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Eine Läuferin betritt das Eis

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Eine Läuferin betritt das Eis. Anmutig bewegte sie sich bis zur Mitte der Eisfläche, wo sie zum Stehen gelangt.
In einer fließenden Bewegung streicht sie sich einer ihren kurzen blonden Strähnen aus dem Gesicht, bevor sie ihre Hand zur Eisdecke streckt. Dann fährt sie einen großen Bogen, bevor sie sich von der linken Zackenspitze ihrer Schuhe abstößt und die Beine während ihres Fluges spreizt. Bei ihrer Landung auf der rechten Zackenspitze geht sie in eine Pirouette über. Wie eine Göttin, streckt sie die Arme in den Himmel, während sie sich immer schneller um die eigene Achse dreht. Dann greift sie nach ihrem Bein und streckt es nach oben. Ihr Kopf legt sie in den Nacken.

Fasziniert beobachtete ich sie, bevor aus der Pirouette in einen Rückwärtsschritt gleitet. „Gleich wird Katy wieder auf das Eis fallen. Dommage aussi!"
Mein Herz macht einen leichten Satz, als Lou hinter mir auftaucht. Wie gebannt, beobachtet sie die Läuferin.
„Ihre Technik sieht gut aus", bemerkte ich auf Lous Worte hin.
„Sie probiert den dreifachen Lutz schon Ewigkeiten, aber schaffen tut sie ihn nie."

Noch näher presse ich mich an die Scheibe, analysiere jeden Schritt der Läuferin. Lou hat recht, sie würde den Sprung nicht stehen.
Das tut sie auch nicht. Als sie landet, gerät sie ins Schwanken und stürzt nieder. Schlitternd rutscht sie über das Eis, bevor sie mit der Faust auf den Boden schlägt.
Ein lauter Fluch entfährt ihr. Dann richtet sie sich auf und probiert es erneut.

„Das wird den halben Tag lang gehen, bis ihr Trainier sie stoppt."
Erneut wagt die blonde Eisläufern den Lutz, doch scheitert erneut. Neben mir seufzte Lou leise auf.

Noch einmal schaue ich zu der Eisläuferin. Sie war beeindruckend zu beobachten. Irgendetwas hat sie an sich, was extrem fesselnd war. Doch etwas schien sie davon abzuhalten, die Sprünge zu stehen, obwohl ihre Technik in Ordnung aussieht.

„Schön dich wiederzusehen", grüßt mich Lou strahlend und lässt sich auf einer der Holzbänke nieder.
„Läufst du auch Eis?", frage ich sie mit einem Kopfnicken zu ihrer Sporttasche. „Du scheinst dich auszukennen."
Sie lacht leise, wobei ihre hellen Augen amüsiert aufleuchteten. Kopfschüttelnd reagiert sie auf meine Fragen.

„Nein, ich bin Schwimmerin. Nebenan ist die Schwimmhalle." Aus ihrer Sporttasche fischt sie sich ein Handtuch und wischt sich damit kurz über das Sommersprossen übersehene Gesicht.
„Aber wenn du so gut wie jeden Tag hier bist, erlebst du das ganze Drama jeden Tag mit. Es ist unmöglich nicht wenigstens, ein paar Sprünge kennenzulernen. Vor allem, wenn die Hälfte deiner Freunde Sportarten auf dem Eis ausführt!"
Erneut lacht Lou und steckt das Handtuch wieder in die Sporttasche, ehe sie eine Tüte mit einem Sandwich herausholt.

„Meinst du Milo?", erinnere mich an den Mann im Studentenwohnheim. Hastig nickt Lou, wobei sie laut aufseufzt, als sie in ihren Sandwich beißt.
„Er ist Eishockeyspieler und sein Kumpel ist der Bruder von Katy und läuft normalerweise Paarlauf mit ihr!"
„Sie sieht nicht wie eine Paarläuferin aus", stelle ich fest und blicke nochmal zu Katy. Mittlerweile hat sie von dem dreifachen Lutz abgelassen und trainiert ein paar der leichteren und nur doppelten Sprünge. Diese springt sie fast Fehlerfrei.
„Ja, das weiß sie, aber sie will nicht aufgeben."
Lou schlingt den letzten Bissen ihres Sandwiches herunter. Dann richtet sie sich mit ihrer Sporttasche auf.

„Läufst du Eis?", fragt sie mich spontan und beobachtet mich interessant. Reserviert stecke ich meine Hände in die Taschen des Mantels. Natürlich würde sie die Frage stellen, aber sie zu hören, wirbelt viele unangenehme Gedanken herauf.
„Ich war Eisläuferin."
Die Worte auszusprechen, erzeugt ein schmerzhaftes Stechen in meiner Brust, gefolgt von einem nicht aufhörendem Ziehen.
„Oh, pardon, Cassandra."

Lou verzieht das Gesicht und reibt sich mit ihrer Hand über ihren Arm. Unbeholfen blickt zu sie zu mir.
„Alles gut. Ich wollte mir hier nur alles anschauen. Vielleicht fange ich wieder an."
Immerhin ist das Eis mein Zuhause. Ist es nicht Zeit Zuhause anzukommen? Weston ist nicht. Mein Vater ist nicht hier. Dieser Ort ist nicht Gibswell.
Ich habe eine zweite Chance und müsste sie nutzen. Niemand aus meiner Vergangenheit kann ich mich erneut aus meiner Fassung bringen und damit meine Zukunft zerstören. Ich allein bin endlich für diese verantwortlich.
„Egal wie du dich entscheidest. Ich wünsche dir viel Erfolg dabei!"
Noch einmal lächelt mich Lou freundlich an, bis sie mir winkt. „Vielleicht sehen wir uns wieder." Dann öffnet sie die Glastüren der Eishalle und tritt raus in den Schnee.

Allein bleibe ich in dem Gang stehen. Erneut trete ich an die Glasscheibe und Blicke auf das klare Eis.
Ich sehe mich selbst auf dem Eis stehen. Meine Brust hebt und senkt sich schwer. Dann gleite ich über das Eis, die Arme weit von mir gestreckt. Immer wieder drehe ich Bögen durch die Halle, nutze jeden Zentimeter des Eises. Aus einen der Bögen gehe ich in eine Pirouette über. Meine Arme ziehe ich an meinen Oberkörper, während mein Körper immer schneller um seine Achse rotiert.

Aus der Pirouette heraus, fahre ich rückwärts über das Eis, wobei ich mein linkes Bein vor dem rechten verkreuze. Eilig verlagere ich mein Gewicht auf die Außenkante des rechten Fußes und stoße mich ab. Wie ein Vogel, frei und schwerelos, gleite ich durch die schneidend kalte Luft, bevor ich auf meinem rechten Fuß lande. Es ist ein makellos gestandener Rittberger.

Zufrieden atme ich die kühle Luft ein. Das Lächeln verschwindet nicht aus meinem Gesicht. Dann ertönt der laute Applaus der Zuschauer. Ich habe es geschafft. Meine erste Kür habe ich fehlerfrei gestanden. Das ist der Beginn gewesen.
„Ich trainiert so hart. Langsam muss das doch funktionieren!"

Von einer lauten weiblichen Stimme werde ich aus meinen Erinnerungen gerissen. Katy betritt mit ihrem Trainer den Gang. In ihren Händen trägt sie ihre Schlittschuhe. Schon auf den ersten Blick sehe ich, dass ihre Schuhe ein Vermögen gekostet haben müssen. Meine Schlittschuhe sind abgetragen und secondhand, aber gegen nichts auf der Welt würde ich sie eintauschen. Für mich haben sie eine persönliche Geschichte. Egal, ob ich meine Vergangenheit ablegen möchte, meine Schlittschuhe werden immer ein Teil von mir bleiben.

„Du musst deine Gedanken zusammennehmen!", erwidert ihr Trainer, während Katy sich auf die Bank fallen lässt und die Schoner über die Kufen der Schlittschuhe zieht.
„Meine Gedanken sind beisammen", brummt sie vor sich hin. Aus ihrem Gesicht bläst sie sich einer ihrer blonden Strähnen.
„Wir sehen uns Morgen. Sag deinem Bruder, dass er pünktlich sein soll!" Daraufhin rauscht ihr Trainerin davon. Kurz blicke ich ihm nach. Er setzt Katy unter Druck, ohne es zu wissen. Vielleicht liegt dort ihre Blockade vor dem Sprung. Versagensangst. Viele Läufer begleitet diese und ist der Grund für Scheitern.
„Hör auf zu gaffen!"

Erschrocken zucke ich zusammen, als Katy zu mir blickt. Beinahe wütend funkeln mich ihre blauen Augen an.
„Ich..."
Kurz rollt sie mit den Augen, bevor sie sich ihre Tasche schnappt. „Such dir doch dein eigenes Drama."

Wie auch Lou zuvor, öffnet sie die Tür und verschwindet nach draußen. Von ihrem Verhalten fassungslos, verharre ich für einen Moment in meiner Position. Doch dann versichere ich mir, dass sie nur an irgendwen ihren Frust über den gescheiterten Sprung auslassen musste und ich stand nun mal direkt da. Ich kenne dieses Gefühl zugut, als dass ich es ihr verübeln könnte.

Abermalig schaue ich auf das Eis. Dann verlasse ich die Eishalle. Ich muss noch etwas zum Essen einkaufen und möchte auch noch in Ruhe mein Zimmer einrichten, bevor die anderen Studenten ankommen und das Chaos ausbricht.

Als ich die Eishalle verlassen will, entdecke ich einen Flyer an der Wand hängen. Gesucht wird nach einer Aushilfe im Café der Eishalle. Sie bieten ein vernünftiges Gehalt, in Teilzeit. Von den Schnipseln, mit einer Telefonnummer darauf, ziehe ich mir einen ab und laufe wieder in Richtung des Studentenwohnheims.

𝓐𝓵𝓼 𝓲𝓬𝓱 𝓭𝓲𝓬𝓱 𝓽𝓻𝓪𝓯Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt