfel, fülle sie in ein Tuch und drücke es auf Milos Schulter

„Wann wird er endlich gesperrt?", knurre ich. „Irgendwann wird noch jemand ernsthaft verletzt!"
Milo zuckt nur mit den Schultern und nimmt mir den Eisbeutel aus der Hand.
„Es ist Eishockey, Jim. Es wird sich immer mal jemand verletzen", antwortet er mir, so als wäre es eine Selbstverständlichkeit. Dabei soll Milo bewusstwerden, dass meist immer er mit Verletzungen aus dem Spiel kommt. Während ich in Stetpond war, hat mich Lola oft angerufen, wenn Milo mal wieder mit einer Prellung oder einen Bruch aussetzen muss. Milo hat keine Vorstellung, wie sehr ich mich um ihn sorge. Ich könne es nicht ertragen, noch einen Freund zu verlieren.

„Aber darum geht es auch gar nicht", brummt Milo und lässt sich stöhnend auf die Couch nieder. Er sieht wirklich erledigt aus. Ich bin mir ziemlich sicher, dass er die Uni schwänzen wird. Dabei ist das Studium so wichtig für ihn und er hat viel dafür geopfert. Das gesamte Geld für die Uni erspart er sich selbst, da seine Mutter ihn den Geldhahn zugedreht hat, nachdem die beiden oft gestritten haben. Oftmals gab Milos Mutter ihm die Schuld für den Tod seines Vaters. Dabei war es ein schrecklicher Unfall.
„Worum dann?"

Seufzend fährt sich Milo durch sein, langes gewordenes Haar. Als Jugendlicher trug er noch kurz geschorene Haare. Er fand es super cool, bis Lola in sein Leben trat.
„Er hat Cassandra angefasst."
Mit einem um die Haare geschlungenem Handtuch, verlässt Lola das Badezimmer und lehnt sich mit verschränkten Armen gegen die Tür.

„Was?", entfährt es mir und ich blicke entsetzt zwischen den beiden umher. Das ist also der wahre Grund, warum sie nach dem Spiel nicht mit feiern gekommen ist. Und wir haben wie dumme Idioten gefeiert, als ob nichts gewesen wär.
„Warum habt ihr nichts gesagt?"

Die Wut in meiner Stimme kann ich kaum unterdrücken. Allein der Gedanke, dass Roy Cassandra nur einen Schritt zu nahegekommen ist, macht mich rasend. Denn sie meidet jeden Körperkontakt. Vor allem mit Männern. Roy hat kein Recht der Welt, sie ungefragt anzufassen.
„Sie wollte nicht, dass wir etwas sagen", erklärt Lola mir und umgreift meine Schultern mit beiden Händen. „Milo und ich haben uns darum gekümmert. Er wird ihr nicht nochmal zu nahekommen."

Ungehalten stehe ich von der Couch auf. Natürlich will Cassandra nicht das irgendwer davon erfährt und das ist ihr gutes Recht. Ich verstehe es und an ihrer Stelle würde ich es genauso handhaben. Aber das Gefühl, nichts gewusst zu haben, nichts tun zu können, oder wenigstens bei ihr gewesen zu sein, ist ein schreckliches Gefühl der Hilflosigkeit. Schon damals konnte ich meinem engsten Freund, Collin, nicht helfen. Ich weiß, dass ich das nicht auf Cassandra übertragen darf. Sie ist nicht Collin. Ihre Situationen sind zwei völlig verschiedene, aber bei beidem denke, es ist meine Verpflichtung zu helfen. Und ob das ein Fehler ist oder nicht, werde ich erst später herausfinden können.
„Ich muss mit ihr reden."

Ich eile bereits zum Klamottenhacken und will mir meine Jacke schnappen. Es ist mir egal, wie spät und kalt es ist, doch Milo hält mich mit einer einfachen Berührung zurück.
„Du weißt, dass das jetzt nicht richtig wäre, Jim", versucht er mich von meinem Vorhaben zurückzuhalten. Ich weiß, wie recht er hat. Cassandra ist nicht einzig und allein auf meine Hilfe angewiesen. Sie ist stark und hat Freunde wie Lou oder ihre Mitbewohnerin. Sie ist nicht allein.
Und dennoch werde ich das Ungute Gefühl nicht los, sie im Stich zu lassen, indem ich Zuhause bleibe, als wäre nie etwas geschehen.

„Ich hab Recht, Jim", plädieret er mir. Natürlich hat er das. Zwar bin ich schon seit klein auf der Vernünftigere von uns beiden, aber Milo hat immer Recht. Die meisten unterschätzen ihn deutlich darin. In Milo sehen viele nur einen muskelbepackten und rundum tätowierten Hockeyspieler. Dabei ist er vielmehr als das. Vor allem intelligent ist er, aber das untergräbt er oftmals. Bis heute frage ich mich, warum er das tut.
„Du solltest schlafen gehen, Jim!"

Leicht klopft er mir auf die Schulter. Bevor er zu Lola ins Zimmer gehen will, schnappt er sich einen Joghurt aus dem Kühlschrank und eine Schüssel mit Erbbeeren.
„Weißt du, wann Mason kommt?", frage ich ihn noch eilig. Früher war er nie so lange unterwegs. Wobei wir auch noch Kinder waren. Obwohl, wir waren sehr aufgeweckte Kinder, mit viel Albernheiten im Kopf.

Doch mir ist bereits aufgefallen, dass vieles sich verändert hat. Wir haben uns verändert. Das ist gut, aber sehr ungewohnt.
„Ich hoffe nicht allzu spät, er hat Morgen Training mit Katy. Sein Trainer wird sich nicht freuen, wenn er völlig übermüdet kommt."
Dann greift Milo nach der Türklinge von Lolas Zimmer.
Grinsend schüttle ich den Kopf. „Macht nicht so laut!"

Lachend ziehe ich mich in mein Zimmer zurück. Im Hintergrund höre ich noch Milos Lachen und stelle mir sein Grinsen vor. Dabei ist meine Bemerkung gar nicht so ungerechtfertigt
Erschöpft von dem langen Tag lasse ich mich in mein Bett fallen. 

Stöhnend sinkt mein Kopf in das große Kissen. So viele Dinge fühlen sich noch immer an wie ein Marathonlauf. Schon öfters seit meiner Ankunft habe ich überlegt, mich einen Schritt zurückzunehmen. Ohne Frage, ich liebe die Auftritt bei meinem Onkel im Heavens, aber sie sind neben dem Studium auch Kräfteraubend. Mein Onkel wird sich nichts einzuwenden haben, mir ein paar weniger Auftritte zu geben. Das Studium hat trotz allem Priorität. Wenn auch nicht in meinem Herzen.

Seufzend greife ich nach meinem Handy und den Kopfhörern auf meinem Nachricht und öffne Spotify. Leise dringt der Klang der Musik an mein Ohr. Augenblicklich löst sich die Anspannung in meinem Körper. Alle Sorgen und Probleme schieben sich, wenigstens für wenige Minuten, in den Hintergrund, auch wenn sie nicht gelöst sind.

Allein der Klang der Stimme, die Nutzung der Instrumente und der Inhalt des Textes, gilt meine Aufmerksamkeit. Gänsehaut rauscht mir über die Arme, so weiter das Lied fortschreitet. Es ist einer meiner liebsten. Einer der wenigen, die ich in Dauerschleife anhören kann, ohne mich zu langweilen. Und jedes Mal entdecke ich etwas Neues in dem Lied, was meine Ohren und Geist fasziniert. 

Irgendwann möchte ich auch ein Künstler sein, zu dem andere aufschauen. Ich möchte jemand sein, der die Möglichkeit besitzt, ein Leben positiv zu verändern. Selbst wenn es nur ein einziges ist, habe ich ein großes Ziel erreicht. Dafür mache ich meine Musik. Es ist viel mehr geworden, als ein Weg meine Gefühle und Geschehnisse zu verarbeiten. Ich will mehr daraus machen.
Wenn meine Eltern und mein Körper mir aufhören würden, Steine in den Weg zu legen. Noch weiß ich nicht, ob ich die Kraft habe, sie allein wegzurollen.

Seufzend ziehe ich mir die Kopfhörer aus dem Ohr, kuschle mich in die Decke ein und knipse das Licht ein. Doch an Schlaf ist bei weitem nicht zu denken. Meine Gedanken kreisen wie in einem Karussell. Unaufhörlich. Sie geht mir einfach nicht aus dem Kopf. Noch weniger Roy. Wäre ich bloß mit ihr gegangen.

Entschlossen greife ich nach meinem Handy und schicke Cassandra eine Nachricht. Es kostet mich mehr Überwindung als gedacht.
Schon nach kurzer Zeit antwortet sie.

Mir geht es gut, Jim. Mach dir keine Gedanken.

Verunsichert blicke ich die Nachricht an, entschließe mich aber ihr zu vertrauen. Cassandra ist eine erwachsene und starke Frau, die genau weiß, was sie tut.
Dann sehen wir uns Morgen, in der Vorlesung.
Noch immer missmutig, aber etwas beruhigt, lege ich mein Handy beiseite und lege mich schlafen. Denn das ist, was ich gerade im Moment am meisten brauche.

𝓐𝓵𝓼 𝓲𝓬𝓱 𝓭𝓲𝓬𝓱 𝓽𝓻𝓪𝓯Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt