50 ☾ SIE

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»Genug davon. Lasst uns nun etwas essen und dann ausruhen. Wir sollten uns auch mal was Gutes gönnen«, spricht Waltraud in die unangenehme Stille hinein, die sich nach dem Geldthema aufgetan hat.

Für mich hat es kein Unwohlgefühl ausgelöst. Ganz im Gegenteil. Frederik ist stur – damit hat Waldtraud definitiv recht –, doch ebenso ist er selbstlos.

Wilma stupst mich an. Stimmt, es war auch ein Stichwort an mich. Essen. Wilma und ich haben schon das meiste vorbereitet, aber wir sollten uns sputen, denn noch ist nicht alles fertig. Ich folge ihr ganz schnell. Ich bereite gerne Essen zu und probiere mich dabei aus und nachdem sie mir erst kürzlich so vorurteilsfrei geholfen haben, finde ich es mehr als verständlich, wenigstens so etwas zurückgeben zu können. Zudem kann ich ja vielleicht noch etwas lernen. Und seit Längerem ist es – wie Waltraud meinte – eine friedvolle Situation, obwohl wir dennoch aufpassen müssen. Gemächlich schlendere ich mit den ersten Portionen wieder zum Tisch, an dem Waltraud und Frederik näher zusammengerückt sind. Kurz darauf erscheint Wilma mit zwei weiteren Tellern und einer Schale in ihren Händen. Die Schale stellt sie auf den Boden neben die Trinkschüssel für Fritzi. Sie läuft sofort hin. Es scheint ihr zu schmecken. Einen der zwei mitgebrachten Teller schiebt Wilma vor mich. Es riecht köstlich und unvermittelt breitet sich Geborgenheitsgefühl in mir aus. Nicht nur das dampfende Essen vor mir strahlt eine Wärme aus. Diese herzlichen Menschen um mich herum geben mir Kraft, Zuversicht und Sicherheit. So wie sonst mein Papi.

Wenn ich doch nur wüsste, wie ich zu ihm komme oder wie ich ihm wenigstens mitteilen könnte, dass es mir jetzt gerade gut geht, dass ich Menschen um mich herum habe, denen mein Wohlergehen am Herzen liegt ...

Durch den Dampf, den ich gerade wie hypnotisiert angestarrt habe, werden meine Augen glasig. Ich will meinen Blick abwenden, doch etwas hindert mich daran. Die Dunstschwaden schwingen hin und her, so als wollen sie mir etwas mitteilen. Ich weiß, dass es nicht so ist, doch ich kann nicht wegsehen. Sie formieren sich neu und ich komme mir wie bei Pantomime vor, wenn ich begeisternd mit raten möchte, was vor mir dargestellt wird. Mit den Augen blinzelnd versuche ich meinen Blick zu schärfen und noch tiefer in die Gefilde einzutauchen. Was um mich herum geschieht, habe ich schon längst ohne mein Zutun ausgeblendet. Das hier scheint allein wichtig zu sein. Meine Sicht verengt sich, konzentriert sich, wird zu einer Art Röhre. Und plötzlich ... Ohne darauf vorbereitet zu sein, ... trifft es mich. Ein inneres Zucken durchfährt mich.

Ich schrecke zurück. Verdammt. Das ist es?! Das Warum? Verflucht! Ich komme, Papi. Es tut mir leid.

»Wir müssen aufbrechen«, spreche ich in einer Stimmlage aus, die ich selbst nicht genau einordnen kann. Vielleicht eine Mischung aus Trauer und Enttäuschung, aber auch Hektik schwingt darin. Aber Erklären, das kann ich noch nicht, ich hoffe, das verlangt er nicht. Ich muss es selbst erst einmal begreifen. Aber ich weiß, dass ich schon genug Zeit hier verloren habe.

»Warte mal!«, kommt von Frederik überrumpelt, was ich ihm nicht übel nehmen kann. Doch ich bin schon aufgestanden. Ich muss los.

»Keine Zeit. Lass uns gehen, bitte«, versuche ich es etwas ruhiger.

»Aber ... Jetzt auf einmal so schnell? Wie, warum, wohin?«

»Ist einfach so.«

»Ist einfach so ...«, wiederholt er meine patzige Aussage, nur in einem ruhigeren Ton. »Das musst du mir schon erklären«, setzt er noch nach.

»Muss ich das?«

»Fi... Jeu, du weißt, wie ich ... Hm. Es kommt aus heiterem Himmel. Du hast noch gar nichts gegessen.«

»Es ist ... so ... ein Gefühl.«

»Mmh. Ah ja ...« Waldtraud schaut abwechselnd ihn und mich an, was ihn am Weiterreden gestoppt hat. Wir haben uns wohl gerade beide nicht mit Ruhm bekleckert. Gut, dann lasse ich es auch.

»Ja. Kommst du mit?«, frage ich nach ein paar tiefen Atemzügen und nun wirklich – hoffentlich – im ruhigen Ton.

»Okay, aber essen ist trotzdem wichtig, damit wir bei Kräften bleiben.«

Bevor ich antworten kann und gerade als ich meinen Mund geöffnet habe, setzt Waltraud an. »Das klingt doch super. Ihr esst nun noch in Ruhe und dann lauft ihr los. So bleibt auch die Tradition gewahrt, die ihr hier aufgebaut habt«, scherzt sie und lacht etwas gekünstelt los.

»Gut«, schließe ich mich an und nehme wieder Platz. 

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