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Meine Begeisterung für den Semesterbeginn hält sich deutlich in Grenzen

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Meine Begeisterung für den Semesterbeginn hält sich deutlich in Grenzen. Im Gegensatz zu meinen Freunden. Sie aber haben sich ihr Studium selbst gewählt. Meine Eltern forderten von mir Medizin, wie sie auch, zu studieren. Ich weiß, dass sie mir andererseits den Geldhahn abdrehen. Und auch das Verhältnis zu ihnen, will ich nicht verlieren. Egal, was wir die letzten Jahre durchgestanden haben.

Meine Laune wurde noch mehr getrübt, als ich erfuhr, dass ich ebenfalls an den Psychologievorlesungen teilnehmen muss. Lola hat mich versucht aufzumuntern, was ihr wenigstens halbwegs gelang.
Meine gute Laune kehrte erst zurück, als ich den Saal betrat. Ich meinte meinen Augen nicht glauben zu können. Wie verrückt das Schicksal sein kann.
Für die meisten Menschen wäre das Mädchen unsichtbar. Sie trug gedeckte Farben, zog die Schultern ein und lauschte der Klängen ihrer Kopfhörer, während sie den Kopf in den Notizbuch vergräbt.

Die meisten würden ihr keine sonderliche Beachtung schenken. Doch ich sah sie. Es ist die Weise, wie sie ihre Haare trägt, wie die Sommersprossen tanzen, wenn sie auch nur sanft lächelt und wie sie immer wieder die viel zu große Brille hochschiebt.

Auch wenn die meisten sie nicht sehen, ist sie viel auffälliger als die meisten in diesem Raum.
Kurz winke und begrüße ich ein paar Leute, die ich noch aus meiner Jugend kannte, bevor ich auf die Frau zusteuerte. Aufgeregt schlug mein Herz, während ich mich durch die Reihen quetschte. Diese Gefühle fühlten sich seltsam, irgendwie fremd. Als wären sie irgendwann verschollen gegangen und mein Körper kannte sie nicht mehr.
„Ist der Platz noch frei?"

Es kostete mich mehr Überwindung als gedacht, die Worte auszusprechen. Noch immer hatte ich Angst, sie bei unserem letzten Zusammenstoß verschreckt zu haben. Vor allem, als sie mich mit ihren großen Augen kommentarlos anschaute. Nein, sie starrte vielmehr, als könnte auch sie ihren Augen nicht trauen.
„Und?"

Das Nachfragen war mir gar unangenehm. Ich wollte sie nicht drängen und dennoch fragte ich erneut. Keine Ahnung, was mich in diesem Moment ritt.
Erst als sie nickte, rasch nickte, überkam mich ein angenehmes Gefühl der Erleichterung. Vielleicht hatte ich sie noch nicht ganz verschreckt.
Als ich mich neben mir niederlasse, dringt mir ein frischer Geruch in die Nase. Er war wie das erste Mal, als ich dem Kaffeemädchen begegnete, eine angenehme Note nach frischer Wände, blumig, gar wie Lavendel.
„Und? Was hörst du?"

Zaghaft lächle ich und deute auf die Kopfhörer.

„Erde an Jim? Jim Parker!"
Wie wild fuchtelt Lola mit ihrer Hand vor meinem Gesicht herum. Aus ihren dunklen starrt sie mich erwartungsvoll an.
„Wie bitte?", hake ich peinlich berührt nach. Mir ist nicht aufgefallen, wie sehr ich meinen Gedanken nachhing.
„Ob du etwas von Milo gehört hast?"
Mit dem Kopf wies ich in Richtung Tür, durch die Milo geschlendert kommt. Freudestrahlend schwingt er die Autotür auf und wirft seinen Rucksack auf den Rücksitz.
„Nur weil es nicht dein Auto ist, verdient es trotzdem ein bisschen Liebe", erwidere ich scherzhaft. Milo verdreht lachend die Augen und steigt ein.

Kurz versichere ich mich, dass Lola und Milo angeschnallt sind, bevor ich den Motor anlasse und losfahre. Wir würden gemeinsam in einen Möbelladen außerhalb Brightons fahren und mir noch etwas für mein Zimmer suchen. Lola bestand darauf, es aufzuhübschen. Auch wenn es auf meine Kosten geht.

Eine Weile fahre ich still die leicht Schneebedeckte Straße entlang. Vorsichtig drossle ich das Tempo, um kein Risiko für einen Unfall einzugehen. Auf dem Rücksitz diskutieren Lola und Milo über etwas in der Uni. Wirklich verstehen tue ich sie nicht. Meine Gedanken schweifen die ganze Zeit über ab.

Was ist das bloß in mir? Ich kenne sie nicht gut. Unsere Treffen waren vielmehr seltsame Zusammenstöße und dennoch geht sie mir nicht aus dem Kopf. Cassandra, ist ihr Name. Er klingt wie ein Windhauch. Zart, gar zerbrechlich. Er passt gut zu ihr.
Dennoch frage ich mich, ob es richtig ist, solche Gefühle zuzulassen. Nach allem ist es der falsche Zeitpunkt. Mein Leben ist noch immer ein chaotischer Haufen, den ich erst nach und nach beseitigen kann. Manche Dinge werde ich auch niemals beseitigen können. Auch nicht die Narben meines Körpers oder die der Vergangenheit.
Ehe ich nicht meine Welt repariert habe, kann ich unmöglich eine andere kennenlernen. Oder ich bringe mein Chaos in ihre.

„Ich habe das Kaffeemädchen kennengerlernt", bricht aus mir heraus, ohne zu wissen, warum ich es meinen Freunden anvertraue.
Die beiden Streithähne hören augenblicklich auf zu streiten. Wie gebahnt schauen sie zu mir.
„Studiert sie Medizin?"
„Psychologie", korrigiere ich Lola.
„Und hast du nach ihren Namen gefragt?" Nun fragt auch Milo nach. Leicht grinst er mich durch den Rückspiegel an.
„Cassandra."
Milo zieht überrascht die Augenbrauen herauf. An Lola vorbei lehnt er sich zu mir vor.
„Die kleine Eisprinzessin?"
Auch ich bin nun überrascht. „Du kennst sie?"
Von dem Rücksitz aus, blickt Lola immer wieder zwischen Milo und mir umher. Dann lacht Milo auf und lässt sich in den Sitz sinken.
„Ich glaube es nicht", lacht er. Nach und nach beruhigt er sich wieder. „Sie lebt schon zwei Wochen in dem Studentenwohnheim. Ich habe sie genau an dem Tag kennengelernt, wo sie dir den Kaffee übergeschüttet hat. Verrückt, Kumpel!"
„Zufälle gibt es", erwidert Lola kopfschüttelnd. Und wie recht sie hat.

In Brighton kennt jeder jeden. Nichts hat sich geändert. Der Gedanke bringt mich zum Schmunzeln.
„Aber süß ist die kleine!"
Empört schlägt Lola gegen Milos Arm, woraufhin dieser laut giggelt und sich den Arm hält.
„Ihr seid unmöglich!"

Mühsam hieven Milo und ich die Einkaufsbeutel und Kartons in mein Auto, wobei Milo mir das meiste abnahm. Er sagt es mir nicht, aber ich weiß, dass er mich noch schonen will. Auch wenn ich das für überflüssig halte, kommentiere ich das nicht.
Lola hat sich bereits in das Auto gesetzt. Fröstelnd puste ich in meine Hände.
„Was für eine geniale Idee", knurrt Milo neben mir. „Buffy hat es gut. Er genießt die Wärme Zuhause und eine Streicheleinheit von Mason!"

Leise lache ich auf. Gemeinsam heben wir die letzte Kiste in den Kofferraum, bevor ich ihn schließe.
„Vielleicht hat Buffy auch wieder auf sein Bett gebrochen!"
Erschöpft lasse ich mich auf den Fahrersitz fallen. Sobald die Tür zufällt, atme ich laut auf. Es ist verdammt kalt draußen. Der eisige Wind der letzten Tage hat wieder zugenommen.
„Dann hätte er schon angerufen", bemerkt Lola auf meine Bemerkung hin. Sobald ich den Motor angelassen habe, schaltet sie sofort die Sitzheizung an. Dass sie bei ihrer Klamottenwahl friert, ist mir vollkommen klar. Trotzdem würde ich nichts dagegen sagen. So ist sie nun mal. Und das lieben wir alle an ihr.


𝓐𝓵𝓼 𝓲𝓬𝓱 𝓭𝓲𝓬𝓱 𝓽𝓻𝓪𝓯Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt