1 ☾ ER

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»Na, Fritzi. Was hast du uns schon wieder angeschleppt?« 

Sieht aber komisch aus, nicht, dass sie wieder an irgendeinem Garten der anderen war. Was soll ich da auch sagen?! Sie liebt es für ihr Leben gern dort zu schnüffeln und ihre Runden zu drehen. 

Aus ihrem Maul ausgespuckt hat sie mir ... Hm ... Was ist das? Die ganzen Sabberfäden, die sich darum hangeln, lassen es nicht unbedingt besser aussehen. Als ich es greife, bemerke ich schon an der Beschaffenheit, was es sein könnte. Aber die alte Grosche – in deren Garten sich Fritzi liebend gerne sonnt – trägt so etwas doch gar nicht. 

»Ja, also vielen Dank. Aber da ich keinen Geburtstag habe, darfst du diesen besonderen Schuh gerne behalten.« 

Grinsend wende ich mich ab. Bevor es dunkel wird, möchte ich das Holz und die Werkzeuge verstaut haben. Also mach ich mich mal ran. Auf den Feierabend freuend summe ich wie üblich vor mich hin. Fritzi mag es. 

»So, komm. Es geht heim.« 

Warum auch immer, sie nimmt ihr neues Spielzeug mit. Zu Hause lehne ich mich in meinen Sessel zurück und schließe für einen Moment die Augen. Feierabend. Nur einen Augenblick ausruhen, bis mein Magen sich meldet, und schön meine Füße hochlegen. Hach, ja, so lässt es sich leben. 

Lautes Gebell. Scheiße. Was ist denn jetzt passiert? Wie spät ist es? Ich sitze immer noch im Sessel. Oh, aus dem Moment ist wohl ein wenig mehr geworden. Ich strecke mich und rufe nach Fritzi. Sie kommt nicht. Komisch. Dafür bellt sie nach wie vor, es klingt, als würde es von draußen kommen. Noch einmal recke ich mich, um dann aufzustehen. 

»Hey meine Kleine«, versuche ich sie zu beruhigen, auch wenn sie gar nicht so klein ist mit einer Schulterhöhe von vierundfünfzig Zentimetern. »Was ist denn los, hm?« 

Ich verfolge mit meinen Augen die Richtung, in die sie schaut. Ach du ... Ich rapple mich auf, hole aus der Hütte schnell meine Taschenlampe und knipse sie an. 

Warum rennt die denn so? Ich winke ihr zu, erleuchte den Weg mit meiner Taschenlampe. Sie scheint vor jemanden davon zu laufen. Ein paar Mal versuche ich mit meiner Lampe der Ursache auf den Grund zu gehen, aber ... Da ist nichts. Außer ihr Keuchen. Verflucht. Sie sieht schrecklich aus wie jemand aus den damaligen schlimmsten Horrorfilmen. Ein Schauer durchzuckt mich, welcher meine kleinen Härchen aufsprießen lässt. Ich spüre die kleinen Erhebungen auf meiner ganzen Haut. Das ist auch das Einzige gerade. Wie gelähmt stehe ich da und weiß nicht weiter. Fritzi wird schon aufpassen. Hoffe ich. 

Wenn sie gerade kein Schreckensbild abgeben würde, würde ich denken, dass sie bei einem Slalom Wettlauf mitmachen würde, so wie sie da durchläuft. 

Endlich scheint sie mich zu sehen. Vielleicht beruhigt sie das. Oder eben auch nicht. 

Ich höre, wie sie etwas rufen möchte – wie auch nicht, wenn sie gerade mal ein paar Laufschritte von mir entfernt ist –, Sinn ergibt es nicht. Oder doch? Was soll 'Puh' bedeuten? Erleichterung? 'Puh' wäre nicht unbedingt das Erste, was mir einfallen würde. Aber ich bin auch noch nicht wie ein Irrer durch diesen Wald gelaufen. Also wer weiß? Vielleicht ist es angemessen. Was denke ich hier? Richte deinen Fokus wieder auf das Wesentliche, ermahne ich mich selbst. 

Oh nein, sie sieht doch wohl das Teil. Lass es sie bemerken! Mist. Sie hat es nicht gesehen. Warum habe ich denn nichts gesagt? Jetzt liegt sie da. So ein verfluchter Apfelkack. Wie konnte sie den quer liegenden Baumstamm direkt vor sich übersehen? 

Fritzi springt sofort auf und vergewissert sich nach ihrem Zustand. Ich tapse ihr vorsichtig nach, in meiner Hand nach wie vor die Taschenlampe. Ach du Schreck! Sie ist noch ein Kind! Was ist nur passiert? 

Ein erneuter Schauer überkommt mich, der sich nach und nach langsam von unten meinen Rücken wieder hinauf kreucht. Was ist hier los? Ich beleuchte den angrenzenden Wald ... Da ist nichts ... Oder nichts mehr?! Es schüttelt mich. 

Was nun? Denk nach, denk nach! Fritzi wird auch schon ganz unruhig. Ich bücke mich zu ihr, streichle sie zur Beruhigung. Oder zu meiner?! 

»Okay, okay«, sage ich zu mir oder Fritzi. Genau kann ich das nicht einordnen. Ich kann das Mädchen wohl kaum hier einfach so liegenlassen. Eventuell hat sie sich verletzt. Das könnte ich nicht ... Nicht schon w... Nein! 

»Hallo?« »Hallo.« »He-ey.« Verdammt. Sie reagiert nicht. Mist. Dann werde ich sie nun vorsichtig hochheben und tragen müssen. Eigenartige Kleidung. Irgendwie. Das wird Ärger geben. Sie scheint aus anderer Schicht zu sein. Mit solch einem weichen und dann auch noch violetten Stoff, zudem ich den Namen nicht einmal kenne. Was tue ich mir hier nur schon wieder an?! 

»Aber ich kann sie hier nicht liegen lassen, oder?«, frage ich Fritzi, die mir natürlich nicht antwortet. 

Nein, das kann ich nicht, beantworte ich mir selbst meine dämliche Frage. Beim Hochheben klackern ihre Schmuckstücke aneinander. Nicht zu wenige. Mehrere Hals- und Armbänder in verschiedenen Farben. Kinder eben. Ich bin einfach froh, dass sie augenscheinlich keine offenen Wunden hat, bisher spüre ich zumindest kein tropfendes Blut. 

»Komm Fritzi, wir gehen rein.« 

Drinnen angekommen stoße ich die Tür mit meinem linken Fuß zu und gehe direkt auf Frid..., auf das Zimmer vor mir zu. Hier kann sie schlafen, sich ausruhen. Für sich allein. So wie sie aussah ... So verschreckt. Ich weiß nicht, ob ich mehr Angst vor dem Mädchen oder der Geschichte habe. 

Aber ihr möchte ich auf keinen Fall noch mehr Angst bereiten. Ihr blondes langes Haar ist ganz nass. Was ist nur mit ihr geschehen? Irgendwer muss ihr etwas angetan haben. Diese Furcht in ihren Augen, als sie angerannt kam ... 

Noch schnell, aber bedacht die Decke über sie herüberziehen und dann raus hier. Bevor mich der eisige Schauer noch völlig in seinen Bann ziehen kann. 

Vor dem Zimmer lehne ich mich mit meinem Rücken an die Wand neben der Tür ... War das richtig oder nicht? 

Die Wand hinter mir presst sich dichter und dichter an mich heran. Es wird unerklärlich ... eng. Der Boden wankt und ... kommt näher? Gleichzeitig verschwimmt meine Sicht, und alle Seiten erscheinen kurz nacheinander vor meinen Augen ... Meine Beine ... Meine Hände ... Ein Zittern ... Vielmehr ein Beben ... 

... und da erscheint mir ihr Gesicht. Ein fröhlicheres Lachen habe ich noch nie gehört. Oder gar gesehen. Während sie unbefangen auf der Wiese läuft. So frei und unbeschwert. Ihre blonden gewellten Haare in dem leichten Wind ... Begleitet von diesem fröhlichen Lachen ... schwingen ihre Arme bei jedem Schritt mit ... 
Meine Hand möchte ich ausstrecken. Nach ihr. Doch irgendwie weiß ich, ... dass das hier nicht real ist. Kann es nicht sein ... 

»Frida«, pressen meine Lippen aus mir raus. Frida. Erschrocken bemerke ich, dass ich nicht mehr an der Wand lehne. Sondern auf dem Boden liege. Mit dröhnendem Kopf rapple ich mich schnell auf. 

Ich schaue nach oben und auch wenn es nur die Decke meiner bescheidenen Hütte ist, stelle ich mir vor, es wäre der Himmel. 

»Es tut mir leid, Rita und Siggi. Es tut mir so unendlich leid«, spreche ich voller Reue hinauf, obwohl ich den Glauben an etwas Mächtigeres schon lange verloren habe. Aber ... es tut mir leid. Ich habe versagt. 

Hat-SchiWo Geschichten leben. Entdecke jetzt