23 ☾ ER

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Jetzt, wo ich hier bin, ... prasselt es auf mich ein. Anders und doch genauso grausam. Ich weiß, sie ist fort. Sie wird nie wieder in meine Arme springen. Nie wieder. Nur weil ich nicht da war. Ich schaue hinauf und bemerke die Abermillionen von Sternen. Sterne. Menschen haben sich damals immer auf sie verlassen. Dieses Wissen scheint heute wie ausgestorben. Von dem Beginn an haben sie dort hochgeschaut und sich ihre Ankerpunkte gesucht, ihnen Namen gegeben – ob sie nun für uns einen Sinn ergeben oder nicht – und sich nach ihnen gerichtet. Bei uns im Heute spielt all das keine Rolle mehr. Wir haben zu gehorchen. Nur auf die. Auf nichts und niemanden sonst. Alles, was sie sagen, ist richtig und wenn wir es infrage stellen, ... trägst du die Konsequenzen oder noch schlimmer. Der Senatsrat und seine Leute. Ganz im Dienste seines Volkes, das ich nicht lache. Ich würge gleich noch bei deren Pauschalaussage meinen Magensaft heraus. Damit es nicht noch einmal zu einer katastrophalen Endzeit-Lage auf der Erde kommt. Bla bla bla. Ich kenne die Geschichten – oder Legenden? –, doch selbst wenn Menschen sich selbst und ihre Heimat ruiniert haben ... Hm ... Bedeutet das wirklich, dass uns alles vorgesagt werden darf? Dass wir wie Sklaven einer einzigen Gruppe leben müssen? Wer sagt, dass ausgerechnet die es besser machen? Handeln die nicht genauso? Innerlich brodle ich schon wieder. Fritzi setzt sich schon in Bewegung. Eine gute Idee, auch wenn ich eine andere Richtung gewählt hätte. Aber ich rapple mich auf. Im Dienste des Volkes ... IM DIENSTE? Und vor allem DES VOLKES? Für uns? Wohl kaum. Pah. Wohl eher für sich selbst. 

Offensichtlich ist die Erde trist ... Ich kicke irgendetwas Trockenes, was schon bei leichter Berührung zerbröselt, auf dem Boden weg. Und ja, verdammt, wahrscheinlich war sie einmal besser dran. Aber könnten die vorhandenen Ressourcen nicht besser verteilt werden, als sie es tun? Und was haben deren Regeln mit all dem – ob Legende oder nicht – zu tun? Das macht es doch nicht besser! Fritzi stupst mich mit ihrem Kopf an. Meine zur Faust geballten Hände lockere ich ... Augenblicklich spüre ich, wie angespannt ich bin. Stimmt, wir wollten weiter. Bewegung. 

Auf den Spuren meiner Vergangenheit wandere ich durch die hohen Gräser der Wiese. Dabei flattern nicht nur die Vögel über mich hinweg, sondern auch ungefiltert Bilder in mich hinein. Frida, wie sie hier rumläuft. Frida, wie sie lacht. Frida, wie sie spielt. Frida, wie sie mit der Natur im eins ist. Sowohl meine Gedanken als auch mein Blick schweifen über die Wiese, verfolgen die Szenen, kommen wieder bei der ungefähren Richtung an, aus der ich kam. Frida, wie sie gefasst wurde ... Frida ... 

All diese Erinnerungen ziehen mich ... nach unten. Zerren an mir. Stunden bin ich mittlerweile – offensichtlich – schon unterwegs. Ich fühle mich so ausgelaugt. Müde ... Erschöpft ... Ich kann nicht mehr. Während ich mich hinsetze, werde ich einen kleinen Moment so stark geblendet, dass ich mir meine Hände vor die Augen halten muss. Die Sonne steht am Horizont. Der Tag bricht nun richtig an. Kurz betrachte ich das Schauspiel aus den verschiedensten warmen Farben, die sich gerade verschmelzen und sich in die Höhe hieven. Ich schnaufe noch einmal tief aus und rapple mich doch schon wieder auf. Dann scheint mein Weg nun auch weiterzugehen.

Fritzi trottet vor, ich laufe ihr einfach nach. Wahrscheinlich ist sie durstig und will einfach nur zum See. Auch wenn ich den lieber meiden wollen würde, rufe ich sie nicht zurück. Nur noch ein paar Meter, dann sind wir auch da, das weiß ich, auch wenn es schon lange her ist. Je schneller wir da sind, desto schneller können wir auch weiter.

Fritzi wird immer hastiger, ich hechte ihr hinterher und falle beinahe den kleinen Hügel runter. Der ist zwar nicht hoch, aber dennoch hätte ich dabei und auch danach alle viere von mir gestreckt. Gerade so bekomme ich noch mein Bein mitgeschliffen und hüpfe minder elegant den Abhang hinunter und komme mit einem ziehenden Schmerz in der Leiste zum Stehen.

Pech und doof gelaufen.

Nach dem Fritzi ins Wasser springt, gehe ich auch näher ran und koste es. Oh, das tut gut. Meine Hände voller Wasser als Schale geformt, schütte ich mir mehrmals das Nass drüber. Erfrischend und aufweckend. Noch ein wenig trinken sowie mein dafür vorgesehenes Gefäß auffüllen.

Ich pfeife Fritzi zurück und da sie eh schneller als ich ist, gehe ich schon mal zum Abhang vor.

Aus dem Augenwinkel sehe ich mir etwas sehr Bekanntes. Es fühlt sich an, als würde alles um mich herum einfrieren, als würde die Zeit angehalten werden, als würde mein Herz stehen bleiben.

Ist das wirklich ...? Langsam, als fürchte ich mich vor dem Fleckchen Rasen, schreite ich darauf zu.

Die letzten Meter macht sich mein Herz wieder extrem bemerkbar. Es schlägt wie wild von innen gegen meine Rippen. Hektisch drehe ich mich um. Hier ist niemand außer uns. Zumindest ist nichts zu sehen. Ich sehe wieder dorthin, bücke mich, hebe ihn hoch und in die Hand ...

Sie muss hier gewesen sein. 

Hat-SchiWo Geschichten leben. Entdecke jetzt