32 ☾ SIE

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Es ist weg. In Schutt und Asche gelegt worden. Es wurde der Wüste um mich herum angepasst.

»Tiahigit«, wünsche ich flüsternd vor mich hin, damit aus dem Verbannten und Verbrannten Neues entstehen möge. 

Noch immer erschüttert über das Verhalten hier bemerke ich nicht, wie sich jemand nähert. Erst als es zu spät ist und ich aufschrecke, ohne dass ein Ton herauskommt. Denn eine Hand wird auf meinen Mund gepresst. Bilder strömen in meinen Geist rein, zuordnen kann ich sie nicht. Es ist wie eine ungeordnete Abfolge an Bildern, die in die richtige Reihenfolge gelegt werden wollen, doch sie sind zu schnell. Laufen in rasender Geschwindigkeit ab, ohne eine Chance für mich, sie fassen zu können. Einzelne Segmente kehren immer wieder zurück. Wie bei einem Puzzle scheinen sie zumindest eine Andeutung anzugeben, in welchen Bereich sie gehören. Erkennen kann ich den Mond. Er ist wunderschön und hell erleuchtend. Dann ist da wieder das rauschende Wasser, das eine beruhigende Wirkung auf mich hat. Stimmen dringen zu mir durch. Mehrere, zu viele, durcheinander, teils aufgebracht. Eine davon kristallisiert sich heraus. Ich erkenne sie. Es ist die von meinem Papa. Es ist Zeit, sagt er. An mich gerichtet. Ich weiß es. Mit der Erkenntnis trüben sich die Bruchstücke und vermengen sich erneut mit den anderen. Bis ich in einem Nichts aus Schwarz dastehe.

Benommen und vernebelt komme ich zu mir. Schnell realisiere ich, dass ich mich nicht mehr auf dem Pfad befinde, nicht mehr auf die Stelle schaue, auf der einst die Hütte von Frederik stand, sondern in einer mir fremden Umgebung. Haben sie es geschafft? Haben sie mich erwischt? Mein Bauch sendet blitzartige Spannungsstöße aus, die mich anspannen und erzittern lassen.

»Hey. Alles ist gut«, möchte mir eine liebevolle Stimme in einem langsamen Tempo mitteilen. Doch meine Angst will dem nicht glauben, schickt meine Augen auf Reisen, um hier alles zu erkunden. Ich liege auf einem Boden in ... einem Haus oder etwas dergleichen. Bitte lass es nicht bei Hilde sein, flehe ich innerlich. Noch einmal schließe ich die Augen, atme durch und stelle mich dem, was ich sehen werde. Den Raum kenne ich nicht mit seinen alt aussehenden Möbeln. Das Beben in mir nimmt ab, als mir bewusst wird, dass dieser Mensch sicherlich nicht Hilde sein wird. Die Regale, die mehr oder weniger vorhanden sind, sind eher leer als voll. Meine Sinne werden klarer. Mein Blick wandert weiter. Fritzi liegt dort ganz ruhig. Mein Bauch entspannt sich etwas mehr. Mit einem weiteren kräftigen Atemzug nehme ich meinen Mut zusammen und schaue noch weiter nach links.

Da sitzen zwei Frauen. Die Jüngere von ihnen kommt mir bekannt vor. Wir mustern uns kurz gegenseitig. Ihren Blick kann ich nicht ganz deuten. Dann blicke ich die ältere Frau neben ihr an, welche eine gutmütige Ausstrahlung hat. Jetzt, wo ich sie sehe und an Hilde denken muss, fühle ich sofort den Unterschied zwischen ihnen. Nicht anlässlich ihres Standes, ihrer Ausstattung oder solchen Dingen, sondern lediglich aufgrund ihrer Ausstrahlung und Wärme, die sie aussendet.

»Octri«, flüstere ich in dem Wissen, dass sie keine Ahnung haben, was ich ihnen sagen möchte und aufgrund dessen ich meinen Kopf direkt beschämt wegdrehe.

»Nicht doch«, sagt die Ältere. »Wilma, bringst du uns schon mal ein wenig Wasser?«, fügt sie an die Jüngere gerichtet noch an. Wilma steht auf. Geduckt schaue ich Wilma nach. Nachdem sie aus dem Raum gegangen ist, taste ich um mich herum und setze mich hin. Dabei krieche ich noch etwas zurück, um mehr Abstand zur Tür zu bekommen, damit Wilma nicht so nah an mir vorbeigehen muss. Erstaunt stelle ich fest, dass die metallene Schnalle um mein Fußgelenk verschwunden ist.

»Wilma hat sie abbekommen«, gibt sie mir die Antwort auf meine anscheinend ins Gesicht geschriebene Frage. Ein kleines Lächeln kann ich mir nicht verkneifen, obgleich ich noch nicht weiß, wie Wilma und ich zueinanderstehen.

»Wilma ist meine Nichte. Sie kann sehr tough und streng sein, aber das müssen wir auch in dieser Welt. Dennoch ist Wilma ein guter Mensch.« Kann die alte Dame meine Gedanken lesen? Oder sieht sie es mir so deutlich an?

Sie lächelt mich wissend an. Wilma kommt wieder rein und reicht mir ein Glas Wasser. Ich nicke ihr zu.

»Wir müssen leise sein. Die Leute denken, wir wären fort. Doch wir haben uns entschieden, hierzubleiben. Für euch«, klärt mich Wilma mit gedämpften Ton auf.

Wieder nicke ich, rücke aber sogleich etwas näher an die beiden ran. Dabei fallen mir die Bilder auf dem Tisch auf. Es ist das gleiche Mädchen wie auf Frederiks Bildern drauf abgebildet. Eine Gänsehaut erstreckt sich über meine Arme.

»Fia? Du heißt doch Fia oder?«

Ich zucke mit den Schultern, lasse es in ein Nicken übergehen. Ja, für die hier heiße ich so.

»Das ist Wilma und ich bin Waltraud.«

Wieder nicke ich.

»Kannst du mit uns sprechen?«

Ich schüttle mit dem Kopf.

»Das war nicht böse gemeint. Wir haben nur so einiges gehört und wissen einfach nicht, was stimmt und was nicht.« Waltraud macht eine Pause, in der sie Wilma vielsagend anblickt. Dann guckt sie wieder zu mir. »Wir wissen, wer dahinter steckt und da wir dich mit Fritzi alleine gesehen haben, denken wir, dass Frederik irgendwo gefangen gehalten wird.«

Ich nicke wieder und zeige in die Richtung, wo ich den Wald vermute.

»Hier. Das sind die Reste, die wir auftreiben konnten und hinten im Kamin hätten wir noch Ruß zum Schreiben ... notfalls.« Waltraud reicht mir dünne Plättchen und andere glatte Unterlagen, alle unterschiedlicher Größe und eine Art Stift. Als sie zum Kamin blickt, zeichnet sich ernsthaft Sorge auf ihrem Gesicht ab. Sie haben nicht viel und würden für Frederik alles geben. 

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