30 ☾ SIE

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Ich weiß ganz genau, woher ich kam. Zielsicher, wenn auch noch weit entfernt, stampfe ich auf dem Boden auf und gehe darauf zu. An diesem Abend kam ich aus dem Wald. Das bedeutet, dadurch muss ich gehen. Müssen wir, meine ich natürlich, während ich zu Fritzi blicke. Doch zunächst müssen wir dahin kommen. Hoffentlich finde ich den Weg dorthin wieder. Oder zumindest Fritzi versteht, was ich vorhabe. 

Wir müssen vorbei an der Stadt, an Frederiks Haus, ... und dann ... durch den Wald ... Dieser Gedanke lässt meine Haut aufsprießen und mir wird ganz mulmig. Aber es nützt nichts. Er kann doch am wenigsten etwas dafür. Und doch verfliegt einiges meiner Zuversicht. Ich bin keine Kriegerin.

Automatisch drehe ich mich um mich selbst, gehe zielstrebig auf den dicken Ast zu, der am Boden liegt, betaste ihn. Ich weiß, dass dieser sich gut für einen Bogen eignen würde. Doch woher weiß ich so etwas? Bevor ich mir das beantworten kann, lasse ich meine Instinkte weiter handeln. Ich suche im Rucksack nach geeignetem Werkzeug und siehe da, Frederik hat an einiges Nützliches gedacht. Meine Skepsis mir selbst gegenüber hindert mich daran, den Bogen anzufertigen. Außerdem, ... woher soll ich eine Sehne nehmen? Und schon greifen meine Hände um und beginnen den Ast näher zu begutachten. Ich habe keine Ahnung, warum ich das hier tue oder woher ich dieses Können habe. Doch im nächsten klaren Moment sehe ich mich schon am Anspitzen der einen Seite des Astes. Ein Speer soll es nun werden. Na immerhin. Ich glätte das ganze Holz, sodass es angenehmer in der Hand liegt. Was ich nicht anscheinend alles kann ... 

Immer noch erstaunt über mich selbst, frage ich mich, wo die Instinkte waren, als ich bei Hilde eingesperrt war. Da fällt mein Blick auf das Überbleibsel der Fessel. Beim Weglaufen – obwohl ich es nicht für möglich hielt – fiel die Kette ab. Nun dekoriert nur noch dieser Reif mein Fußgelenk. Schwer genug ist es. Vielleicht war ich bei ihr zu ängstlich.

Mit dem Speer und Fritzi fühle ich mich sicherer. Wir setzen uns in Bewegung. Erstaunt wiege ich nach einigen gelaufenen Metern und an einem mir unbekannten Ende der Wiese den Speer in meiner Hand und komme glücklicherweise zu dem Schluss, dass ich ihn auch länger tragen kann. Dabei funkelt mir mein Mond am linken Arm vor meinen Augen entgegen, welchen ich schon wieder vergessen hatte. Unter diesen vielen Schmuckstücken, die ich an mir trage, wovon ich leider auch ein paar verloren habe, zieht mich dieses am meisten in den Bann. Seine Bedeutung ist wichtig, das spüre ich, aber noch kann ich sie nicht greifen. Bestimmt – ich hoffe es sehr – fällt es mir wieder ein. Es ist doch nicht ohne Grund fest mit mir verankert.

Hoffentlich sind wir schon in der Nähe zu Frederiks Hütte und müssen gar nicht mehr durch die Stadt. Als könne er mir Antworten geben, komme ich nicht drumherum wieder mit meiner einen Hand das große Mondsymbol, welches in einer Art Haut-Armband integriert ist, zu drücken. Wieder reibe ich mit meinen Fingern daran. Trotz des Tageslichts kann ich ihn leicht leuchten sehen.

Fritzi wuselt auf einmal zwischen meinen Beinen herum, was mich aufscheucht. Überrascht blicke ich nach rechts und links. Oh, ich bin wohl einfach weitergegangen und stehe mitten auf einer Weggabelung. Irgendwie kommt es mir sogar bekannt vor. Sanft streichle ich über Fritzis Rücken, da ich ihr dankbar bin, dass sie mich aufmerksam gemacht hat. Während ich meine Hand mehrmals über sie streifen lasse, überlege ich angestrengt, wo ich sein könnte. Die Wege – sowohl der nach rechts als auch der nach links – sehen trostlos und trocken aus, als würden sie einen in eine sandige Wüste hinein führen. Einzig die von weiten erkennbaren zerfallenden Hütten lassen ein wenig das Leben abseits der Körner erahnen. Moment mal. Ich fixiere eine Hütte noch genauer, halte meine Hand als Abschirmung gegen die kräftige Sonne über die Augen ... Das da hinten ... könnte ein Wald sein. Aber dann muss doch Frederiks Hütte ... Dieser Anblick ... Heiß und kalt zugleich. Mir läuft ein Schauer über den Rücken, der in mich eindringt und mein Innerstes in eine eisige Welt zu verwandeln droht. Gleichzeitig wird mir von innen so heiß, dass mein Körper nicht anders kann, als zu triefen. Kalt und heiß. Die gegeneinander kämpfen, während ich geschockt auf die Überreste der Hütte blicke, die ich von hier erahnen kann. Von meinem ersten Zufluchtsort in dieser Welt. Der nun nicht mehr existiert.

Wut lässt meine Hände zu Fäusten ballen, während Trauer meine Wangen benässt. Frustration breitet sich aus. Ich stehe starr da. Unfähig mich nach vorn oder hinten zu bewegen. 

Hat-SchiWo Geschichten leben. Entdecke jetzt