22 ☾ SIE

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Immer noch warte ich auf ihre Reaktion. Sie scheint selbst gerade nicht zu wissen, was angemessen ist. Angemessen nach ihren Maßstäben. Eventuell ist sie verblüfft, dass ich aufgestanden bin oder sie versucht herauszufinden, was ich versuchte zu sagen. Oder auch etwas ganz anderes. Bisher zumindest schallte keine weitere Hand in meine Richtung. Ob das gut ist? Ich bin mir noch nicht sicher. Dem Drang, meine Sachen noch einmal zu betrachten, widerstehe ich bisher. Doch macht es mich wahnsinnig, dass sie hier sind.

Langsam findet sie zu ihrem abgedrehten Selbst wieder, räuspert sich und stellt sich aufrecht vor mich.

»Fia. Musst du vielleicht auf die Toilette?«, fragt sie mich nun wieder mit ihrer lieblichen Stimme, die mich anwidert. Mehr als das. Mit einem Nicken stimme ich dem zu.

»Einen kleinen Moment.«

Ich bleibe dort stehen, sehe sie den Raum verlassen und puste meine Anspannung aus. Dann atme ich tief ein. Sie lässt mich warten. Was auch sonst?! Ein kleiner Moment ist das sicher nicht. Aber wenn ich mich nun hinsetze oder wieder in das Bett krieche, werde ich es sicherlich bereuen. Also bewege ich mich nicht. Nach vielen Momenten – eher einer Ewigkeit – kommt Hilde zurück in den Raum. Ihre Erscheinung macht den Eindruck, dass ich diesen Test bestanden habe. Ob sie selbst darüber glücklich ist?! Ich weiß es nicht. Aber sie verstößt wohl selbst nicht gegen ihre Prinzipien, wenn ich es so irgendwie benennen soll.

»Nun gut. Auf die Toilette kann ich dich nicht gehen lassen. Aber ich gebe dir den hier. Also sei vorsichtig.«

Auch wenn ich es nicht wahrhaben will, nehme ich den Eimer nickend entgegen.

Kurz darauf befinde ich mich wieder alleine in meiner Zelle. Als Nächstes mache ich von dem Eimer Gebrauch, bevor sie wieder kommt und mich auch dabei noch erschrecken kann. Den Eimer schiebe ich so weit weg, wie ich nur kann, dennoch weiterhin für mich zu erreichen ist.

Daraufhin starre ich wieder auf mein Hab und Gut oder eher gesagt das von Frederik und seiner Mitbewohnerin. Das meiste davon gehört ja ihnen. Frederik ... 

Wieder auf die Dinge fokussieren ... Neben dem Beutel steht das bequeme Schuhwerk, an das ich mich mittlerweile schon gewöhnt hatte. Gerade so komme ich an den Beutel, den ich nach einem kurzen Vergewissern, dass niemand an der Tür steht, öffne.

Mein violettes Samtgewand befühle ich länger. Heimweh überkommt mich. Sehnsucht nach einem Ort, den ich nicht mehr kenne. Ich muss mich erinnern, ich muss hier raus! Liebend gerne würde ich mir die Hose anziehen, die mittlerweile anscheinend trocken ist und auch hier bei den Sachen liegt. Ich durchwühle den Beutel weiter. Dann schaue ich noch einmal auf den Stapel mit der Kleidung von gestern. Aber ich finde ihn nicht.

»Fia?«

Ich drehe mich um.

»Wir haben heute noch so einiges vor, mein Engel.« Sie macht eine Pause und guckt mich eindringlich an. »Wenn du versprichst, dich zu benehmen, dann nehme ich die da vom Bett ab«, verkündet sie, während sie auf die Kette deutet, »und wir können loslegen mit den Vorbereitungen. Hm?«

Ich nicke, obwohl ich meinen ursprünglichen Plan abzuhauen, wenn sie mich losbindet, über Bord geworfen habe. Ich denke nicht, dass es so einfach werden würde. Ich muss auf eine andere Chance hoffen.

Sie schreitet näher heran, was mich automatisch auf Distanz bringt.

»So kann ich aber nicht die Fessel vom Bett lösen.«

Da hat sie wirklich recht. Ich zwinge mich, einen Schritt auf sie zuzumachen. Stocksteif stehe ich vor ihr. Sie bückt sich, lässt mich dabei nicht aus den Augen und greift zum Schloss der Kette. Es kostet mich jegliche Kraft, nicht vor ihr zurückzuweichen oder gar auf zu winseln. Sie macht mir Angst. Aus ihrer Tasche holt sie einen Schlüssel, den sie in das Schloss führt und dabei klappt eine Vorrichtung hinunter. Dort tippt sie etwas ein. Leider kann ich nicht erkennen, was. Sie dreht den Schlüssel und die Kette löst sich vom Bett.

Instinktiv will ich vorausgehen, doch sie hält mich fest und schleudert mich zu sich rum.

»Du hörst auf das, was ich sage. Verstanden?«

Ich nicke. Ihre Stimme hat nun einen noch strengeren und ernsteren Ton angenommen mit einer solchen drohenden Schwingung, dass ich lieber wieder gefesselt am Bett sein würde.

»Gut. Dann komm mit. Wir kochen nun«, sagt sie im gleichen Ton weiter, indes sie sich schon auf den Weg macht. An der Tür des Raumes dreht sie sich zu mir um, wieder mit ihrem freundlichen Lächeln. Sie macht mich wirklich noch wahnsinnig. Wahnsinnig panisch. 

»Wir bekommen heute Gäste. Ist das nicht schön?« 

Hat-SchiWo Geschichten leben. Entdecke jetzt