35 ☾ ER

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Ist Seb überhaupt mein Schwager? Da er der Bruder von dem Mann meiner ... Worüber mache ich mir überhaupt Gedanken?! Zum Teufel – passt sich ja –, bleib konzentriert!

»Du siehst ja von Minute zu Minute besser aus«, höhnt Teufelsfratze rum. Meine Wut sollte ich vielleicht doch erst einmal – wenigstens dieses Mal – zügeln.

»Hm«, ist daher lediglich meine Antwort. Ich lasse ihn nicht aus den Augen.

»Uuuund?!«, sagt er fragend aus, während er gleichzeitig seine linke Augenbraue unnatürlich weit hoch schießen lässt und eine Hand hochhält, damit ich nicht schon gleich anfange zu reden.

Weiß er denn nicht, dass mich das erst recht animiert? Am Riemen reißen ... Mach es für Frida, Siggi und Rita. Und für Fia. Ich warte. Kommt da nun noch irgendetwas oder ist das wieder irgendein Test? Bei dem Wort muss ich kurz aufzucken. Beinahe habe ich diese wichtige Information vergessen. Irgendwo hier werden noch die Unterlagen dazu liegen, die Fia benötigt. Vorsichtig lasse ich meine Augen umherschweifen. Nichts. Oder besser gesagt nicht eindeutig genug. Zu viele Papiere, die ebenso Müll sein könnten, liegen hier verteilt rum.

»Konntest du gemütlich in Ruhe nachdenken?«, kam endlich der Rest von ihm. Die Hand jedoch hängt immer noch in der Luft. Also Kraft und Ausdauer hat er. Er lässt sie langsam in der Luft hinunter gleiten, als würde er sie an einer Wand entlang streifen lassen.

»Klar. Bei so viel Gemütlichkeit geht es doch gar nicht anders«, kommt mir meine Antwort schon wieder aus dem Mund rausgeschossen.

»Ah ja. Das höre ich doch gerne. Und hast du die Antwort gefunden?« Ein Grinsen verrät, dass er nicht davon ausgeht. Tja, Pech.

»Soll ich dir die Antwort buchstabieren?«

Seine Mine entgleitet ihm. Wunden Punkt getroffen. Es ist eins der wenigen Dinge, die ich von ihm weiß.

»Ha ha, Frederik. Nun gut, du hattest deinen Spaß.« Auch wenn er versucht, sich wieder unter Beherrschung zu bringen, seine Mimik kann mich nicht täuschen.

»Seb, was willst du?«, frage ich nun doch gerade heraus. Eigentlich frage ich mich, wo die anderen beiden sind und wie es sein kann, dass sie ihn so lange alleine hier lassen, obwohl sie ihn doch für einen Dummkopf halten.

»Gut, dass du fragst.« Ach echt?! Wider meines Willens hat ihm das neuen Mut gegeben.

»Ein bisschen Zeit bleibt uns noch. Noch sind sie nicht zurück. Aber schon bald werden sie deine kleine Freundin bestimmt ausfindig machen und dann dieses Experiment hier mit ihr vollführen können.« Er wedelt mit ein paar Zetteln rum und deutet in die Richtung dieser kuriosen Gerätschaften.

»Zeit wofür?«

Er begibt sich ein Stück hinter mich. Sofort zieht sich in mir alles zusammen. Er tritt wieder hervor und hat das Glas in der Hand, was er mir entgegenstreckt. Ihn fixierend trinke ich davon.

»Ich werde dir eine Geschichte erzählen und dabei wirst du einige Aha-Momente erleben. Danach wirst du schlauer sein. Und wenn du nur halb so intelligent wie Rita bist, verstehst du es auch. Bereit?« Seb freut sich dabei wie ein kleines Kind. Im nächsten Moment blitzt jedoch seine Teufelsfratze durch das kindliche Freuen. Ich nicke ihm zu und hoffe, dass er recht behalten wird.

»Es war einmal ein Junge, der es zwar nicht immer einfach hatte, aber im Großen und Ganzen war er zufrieden. Schon von klein auf hatte er lernen müssen, dass nicht ständig alles gelingen kann. Niederlagen gehörten dazu und bei ihm gab es diese eben öfter als bei anderen. Das war sein Schicksal. Seine Bürde. Er nahm die Misserfolge auf sich, damit die anderen ihre Etappen erreichen konnten. Damit konnte er ganz gut leben und freute sich ab und an mit den anderen sogar mit. Doch eines Tages geschah etwas und damit änderte sich alles. Seine Welt wurde auf den Kopf gestellt. Du fragst dich sicherlich, was für ein Ereignis dafür sorgte. Was dem armen Jungen widerfahren war. Für ihn war alles wie immer an diesem Tag. Er hatte mal wieder eine Niederlage einstecken müssen. Doch dieses Mal blieb es nicht bei einigen Lachern, an die er sich die Jahre über gewöhnt hatte. Auch nicht nur vereinzelte Rufe kamen noch dazu, die ihm zwar schon immer zusetzten, aber die er ebenso abtat. Nein, an diesem Tag ging es noch viel weiter. Die anderen verhöhnten ihn. Mit Worten und auch körperlichen Attacken. Beides stach gleichermaßen in ihn ein. Immer und immer wieder. Bis er zusammengekauert auf dem Boden liegen gelassen wurde. Die anderen, für die er sich sonst mit gefreut hatte, überließen ihn sich selbst. Seine Welt geriet ins Wanken. Er wusste nicht mehr, wie er sich mit seinem Schicksal weiter anfreunden soll. Wusste nicht einmal mehr, wie er das je konnte. Alles war plötzlich Schall und Rauch. Gleichzeitig fühlte er sich verhöhnt. Als wäre alles bis dahin eine einzige Lüge gewesen. Das machte ihn so verrückt, dass er kaum noch etwas wusste, an fast nichts mehr glauben konnte, an dem er bis dahin festhielt. Nur eines war ihm gewiss: So konnte er nicht weitermachen. Er schwor sich, so etwas nicht mehr mit sich machen zu lassen und nie wieder in so eine derartige Situation zu kommen. So beschloss er, etwas dagegen zu unternehmen und machte sich auf. Auf einen ganz neuen Weg.«

Einen kurzen Moment hält er inne. Ich versuche herauszufinden, was seine Mimik gerade auszudrücken versucht. Hat er glasige Augen? 

Hat-SchiWo Geschichten leben. Entdecke jetzt