16 ☾ SIE

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Ich schaue zur Tür, die so viel heller scheint als alle anderen, die ich bisher sah. Es ist, als ob sie mehr Waren zur Verfügung hätte. Vielleicht habe ich wirklich Glück mit ihr. Über der Tür sind Symbole auf der Außenwand gemalt worden, die mir nichts sagen – nicht einmal vergleichbar mit anderen sind –, aber sie sehen künstlerisch geschwungen aus. Jetzt fällt mir auf, dass die gesamte Fassade noch intakt wirkt und hier und da die helle Wandfarbe durch diese geschnörkelten Linien unterbrochen wird. Dadurch sticht dieses Häuschen definitiv hervor. Selbst in dem Dach kann ich von hier aus keine Löcher ausmachen. Hilde ist mit Sicherheit handwerklich begabt oder gehört der besseren Schicht an.

Als ich mit meinen Augen den Rundgang beendet habe, nehme ich erneut ihre Hand, die sie mir bereits entgegenstreckt und wir gehen durch die Tür, die sie öffnet. Von drinnen strömt mir Wärme und ein wohliges Aroma entgegen. Es erinnert mich direkt an zu Hause, auch wenn ich es nicht genau ausmachen kann. Aber ich bin mir sicher, dass ich den Geruch kenne. 

Mit einem Mal bleibe ich im Hausflur stehen. Mir wird bewusst, dass ich klitschnass bin und hier mit meinen nackten Füßen stehe und nur in dieser Kleidung. Und ... Ich möchte nichts ruinieren. Sie ist so nett.

»Fia, kommst du?«

Ich schüttle mit dem Kopf.

»Was ist denn mit dir?«, fragt sie nun, was ich mir hätte denken können. Ich zucke einfach mit den Schultern.

»Wenn du es mir nicht sagst, dann kann ich dir nicht helfen.«

Wenn das so einfach wäre. Ich befürchte, dass sie mir auch nicht helfen kann, wenn ich etwas sage. Aber das weiß sie ja nicht.

»Ulp ...«, will ich ihr hiermit zeigen und ziehe wieder meine Schultern hoch, um sie dann fallen zu lassen.

»DAS ist deine Sprache?«, fragt sie verwundert und ich nicke wieder, auch wenn es nicht die ganze Wahrheit ist.

»Aber du verstehst mich?«

Nicken.

»Interessant. Ich würde ja zu gern hören, wie es klingt, wenn du sagst: Ich bin Fia.«

Nun werde ich etwas stutzig. Bin ich ihre Belustigung oder wie meint sie das? Aber sie lacht nicht, weiterhin schaut sie mich aufrichtig interessiert an. Sie streift über meine Stirn, die angespannt ist und sich Richtung Nase zieht.

»Ich finde Sprachen einfach interessant. Es würde mich freuen.«

»Ulp gut Fia«, sage ich daher ihr zuliebe.

»Klingt besonders.« Sie scheint sich ehrlich zu freuen, was mir meine Anspannung etwas nimmt und meine Stirn glättet sich wieder langsam.

»Na komm, wir suchen mal trockene Kleidung für dich. Irgendwo habe ich bestimmt etwas, in das du reinpassen könntest.«

Ich folge ihr in eins der Zimmer. Da sie nicht viel größer als ich ist, könnte sie recht behalten. Sie durchwühlt einige ihrer Stücke – sie hat definitiv mehr als die Person bei Frederik – und drückt mir dann ausgewählte Kleidung in die Hand.

»Hier, damit kannst du dich trocknen«, lässt sie mich wissen, während sie mir ein dickeres Stofftuch reicht. Dann geht sie aus dem Raum und lässt mich hier alleine. Soll ich nun? Ach, ich mache es einfach. Ich schlängle mich eilig aus aller Kleidung, die ich anhabe, lasse sie achtlos auf den Boden plumpsen, nehme das Stofftuch und tupfe mich damit ab und ziehe mir in Windeseile die andere Kleidung an. Daraufhin sammle ich alles vom Boden auf und weiß nicht, wohin ich damit soll. So wende ich mich Kreis mit der nassen Kleidung in meinen Händen und grübele, wie sie das hier wohl machen.

»Die kannst du mir ruhig geben«, kommt Hilde zu meiner Erleichterung mit einer Antwort. Während sie mir die nassen Sachen abnimmt, schaue ich an ihr vorbei, da sie einen herzhaften Duft mitgebracht hat. Mein Magen meldet sich prompt. Ich versuche das Grummeln mit meinen Händen abzudämmen, gelingt mir jedoch nur bedingt.

»Wann hast du denn das letzte Mal etwas gegessen?« Hilde muss dabei lachen. Ein Schulterzucken von mir wird direkt mit einem »Es dauert zwar noch etwas, bis das Essen fertig ist, aber wenn du mir hilfst, geht es vielleicht schneller« beantwortet. Ich lächle ihr zu und sie nimmt mich mit an die Kochstelle. In einem großen Topf blubbert es wild, der Deckel wird ab und zu hoch gestoßen und poltert darauf herum. Der Geruch, der dabei verströmt wird, ist der, den ich auch eben schon wahrnehmen durfte. Meinem Magen entgeht das auch nicht. Vor mir liegen allerlei verschiedene Zutaten in unterschiedlichen Formen und Farben. Das muss bestimmt noch klein geschnitten werden. Kurz darauf gibt mir Hilde auch schon das passende Utensil, damit ich loslegen kann. Sie mischt derweil etwas zusammen, was sehr anspruchsvoll, aber genauso köstlich aussieht.

Eine Weile später können wir durchatmen und uns einen Saft schmecken lassen, den wir auch noch zubereitet haben. Was hat Hilde eigentlich nicht? Mit dem nächsten Schluck steht sie auf und löffelt uns beiden etwas auf. Wohlduftend sauge ich das Aroma auf und mein Körper sowie Geist freuen sich schon auf die Mahlzeit. Die besondere Mixtur von Hilde wird über das Gemenge aus dem Topf gekippt. Es riecht und sieht nicht nur himmlisch aus. Es schmeckt auch so.

Nun hat mein Magen keinen Grund mehr, sich zu beschweren. Doch im nächsten Moment fühle ich mich auf einmal ganz schwer. Zu viel gegessen? Vielleicht.

Ich sollte mich hinlegen und morgen bei Kräften Hilde um Rat fragen. Allerdings ... Ich glaube, ... ich schaffe es gar nicht aufzustehen. Meine Beine fühlen sich wie harter Stein an, bewegungslos und ... Irgendetwas stimmt nicht ... 

»Fia? Ist ... gut ... dir? Sag ... et...s oder zei... mir ... Gest... Fia?«

Die Worte von Hilde dringen nur bruchstückhaft zu mir. Ich versuche sie anzublicken. Ihr zu zeigen, dass irgendetwas nicht stimmt. Doch ich schaffe es nicht. Gleich nimmt mich der Boden. Oder Schlimmeres. Es dauert nicht mehr lange. 

Es gelingt mir dann doch noch ... Ihr Gesicht sehe ich schemenhaft, kurz bevor mich die Dunkelheit in sein Grauen zieht. Ein Grinsen. 

Hat-SchiWo Geschichten leben. Entdecke jetzt