49 ☾ ER

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Ihr geht es offensichtlich genauso wie mir. Wenn Waltraud und Wilma nun doch nicht mehr da sind, wäre das nicht so tragisch. Dann könnten wir uns trotzdem hier kurz verkriechen. Sofern die Luft rein ist und wenn nicht, hoffen, dass wir schnell genug wegzukommen.

Aber ja, was, wenn nicht?! Darüber habe ich vorher nicht nachgedacht oder erfolgreich ausgeblendet und verdrängt. Was, wenn die beiden da sind, aber nicht nur sie und was, wenn dieses Mal kein Seb zur Stelle ist?! Mist. Ich hätte mich nicht auf diese Idee einlassen sollen. Andererseits, was blieb uns sonst übrig?!

Hätte, wäre, wenn ... Das ist jetzt unerheblich. Wichtig ist das, was jetzt ist.

Die drei haben wir beide schon angezählt, Jeu zögert – kann ich durchaus verstehen –, legt aber nun ihre Hand auf die Klinke und im gleichen Moment stoppe ich mein Atem, weil der sonst meine Ohren zu sehr in Beschlag nimmt. Abgemacht war, dass sie die Klinke runter drückt und sich dann duckt sowie so schnell es ihr möglich ist, zur Seite zu kommen. Damit sie sich wenigstens in Sicherheit bringen kann. Falls es nötig wird. Ich mache die Zielscheibe.

Verflucht ging das schnell. Irgendetwas hat mich erwischt und mir wird direkt schummrig. Tänzelnde Lichter vor meinen Augen. Meine Sicht verschwimmt.

»Frederik?«, wird mein Name voller Reue gefragt. Welcher der Sektion soll das denn sein? »Oh Gott, das tut mir leid! Kommt, helft mir!« Erst mich verkloppen und dann helfen? Welcher Idiot ist das denn? 

Mich verwirrt es hier zunehmend. Ich spüre, wie mein Körper irgendwo mit hingezogen wird. Hoffentlich konnte sich Jeu mit Fritzi noch in Sicherheit bringen und wird nicht auch gerade irgendwohin geschliffen. Nachdem mein Körper auf den Boden aufkommt, der wie ein nasser alter Sack achtlos abgelegt wird, versuche ich mich mehr und mehr zu fokussieren, um herauszufinden, was hier vor sich geht. Mittlerweile bekomme ich jedoch das Gefühl, dass hier irgendetwas nicht stimmt. Also anders als vorher nicht passend ist. Vor allem mit meinen Gedanken. Vor meinen Augen ... habe ich weiterhin vereinzelte auseinandergerissene Puzzlestücke, die ich mühsam zusammenfügen will, damit es ein ganzes Bild ergibt. Doch die Anstrengung ergibt lediglich ein Grau-Schwarz mit bunten verschwommenen Flecken. 

Taps taps ... Heiliger Strohsack! Wer dackelt hier um mich herum? Taps taps ... 

Endlich schärfen sich ein paar Ecken. Fritzi? Fritzi. Ja, natürlich. Ich konzentriere mich auf sie, auf ihr Geräusch und nähere mich dem anderen an und so allmählich scheint mein Verstand zu kapieren, was ich möchte. Denn so langsam nimmt das Bild Gestalt an. Hier lag ich doch schon einmal. Eine Art Déjà-vu? Oder ist es wirklich so? 

Schwerfällig rapple ich mich auf und sehe – war ja klar – in Grosches Gesicht, die mich mal wieder schelmisch angrinst. Sie sitzt natürlich auf ihrem angestammten Platz und ... Nein! Das kann doch nicht wahr sein. 

»Waltraud? Hast du mir schon wieder mit der Pfanne eine rübergezogen?«, frage ich sie.

»Du bist aber auch zimperlich«, antwortet sie amüsiert, aber Reue kann ich auch in ihrer Mimik ausmachen.

»Oh Frederik. Dir geht es gut. Wie wunderbar. Ich habe mir Sorgen gemacht«, kommt Jeu sprudelnd um die Ecke mit Wilma. Sie waren wohl im Nebenraum.

»Wie man es nimmt. Aber ja, wird schon wieder.«

»Wir haben schon von Jeu gehört, warum ihr hier seid. Es tut mir leid. Du weißt selbst, dass wir mit allem rechnen müssen.«

Ja, das weiß ich. Waltraud hat recht und ich bin ihr auch nicht böse. Zum Glück hat sie mich erschlagen und nicht Jeu. Aber warte ... War ich länger außer Gefecht? Sie haben schon miteinander geredet?

»Alles gut. Ist es denn wirklich in Ordnung, wenn wir hier bleiben, zumindest für diese Nacht? Ich weiß einfach nicht, wohin.«

»Für uns ja. Bisher waren sie nicht hier. Aber du weißt, wie schnell sich das ändern kann.«

»Das weiß ich zu gut.« Während des Gesprächs bemerke ich, dass Jeu keine Ahnung hat, wovon wir reden. Wie es wohl bei ihr daheim ist? Es scheint sich sehr zu unterscheiden. »Wilma, gehst du nicht einmal mehr zur Arbeit?«

»Zu gefährlich. Offiziell sind wir nicht mehr hier.«

»Aber was ist mit Geld? Wie macht ihr das?«

»Wir bekommen das schon irgendwie hin.« Ihr Gesicht nimmt betrübtere Züge an. Was soll sie auch sonst sagen? Ich ziehe meine letzten Paler raus und halte sie ihnen hin. Das ist das Einzige, aber auch mindeste, was ich machen kann.

»Nein. Das können wir nicht annehmen. Was ist mit euch beiden? Ihr braucht es genauso!«, wehrt Waltraud ab.

»Vielleicht. Wer weiß das schon. Aber ihr habt so viel – für mich und für Jeu – gemacht. Nimmt es bitte«, meine ich ganz ernst.

Mit Nachdruck strecke ich es ihnen entgegen und nicke dazu. Sie sollen es haben. Ich möchte es so. Zögernd greift Wilma hin, nachdem sie Waltraud angeschaut hat, die es resignierend abgesegnet hat. Sie weiß, dass sie mich nicht mehr umstimmen kann. 

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