25 ☾ ER

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Den weichen Pullover halte ich immer noch in der Hand ... Ich weiß gerade nicht, was ich tun soll. Wo lang? Warum liegt der hier? Das plötzliche Rascheln in den Bäumen am Rand des Sees macht mich aufmerksam. Vögel. Wurden sie gerade aufgescheucht? Ich horche um mich, kann aber nichts ausmachen. Fritzi scheint nicht die Ruhe im Hund zu sein, aber sie kann sicherlich ebenso Fias Duft ausmachen. Vielleicht sollten wir uns erst einmal einen abgelegenen Platz suchen, um einen neuen Plan zu schmieden. Ich kann die Gründe nicht greifen, aber dieser See ist mir so behaglich wie eine Hand vor einer nicht rotierenden Kreissäge zu halten. Still und doch bedrohlich.

Gerade spitze ich meine Lippen, um Fritzi herpfeifen zu wollen, da kommt sie angerannt und versteckt sich hinter meinen Beinen. Wenn das als Verstecken durchgeht bei ihrer Größe. Irgendetwas muss hier los sein. Ihre Ohren sind gespitzt, ihre Rute eingeknickt und ein leichtes Zittern kann ich spüren, was durch ihren Körper geht. Jemand ist wohl im Anmarsch.

Bedacht gehe ich mit ihr auf einen der Bäume zu, um hinter einem dicken Stamm Schutz zu suchen. Die Signale – Vögel, Fritzis Körper, mein Gefühl – deuten darauf hin, dass sie, wer auch immer kommt, auf der anderen Seite des Sees eintreffen werden.

Dieses Mal liege ich richtig. Drei Pferde mit ihren Reitern machen einige Momente später durch ihre herannahenden Trabgeräusche auf ihr Ankommen aufmerksam. Angespannt linse ich hinter dem Stamm hervor und hoffe, dass ich unentdeckt bleibe.

Wo wollen sie hin? Eine Runde schwimmen? Klar, es ist unser einziger intakter See hier weit und breit, aber ... Mir fällt kein 'Aber' ein. Vielleicht sind die Pferde auch durstig. Die Hufentöne verklingen. Wo sind sie denn jetzt geblieben? Sehen kann ich niemanden. Ich bewege mich weiter hinter den Baumstämmen, bis ich den Weg erkennen kann. Ach, verdammt! Die! Es ist diese Untersektion. Jene, die bei mir waren.

Die Einzige, die dort drüben lebt, ... ist Mathilde. Ich wende mich ab und presse meinen Rücken gegen den Stamm. Was hat das alles zu bedeuten? Der Pullover, Mathilde, die Untersektion ... Ist es so, wie es scheint? Wirklich?! Ich kralle meine Fingernägel in den Baum rein. Mathilde ... Sie gehört zu ihnen, steckt mit ihnen unter einer Decke. Wie kannst du nur?!

Und dann auf einmal durchflutet mich eine schreckliche Erkenntnis. Wenn es stimmt, was ich denke ... Dann ist Fia in Gefahr. Sie ist bestimmt dort drüben. Bei ihr. Bei der Verräterin. Mein Blick wandert zu Fritzi, den Pullover halte ich immer noch in meinen Händen. Ich muss handeln. Das darf sich nicht wiederholen. Auf keinen Fall. Das lasse ich nicht zu!

Schnell binde ich den Pullover an Fritzi fest und hoffe, dass sie versteht, was zu tun ist. Langsam und geduckt bewege ich mich auf den See zu. Um keine Zeit zu verlieren, gehe ich mit allem, was ich anhabe, ins Wasser. Noch einmal schaue ich zu Fritzi. Sie sitzt an der gleichen Stelle. Gut. Mit sanften Bewegungen ziehe ich mich durch das Wasser. Ich gebe Acht, dass ich keine zu hektischen Schwimmzüge mache, da ich keine Aufmerksamkeit erregen will. Das wäre viel zu früh. Zum Glück bin ich auf der anderen Seite am Ufer zunächst durch den Abhang abgeschirmt. Auch wenn ich nicht verstehe, warum sie die ganze Zeit vor dem Haus stehen bleiben, bin ich froh darum. So lange ist Fia noch sicher und mir bleibt noch Zeit. Wofür auch immer. Einen Plan habe ich nicht. Außer, dass ich es nicht zulassen werde, dass sie sie bekommen werden. Ich verschnaufe noch kurz, um meine letzten Kraftreserven mobilisieren zu können. Da höre ich sie auf einmal wieder reden. Nur jetzt kann ich ihre Wörter auch verstehen.

»Bist du dir sicher?«, fragt der Anführer streng, aber auch genervt. Seine Stimme erkenne ich sofort.

»Ja. Definitiv. Sie ist es. Ich habe doch das Bild von euch. Außerdem spricht sie so, wie ihr es gesagt habt.« Mathilde ... Warum nur? Wegen deines Haus? Oder warst du schon immer eine von denen?

»Wo ist sie jetzt?«

»Drinnen. Sie kocht. Im Glauben, dass wir heute Gäste zu Besuch bekommen.«

»Gut Mathilde. Gut gut. Und was ist mit unserem speziellen Freund?«

»Du meinst Frederik?« Verflucht! Stimmt, wir haben uns ja getroffen. »Den habe ich letzte Nacht getroffen, aber er scheint nichts zu wissen.«

»Na, hoffen wir es.«

»Wollt ihr dann reinkommen? Die Kleine ... ähm ... abholen?«

»Einen Happen essen könnten wir ja dennoch erst einmal.« Ihr hämisches Lachen macht mich rasend. 

Meine Wut steigt dadurch wieder ins Unermessliche. Sie plaudern da, als würde es sich um irgendetwas Alltägliches handeln. Mein ganzer Körper spannt sich an. Automatisch schnellt mein Körper den Abhang hoch. Dann hechte ich den kurzen Weg bis zu ihnen, komme aber mit einem gewissen Abstand zum Stehen. Mein Verstand braucht etwas länger aus dem Versteck bis hierher. Nun stehen wir alle verdutzt da. Was habe ich mir dabei gedacht? Das Wasser tropft noch immer von meiner Kleidung runter, doch das sowie die Kälte blende ich aus. Meine Wut auf diese Leute, auf das ganze System nimmt immer mehr zu. Was die sich nur immer wieder einbilden ... Es geht zu weit!

Gerade will ich ansetzen, um irgendetwas zu sagen, da wird die Tür hinter Mathilde aufgerissen. Fia. Ihr entsetztes Gesicht blickt mich an. Bleich, voller Panik. Sie sieht noch schlimmer aus als bei unserer ersten Begegnung. Kurz schaut sie die anderen an und richtet dann ihren Blick wieder auf mich.

Mathilde will sie gerade wieder ins Haus drängen, da bemerke ich im Augenwinkel, dass die drei Männer auf mich zukommen. Jetzt muss ich handeln. Ich weiß, dass zwei von ihnen eher langsam sind. Keine guten Sportler, nur eben erpressbar und machtgierig. Denen kann ich also gut ausweichen. Also ich gegen den Anführer. Selbst Mathilde und Fia bleiben in der Tür stehen, um unseren Spektakel beizuwohnen. Ich musste damals das Kämpfen lernen, also habe ich Chancen. Fragt sich nur, wie hoch die sind. 

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