57 ☾ ER

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Also der Berg. Gesehen habe ich ihn noch nie. Bisher nur von ihm gehört. Sein Anblick soll etwas Magisches haben. Die Zeit herauszufinden, wo er sich genau befindet oder sich auch einfach auf den Weg dorthin zu machen, kam einfach nicht infrage. Okay, nur vielleicht lag es auch daran, dass ich an seine Existenz nicht geglaubt habe?! Und nun soll es so weit sein. Egal welche Hintergrundgeschichte nun dahintersteckt. Leichte Freude macht sich kribbelnd in mir bereit. Vermischt sich dennoch gleich wieder mit dem Prickeln des Schmerzens.

»Na, dann los. Jetzt, wo wir unser Ziel sehen. Lass uns darauf zu steuern«, ermutige ich ebenfalls mich selbst mit meinen Worten.

Ich setze zum Gang ein und Jeu steigt lächelnd mit ein. Jetzt wird mir erst so richtig bewusst, was es für mich bedeuten wird. Es ist nicht nur eine Möglichkeit zu fliehen und dem Übel hier zu entkommen. Es ist viel mehr. Ich werde wahrscheinlich wunderschöne Landschaften sehen können, es erleben zu dürfen, wie Menschen harmonievoll miteinander leben, aber ... nicht nur das. Erst einmal ist dort offensichtlich irgendetwas im Argen, aber ... auch das ist es nicht. Ich werde mich ... verabschieden müssen ... von meinem Zuhause. Auch wenn ich mich hier nicht sonderlich wohl und heimelig fühle, so ist das ja dennoch mein Zuhause. Da, wo ich aufgewachsen bin. Hier, wo ich einfach alles bisher erlebt habe. Einfach alles, was ich kenne, ist das. Und nun soll und will ich das aufgeben ... Muss oder möchte ich das? Fiese Zweifel mischen sich mit ein, auf beiden Seiten. Als würden gerade zwei Parteien darum streiten, das größte Stück vom Holzscheit abzubekommen. Wilma und Waldtraud ... Die beiden, die ich gerade nach Jahren erst richtig kennenlernen konnte. Ja, auch aufgrund meines eigenen Dickschädels. Aber wenn ich hierbleibe? Wem bringt das was? Wird das Neue wirklich so schön, wie ich denke? Oder eventuell hoffe ich das auch nur und entpuppt sich ebenso als grausamer Reinfall. 

Diese Unwissenheit ist entsetzlich. Das, was ich weiß, ist, dass ich mich an mein Versprechen halte. Ich werde Jeu nach Hause bringen und dann ... kann ich ja noch immer weitersehen. Und insgeheim glaube ich auch selbst, dass ich gehen möchte. Vielleicht könnte ja doch noch eine Kooperation zustande kommen, nur dass sie uns helfen, es ihnen gleich zu machen. Wenn es nur ansatzweise so ist, wie sie beschrieben hat, dann ... ist es dennoch utopisch für hier, schaltet sich die andere Seite in mir drin prompt ein. Und wie recht sie hat, weiß ich auch. Aber vielleicht ... vielleicht klappt ja dennoch irgendetwas ... Ein bisschen hoffen wage ich. Das Holzscheit konnte keiner für sich gewinnen. Oder sie bekommen beide eine gleichgroße Hälfte. Während meiner inneren Diskussion habe ich gar nicht gemerkt, wie weit wir schon gekommen sind.

Jeu pikst mir in die Seite. Wow. Warum war ich noch mal vor dem heutigen Tage noch nicht hier? Wie schön und wundervoll und eindrucksvoll und ... Wow. Für einen kurzen Augenblick vergesse ich sogar den pochenden und ziehenden Schmerz. Es ist magisch.

Ich drehe meinen Kopf leicht und sehe, dass wir richtig sind. Jeu starrt ebenso auf die Majestät vor uns.

»Das ist wirklich schön«, sage ich zu ihr.

»Ja, das ist es«, haucht sie ehrfurchtsvoll. »Setz du dich ruhig hin und ruh dich noch etwas aus.«

»Und was machst du? Kann ich dir nicht behilflich sein?«

»Ehrlich gesagt nicht. Und du solltest wenigstens ein paar Kräfte sammeln. So ein Schritt, der eher ein Marathon ist, kann einen schon sehr viel Energie abverlangen. Besser ist es, wenn du nicht ohnmächtig dort ankommst.«

»Oh okay. Dann mache ich, wie du befiehlst«, grinse ich. An so was habe ich noch gar nicht gedacht. Wie es wohl sein wird? Wenn es wirklich so etwas ist.

»Ich bereite alles in Ruhe vor. Wir haben Glück und noch einige Stunden.« Sie zeigt in den Himmel. »Erst wenn es richtig dunkel ist, der Mond und die Sterne über uns leuchten, dann ist es der perfekte Zeitpunkt.«

»Gut. Ich lege mich hier etwas hin. Aber wenn du etwas brauchst, sagst du Bescheid. Du kannst mich auch wecken, okay?«

»Okay.«

Damit stiefelt sie die letzten Schritte an den Berg ran, während ich mich auf den Boden niederlege. Ich versuche sie noch ein wenig zu beobachten, denn ich muss zugeben, dass ich mittlerweile schon neugierig geworden bin, wie das alles funktionieren und vonstattengehen soll. Doch ... nach dem ich erst einmal meine Beine ausstrecke, ... fallen mir meine Augen sofort alle paar Sekunden zu. Und nur kurze Zeit später bleiben sie es. 

Hat-SchiWo Geschichten leben. Entdecke jetzt