Gespannt, was sie mir jetzt erzählen wird, warte ich ab. Gleichzeitig hoffe ich, dass sie mich von den Dingen verschont, die ich schon weiß. Ein bangendes Warten. Während ich ihr ins Gesicht schaue, wird mir bewusst, dass ich gar nicht viel über sie weiß, nicht mal ihr Alter. Die Falten um ihre Augen sowie ihr ergrautes mittellanges Haar verraten mir auch nicht mehr, als ich bereits angenommen hatte. Dass sie schon etwas älter ist. Ihr Blick schweift wieder zu dem gleichen Fenster, als würde sie nach dem Beginn der Geschichte suchen. Ihr Garten ist von hier aus zu sehen, der schon einmal im besseren Zustand war. Früher konnte sie sicherlich von dem Fenster aus die schönen Blumen betrachten, die wir heute nur noch erahnen können. Ich weiß noch, dass sie gelb, rot und violett waren.
»Wissen Sie, ...«, beginnt sie mit krächzender Stimme, woraufhin sie sich unterbricht, um sich zu räuspern.
»Mister ... Frederik. Nun gut, ich gebe zu, ich weiß nicht, wie ich beginnen soll.«
»Wie haben Sie sich denn kennengelernt?«
»Wir wohnen ja nicht weit voneinander entfernt. Sie und ich kennen uns doch auch. Wenn vielleicht auch nicht so gut.«
»Das meine ich nicht. Wie kam es, dass ... äh ...«
»Frida und ich eine engere Bindung aufbauen konnten?«
Ihr Name versetzt mir jedes Mal einen Stich, macht mich unfähig, vernünftig zu handeln, daher nicke ich ihr lediglich zu.
»Frida stand eines Tages bei mir im Garten, während ich hier in diesem Sessel saß und wie üblich raus aus dem Fenster sah. Damals blühten noch die Rosen, zumindest ein Teil davon. Heute leider nicht mehr. Wenn ich raus schaue, versuche ich mir die Bilder von längst vergangenen Tagen vorzustellen. Ich denke, sie ahnte nicht, dass ich sie sehen kann. Sie schien mutig und kokett, dass sie einfach in einen fremden Garten eindrang, das waren meine Gedanken. Aber genau das fand ich auch faszinierend an ihr. Für ein Mädchen in unserer Welt, wie wir sie leider erleben, war sie doch sehr aufgeschlossen. Es hat mein Herz erwärmt. Natürlich wusste ich, dass sie bei Ihnen lebt, was mit ihren Eltern geschehen war. Tragisch. Ein junger Mensch, der Eltern beraubt, und das in so einer Welt. Jedoch wusste ich schon damals, dass Sie ein guter Mensch sind. Sie hatte also eine ehrliche Chance, irgendwie durchzukommen. Ich kann mir denken, dass Sie durcheinander sind. Ich habe Sie schon fluchen hören. Über mich. Hah. Nicht schlimm. Seit dem, was mit Frida passierte, sind Sie sowieso nicht mehr der Gleiche.«
Die Worte stehen in der Luft, zwischen ihr und mir. Ich versuche, sie zu ordnen. Sie mochte Frida. Das ist spürbar. Und sie hält mich wirklich für einen guten Menschen?! Unmöglich. Als sie tief einatmet, blicke ich wieder auf.
»Sie stand da nun. In meinem Garten. Und ich beobachtete sie. Ihre Beweggründe, warum sie da war, sind nie raus gekommen. Ich schätze mal, es war eine Mutprobe unter Freunden, ein Scherz von ihr selbst oder sie hatte sich wirklich den Garten ansehen wollen? Es ist ja auch gleich. Sie war da und erhellte mir den Tag. Ihr Lachen drang unmittelbar zu mir durch. Mal so glockenhell und dann wieder so derb, wie es nur geht. Zum Amüsieren. Ich erhob mich vom Sessel und klopfte gegen die damals noch heile Scheibe des Fensters. Sie erschrak und fing dann an zu lachen. Und dann ging alles ganz schnell. Ich ging zur Hintertür und bat sie hinein. Vermutlich dachte sie, sie würde nun Ärger bekommen. Zumindest sah sie so aus, als würde sie für die Rolle eines Unschuldslamms proben.«
So begann es also. Typisch Frida. Selbst bei mir zucken jetzt dabei die Mundwinkel.
»Schnell verdeutlichte ich ihr, dass mir das nichts ausgemacht hatte – ausnahmsweise.«
»Aber was wollten Sie dann von ihr?«
»Mich vergewissern, ob es ihr gut geht. Es hätte ja auch sein können, dass sie sich vor jemanden versteckt.«
»Aber so war es nicht?«
»Nein, nein. Zumindest sagte sie das und es schien der Wahrheit zu entsprechen. Also ließ ich es darauf beruhen. Sie traute meiner Güte jedoch nicht. Ich bat sie, sich hinzusetzen und sie fragte 'Warum', so ungeduldig, wie sie manchmal sein konnte. Ich erwiderte, dass ihr doch bisher ein Stuhl noch nichts getan habe, worauf sie sich auf eben diesen plumpsen ließ. Und das war der Beginn einer wunderbaren Bindung. Ich liebte Ihre Frida, wie eine Großmutter ihre Enkelin ... und was mit ihr geschehen ist, ... furchtbar.«
Bei ihren Worten – vor allem den letzten – kehren wieder die Bilder zurück an diesen einen Tag. Den ich verbannen will. Ich versuche ihn schnell wegzuschieben, in irgendeine Ecke, ganz egal. Luft holen. Wegschaffen. Luft, weg, ...
»Also wollten Sie dadurch Zeit schinden, um sich einen Grund auszudenken, damit Sie beide sich öfter sehen können?«, fällt der Groschen nun auch bei mir.
Mein Gegenüber grinst mir zu. »Sie haben es verstanden. Aber Frida hatte es ebenso schnell herausgefunden. Das sind wohl Ihre Gene. Sie sprach mich unvermittelt darauf an, dass sie nicht die Pflege meines Gartens als Wiedergutmachung übernehmen würde.« Grosche zuckt mit den Schultern, nur ganz leicht und fährt dann fort. »Genauso reagierte ich ebenfalls bei Frida, das schien sie irritiert zu haben. Hach, sie konnte herrlich wundervoll mit Pflanzen umgehen. Sie hatte ein tolles Gespür dafür. Aber das wissen Sie ja sicherlich. Wie Sie sehen, sind sowohl Wilma, die es eine Zeit lang versuchte, noch ich dazu imstande. Entgegen ihrer Aussage kam sie dennoch weiterhin her, worüber ich mich sehr freute.«
»Sie haben ihr gutgetan«, presste ich heraus. Wie mir eben schon auffiel, muss es sich ja um die letzten zwei Lebensjahre von Frida handeln. Da erblühte sie genauso wie die Blumen in Grosches Garten.
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Hat-Schi
Science Fiction◦𝗦𝗰𝗶𝗙𝗶/𝗗𝘆𝘀𝘁𝗼𝗽𝗶𝗲-𝗔𝗯𝗲𝗻𝘁𝗲𝘂𝗲𝗿-𝗬𝗼𝘂𝗻𝗴𝗔𝗱𝘂𝗹𝘁◦ ||1.ᴘʟᴀᴛᴢ ɪɴ ᴅᴇʀ ᴋᴀᴛᴇɢᴏʀɪᴇ ›ꜱᴄɪꜰɪ‹ ʙᴇɪᴍ ʙᴏᴏᴋᴀᴡᴀʀᴅ 2024 ⁓ ɪɴꜱɢᴇꜱᴀᴍᴛ 2.ᴘʟᴀᴛᴢ | 3.ᴘʟᴀᴛᴢ ʙᴇɪᴍ ꜱᴜɴʀɪꜱᴇ-ᴀᴡᴀʀᴅ 2024 || 𝘡𝘸𝘦𝘪 𝘔𝘦𝘯𝘴𝘤𝘩𝘦𝘯 - 𝘡𝘸𝘦𝘪 𝘎𝘦𝘴𝘤𝘩𝘪𝘤𝘩𝘵𝘦𝘯. 𝘋𝘢�...