39 ☾ ER

49 9 39
                                    

Scheiße! So ein Mist! Verdammt noch mal!

Mehrmals trete ich gegen einen Baumstamm, der vor mir mitten auf diesem verfluchten Weg liegt. Und mir dazu auch noch den Weg versperrt. Wieso nicht zwei oder drei oder gleich zehn? Ach ... Nicht wissend, wohin sonst mit meinen Händen raufe ich mir nun meine Haare. Was soll ich tun? Was war das eben gerade? Noch einmal nehme ich Schwung und trete mit voller Wucht gegen diesen blöden Stamm. Zumindest habe ich das vor. Getroffen habe ich nur die Luft, wie ich leider zu spät bemerke. Und zwar erst, als mir mein eigener Schwung das andere Bein wegreißt und ich kurz vor dem Aufprall bin. Autsch. Verdammte Apfelkacke!

Plötzlich taucht Fritzi in meinem Blickfeld auf, die sich kurzer Hand entschieden hat, auf diesen behämmerten Stamm zu springen und mich nun bedröppelt anschaut.

»Hast ja recht. Ich höre schon auf.«

Ich kann mich ja glücklich schätzen, dass es so ausging. Unversehrt und frei. Als die zwei Schüsse fielen, war ich wie gelähmt. Ich dachte echt, ich wäre einer derjenigen, der getroffen wurde. Auf wen hätten sie sonst schießen wollen? Doch einige Momente später wurde mir klar, dass Seb – so verrückt er auch sein mag und ich will auf keinen Fall irgendwelche Familientreffen mit ihm veranstalten – als erster abgefeuert hatte. Um sich, mich oder uns zu schützen. Jetzt verstehe ich noch mehr, warum ich hinter ihm bleiben sollte. Der nächste Schuss ... traf ihn. Nicht mich. Daraufhin schubste er mich. Aufgrund meines eingefrorenen Zustandes – sowohl Körper als auch Geist – bewegte ich mich jedoch lediglich wie einen Gegenstand, den er anstupste.

»Mensch, lauf!«, brüllte er mich an, während er unwirsch in eine Richtung zeigte. Allmählich begann mein Körper seine Signale zu begreifen und setzte seinen Befehl um. Ein ruckartiger Schatten ließ mich zusammenzucken. Doch kurz darauf durchströmte mich für einen kurzen Moment Freude und Erleichterung. Fritzi tauchte zu meiner Seite auf. Mein nächster Gedanke galt jedoch bereits Fia. Wo sie wohl ist und warum Fritzi nicht bei ihr ist. Immer wieder schlich sich das Gefühl ein, ich müsste umdrehen. Doch mein Körper reagierte nicht darauf. Er setzte seinen Lauf fort und ich konnte nichts dagegen machen. Ich fühlte mich von meinem eigenen Körper verraten.

Nach einer Weile – ich kann nicht mal mutmaßen, wie lange – kehrte ich mithilfe von Fritzi um. Meine Beine waren schon so wackelig, dass ich nicht mehr zu einem Rennen imstande war. Baum um Baum kämpfte ich mich vorwärts beziehungsweise zurück. Von weiter weg hörte ich auf einmal zwei mir mittlerweile bekannte Stimmen. Seb war keine davon. Ob sie mit ihm etwas angestellt haben oder er fliehen konnte? Ich hoffe Letzteres für ihn. Dabei fiel mir auf, dass ich immer noch diese Papiere festgekrallt in meiner Hand hielt. Die faltete ich schnell irgendwie zusammen und pfropfte sie in meine Hosentasche. Nun waren nicht mehr nur meine Beine wackelig. In mir drin sah es genauso aus, als würde alles wie ein Wackelpudding hin und herschwanken, nachdem er einen kleinen Stoß bekommen hatte. Dennoch ging ich weiter. Fia war gekommen, um mir zu helfen. Wie mutig und stark sie ist. Ich werde sie ganz sicher nicht im Stich lassen. Dann sollen sie lieber wieder mich nehmen. 

Fritzi blieb etwas abseits. Ich versuchte mich so leise wie möglich anzupirschen. Einen von den beiden sah ich schon. Michel. Blieb nur die Frage, wo Ken ist. Ich suchte zwischen den Bäumen ab. Und dann sah ich ihn. Mein Blick glitt weiter nach vorne. Da war sie. Sie war am Laufen, hektisch, sicherlich voller Panik ... Ken gar nicht mehr weit von ihr entfernt. Was kann ich tun?, fragte ich mich. Doch das brauchte ich mir gar nicht zu beantworten.

Denn als ich gerade die Sorge hatte, dass er sie erwischen könnte, war sie ... einfach weg. Verschwunden. Ich blinzelte, schüttelte mit dem Kopf, das Bild blieb das gleiche.

Keine Fia mehr da.

Nachdem Ken ins Leere griff, stand er vollkommen verdutzt da und schien nicht zu wissen, was er tun soll. Er rief seinen Boss – also Michel –, der wohl gerade mit etwas anderem beschäftigt war, und holte ihn damit aus dessen Gedanken raus. Ken wollte erfahren, was er jetzt tun soll und dass er annahm, sie hätten es schon geschafft, das zu unterdrücken.

Michel nahm seinen Kopf hoch, guckte nach vorne und stockte, denn er sah das Gleiche wie ich. Violetten Nebel.

Leise schlich ich rückwärts aus dem Wald hinaus. Ich war dankbar dafür, dass Michel geradeaus zu Ken ging. Scheinbar ist also doch etwas an diesen Gerüchten dran. Und ich war nur mal wieder zu ignorant.

Mit dieser Wut über mich selbst ging ich immer weiter von ihnen weg und bin jetzt hier. So oder so, ich muss sie finden! Nun ist auch schon die Nacht hereingebrochen. Zuerst einmal über diesen Stamm kommen. Aber Fritzi hat mich da auf eine ganz kluge Idee gebracht. 

Hat-SchiWo Geschichten leben. Entdecke jetzt