46 ☾ SIE

54 9 101
                                    

»Octri-Was?«, fragt er nach.

Ich beginne zu lachen. So in der Art hatte ich das geplant. Ich wollte die Stimmung wieder etwas auflockern. Frederik ist ein Guter. Zwar hat er etwas richtig Blödes gesagt, aber ... sonst war er bisher derjenige, der da war und ist. An meiner Seite. Auch wenn ihm das gar nicht bewusst scheint, was er alles für andere tut. Er ist ein aufrichtiger Mensch.

»Das habe ich mit dieser komischen, verdrehten Sprache immer gesagt, wenn ich 'Danke' sagen wollte.«

»Das klingt ja gar nicht so übel«, meint er und seine Stimme wird wieder etwas sicherer. Ja!

»Geht so. Kommt irgendwie auch drauf an«, sage ich in einem neckischen Ton. »So, was machen wir denn nun?«, frage ich noch hinterher.

»Das ist eine gute Frage.« Er schnauft laut aus.

»Ja, danke. So gut, dass ich gerne eine Antwort darauf hätte«, belustige ich mich. Es wird doch gesagt, dass Humor guttut?!

»Wir brauchen einen Plan.«

»Einen Plan?«

»Ja, bis wir wissen, wie wir weiterkommen«, er unterbricht sich. Er soll sich nicht schon wieder Vorwürfe machen.

»Frederik, ist okay jetzt. Lass uns das abhaken. In Ordnung?«

»Wenn das wirklich in Ordnung ist?«

»Ja.« Ich warte, bis er mir wenigstens mit einem Nicken zustimmt. »Also, bis ich wieder weiß, wie ich nach Hause komme ... Ich nehme an, das meintest du?!«

»Ja. Wir brauchen einen Unterschlupf. Zu lange an einem Ort könnte gefährlich werden. So könnten sie uns irgendwann finden. Und was machen wir mit Essen und Trinken? Eben all so was. Meine Freundschaften sind rar gesät hier ...«

»So was hast du nicht verdient! Keiner hat das. Es ist schlimm, wie Menschen hier behandelt werden. Und wie die Verteilung des Guts anscheinend aussieht. Ich meine, was soll das? Welcher Sinn steckt dahinter? Das ist doch alles–«

»Du meinst, wie die Waren verteilt werden?! Ja, die meisten bekommen das, was sie eben in die Hände kriegen. Also nicht viel. Nur einige Auserwählte, die Sektion des Stadtrats und der selbst natürlich auch, haben einfach alles mögliche. Ich weiß, du schaust dich wahrscheinlich um und denkst, dass wir alle arm sind und nichts haben, und vielleicht denkst du sogar, dass wir blöd sind oder so. Aber es war nicht immer so. Macht ist nun mal so.« Ich spüre richtig, wie Frederik es selbst mitnimmt. Dass er es sich auch anders wünschen würde. Immerhin gehört er nicht zu den Auserwählten.

»Nicht immer, Frederik ... Es ist erschreckend, wie es hier ist. Vor allem, wenn du sagst, dass es Dinge gibt, aber sie nicht jeder bekommt. Das ist grausam!« Ich hole Luft und da fällt mir noch etwas ein. »Frederik, ich halte dich nicht für dumm.«

»Nicht?« Er schaut zu mir, wie es manchmal Fritzi macht, als würde er sich meiner Worte vergewissern wollen.

»Nein. Überhaupt gar nicht. Ich finde, du bist ein starker und mutiger Mann, der alles für seine Mitmenschen macht. Außerdem hast du es geschafft, mir meine Sprache wiederzugeben.«

»Und trotzdem weiß ich nicht, was wir machen sollen. Also wohin wir vorerst gehen können und wir uns über Wasser halten sollen. Aber danke, Fia.«

»Ich heiße Jeu«, wage ich es endlich laut auszusprechen.

»Jeu?«

»Ja, na ja, als du das erste Mal gefragt hattest, da–«

»Hattest du deine Sprache nicht, stimmt.«

»Genau.«

»Jeu. Das ist ein schöner Name.«

»Ist abgeleitet von Freude und Spiel. Mein Papi wünschte sich, dass ich mir meine verspielte Art beibehalten möge.«

»Was für ein schöner Gedanke.«

»Eigentlich schon.« Papi ... Ich spüre, wie meine Kehle sich langsam verengt.

»Ist ihm doch ganz gut gelungen, besser gesagt dir.«

»Das würde ihn freuen zu hören.«

»Jetzt stehen wir immer noch hier und haben immer noch keine Antwort auf die Frage, wo wir hin sollen.« Frederik schüttelt mit dem Kopf und lacht. »Vielleicht sollten wir doch noch eine Nacht hierbleiben. Besser als ziellos aufzubrechen und gar keine Bleibe zu haben. Oder? Ich weiß es auch nicht so recht.«

»Das mit deinem ehemaligen Zuhause tut mir leid. Also, dass es nicht mehr da ist.«

»Ehemalig ... Nun gut ... Das stimmt dann also. Aber du kannst ja nichts dafür.«

»Dennoch bin ich ja der Grund dafür, nehme ich an.«

Ich grübele nun auch mit. Ich wundere mich schon, warum er es nicht vorgeschlagen hat, aber vielleicht vermutet er Misstrauen meinerseits gegenüber neuen Menschen?! »Können wir nicht erst einmal zu Waldtraud und Wilma? Oder ist es zu riskant? Oder zu nah an deinem ehemaligen Zuhause?«

Er sieht völlig verdutzt aus. »Du kennst die beiden?«

Hat-SchiWo Geschichten leben. Entdecke jetzt