58 ☾ SIE

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Endlich da. Am Berg. Noch einen halben Schritt. Ich strecke meine Hände flach vor mir aus und lasse sie sanft auf dem Stein aufkommen. Eine Kühle kitzelt mich unmittelbar bei der Berührung. Doch es ist mehr. Es ist nicht nur kalter Stein. Hier ist so viel verborgen für so viele. Die linke Hand halte ich locker gestützt, mit der rechten gleite ich weiter drüber. Noch ein letztes Mal schaue ich mich um. Niemand ist zu sehen. Außer Frederik, der tatsächlich schon eingeschlafen ist. Er wirkt friedlich und ruhig. Neben ihm liegt Fritzi. Wenn ich sie richtig kennengelernt habe, wird sie Laute von sich geben, sollte sich doch noch jemand nähern. Doch so lange es weiterhin so beruhigend still ist, kann ich mich meiner Aufgabe widmen. Tastend fahre ich fort und horche auf die Resonanzgeräusche, die mir der Gipfel von sich gibt. Hier irgendwo ist es. Vielleicht noch ein wenig nach rechts. Langsam werde ich ungeduldig. Was, wenn ich mich getäuscht habe? Nein. Nein. Nein. Es muss hier sein. Er hat dieselbe Erscheinung. Wo soll hier noch ein solch schöner Gipfel sein? Also strecke ich mich, um weiter nach rechts tasten zu können. Viel weiter geht aber nicht, da dort gleich der Abhang kommt. Trotzdem muss ich mich überwinden. Meine linke Hand muss ich etwas nachziehen lassen, damit ich rüberkomme. Meine Füße habe ich gut auf abstehenden Kanten des Berges stellen können. Noch einmal fühle ich über den Stein – so weit wie ich komme – nach rechts. Und plötzlich ergreift meine rechte Hand eine Kante, auf die ich nur gewartet habe. Denn dahinter verbirgt sich das, was ich – ich meine wir brauchen. Ich drücke diesen Hebel und nach etwas Ruckeln gibt er nach. Ein kleines Kästchen kommt zum Vorschein. Besser gesagt weiß ich, dass sich dieses dort befindet. Sehen kann ich es noch nicht. Ich weiß, wie ich es extra unauffällig positionieren wollte, nur falls jemand hier auf die Idee kommen sollte, klettern zu gehen und es durch Zufall entdecken könnte. Ich greife durch die schmale Öffnung und ziehe es hervor. Stutzig macht mich allerdings, dass das Kästchen geöffnet ist. Da bei solchen Angelegenheiten auf mich Verlass ist und ich so etwas niemals ohne mehrmalige Überprüfung offen liegen lassen würde, kann ich mir das beim besten Willen nicht vorstellen, dass ich das unverschlossen dort hineingestellt haben soll. Ich schmiege mich ganz an den Berg, stelle meine Füße seitlich auf die Kanten, drehe meinen Rumpf und Kopf seitlich und schaue mich noch einmal um, zumindest so, wie es meine derzeitige Position erlaubt. Nichts zu sehen und auch sonst scheint alles unverändert. Nur das Kästchen. Hm. Ich drehe mich wieder um und finde erneut in einen sicheren Stand. War jemand hier? Aber warum ist es dann noch da? Vielleicht war es auch einfach eins der seltenen Tiere oder Insekten, von denen ich hier viel zu wenig gesehen habe? Merkwürdig. Es ist zwar kurios, aber nicht zu ändern.

Nimm die Situation an und schau, was du daraus machen kannst ... Ach Papi, bin ich froh, dich bald wieder ganz fest in meine Arme schließen zu können.

Zustimmen werde ich ihm dann trotzdem nicht öfter als sonst, auch wenn er recht hat. Ein kurzes verschmitztes Grinsen huscht mir über mein Gesicht, schüttel es von mir ab und dann mache ich mich an mein Vorhaben. Sonst wird das ja alles nichts.

Also wo war ich? Annehmen. Es ist nun so. Ich nehme das Kästchen an mich und werde mir nicht weiter den Kopf darüber zerbrechen, wieso weshalb warum es so ist. Es ist so. Der Inhalt ist das wahre Wichtige für die jetzige Situation. Vorsichtig und einen Griff nach dem nächsten gelange ich wieder zurück. Bis ich wieder mit meinem Körper auf festen Boden zustehen komme.

Es herrscht eine klare und angenehme Stille, in die ich mich für einen kurzen Moment hineinfalle. Ich spüre den Duft, den mir die leichten Böen mitbringen, höre die Schwingungen und schmecke das Aroma heraus. Meine Arme ausbreitend umarme ich dieses wohlige Gefühl, was mich überkommt. Es ist die Natur. Ich und die Natur. Aus den Schuhen schlüpfe ich eilig heraus, um das raue Gras ­– was nicht die gesamte Fläche bedeckt – an meinen Füßen ertasten zu können. Vielleicht kann ich ihm etwas meiner Energie übermitteln.

Sachte tapse ich weiter in die Richtung von Frederik. Wie ich sehe, ist er bereits wieder wach.

»Also?«

»Was denn?«, frage ich ebenso lang gezogen, wie er eben zuvor. Ein Grinsen kann ich mir nicht verkneifen.

»Auf nach Lun-Vale?« 

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