43. Kapitel: Meisterung des Pendels

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~ Yuya ~ 

In leuchtendbunten Farben ragte das Zelt vor uns auf. Der Platz davor war menschenleer. Kein Geräusch war zu hören, und das war für einen Zirkus sehr ungewöhnlich. Das Kassenhäuschen war verlassen. Ein Schild, dessen Inschrift fast verblasst war, schwankte im Wind hin und her, wobei die Scharnieren leise quietschten. Ein kühler Wind wehte über den Vorplatz.

Während Shun und ich über den Kies liefen, ließ ich meinen Blick schweifen.

Links reihten sich einige Schieß- und Spielbuden. Normalerweise herrschte da ein reges Treiben, da die Menschen, vor allem Kinder, auf kleine oder größere Preise hofften. Hinter dem Zelt ragte das Riesenrad in den hellen, bunten Lichtern. Doch es stand still. Rechts verwahrlosten die Imbisswagen und Süßigkeitsstände. So sehr mich dieser Ort an einen Jahrmarkt erinnerte, hatte es nichts mit ihm gemeinsam. Dafür war es viel zu ruhig.

„Wieso überrascht es mich nicht, dass meine Prüfung in einem Zirkuszelt stattfindet?" Ich schlug die Plane beiseite, damit Shun und ich ins Inneres des großen Zeltes eintreten konnten.

„Weil es zu dir passt, Zirkusjunge.", erwiderte Shun mit einem kleinen Grinsen.

„Mhm. Ariya hatte dies bezüglich etwas erwähnt." Neugierig sah ich mich um. Die Manage und die Sitzbänke der Zuschauer waren menschenleer. Dabei war ich anderes gewöhnt. Wann immer ich den Zirkus betrat, wurde ich von einem jubelnden Publikum begrüßt. Ich mochte es, im Mittelpunkt zu stehen und ihnen meine Kunststücke vorzuführen. Dass ich mich dabei oft zum Affen machte und sie über mich lachten, erheiterte mich sogar.

Mein Blick schweifte zur Spitze des Zeltes. Verwundert blinzelte ich, als ich meinen Anhänger erblickte. Bis vor kurzem befand er sich noch in Ariyas Besitz. Wie er hierher bekam, war ein Rätsel.

Für einen Zirkusjungen wie mich war es nicht schwer, über eine Leiter nach oben auf ein Podest zu schwingen und mich an den Seiten hinaufzuangeln. Als ich die Hand nach dem Anhänger ausstreckte, stießen meine Finger gegen eine unsichtbare Wand. Ich versuchte es erneut. Fehlanzeige. Dann tastete ich die Barriere ab, fand aber keinen Schwachpunkt.

Nachdem ich wieder unten neben Shun stand, sah ich ihn fragend an und legte dabei die Arme hinter den Kopf. „Ähm. Wie bekomme ich meinen Anhänger zurück?"

„Mithilfe von Yugo, Yuto und Yuri.", antwortete Shun, die Arme verschränkt.

„Achso. Wenn's weiter nichts nicht." Ich kratzte mich am Nacken.

Ähhhh . . .

WAS?

Mit einem leisen Schrei sprang ich nach hinten, wobei ich über meine eigenen Füße stolperte und beinahe auf den Hintern landete. „Waaaaas? Wie soll das denn gehen? Du weißt schon, dass ihre Seelen in meinem Anhänger versiegelt sind?!"

Shun sah sich kurz um. „Nicht mehr. Sie sind in den Spiegeln dort drüben gefangen. Du wirst sie befreien müssen, Yuya."

Die Spiegel standen verteilt in drei Himmelsrichtungen. Mir waren sie zuvor nicht aufgefallen, vor allem, weil sie nicht hierher passten. Klar benutzten wir Artisten viele Spiegel für unsere Tricks, doch die waren versteckt und vom Publikum nicht erkennbar.

Als ich mich dem nördlichen Spiegel näherte, ging von ihm ein Leuchten auf. Am oberen Ende des goldenen Rahmen waren Ranken eingraviert. Ich streckte die Hand aus.

Überrascht stellte ich fest, dass ich durch den Spiegel hindurchgreifen konnte. Meine Hand glitt hinein, als wäre es nur eine Illusion. Kurz zögerte ich, zuckte dann mit den Achseln und trat entschlossen in die Spiegelwelt ein.

Drachenstern Saga - Part 1 - Die Legende der DrachenreiterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt