26 ☾ SIE

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Frederik. Oh nein! Und das alles wegen mir. Das darf nicht sein. Am liebsten würde ich hingehen und ihm helfen, auch wenn ich nicht weiß, wie. 

Den ersten Schlag gelingt Frederik, doch dem anderen scheint das nicht doll genug gewesen zu sein. Ich will da gar nicht hinschauen. Aber Hilde hält mich fest umklammert von hinten, sodass ich hinschauen muss. Und ihm nicht einmal helfen kann. Immer wieder winde ich mich, doch sie lässt nicht locker. Aber welche Chance hätte ich auch schon? Sie sind zu viert, ich alleine. Nein! Wir sind zu zweit. 

Der Boss von der Dreier-Gruppierung hat Frederik getroffen, zum Glück nur knapp. Aber seine Lippe blutet. Mittlerweile zermürbt ergebe ich mich den Armen meiner Kidnapperin. Stumm  zumindest beinahe, da mir zwischendurch ein Quieken oder Wispern entfährt – laufen mir die Tränen meine Wangen hinab. Ich will nicht, dass ihm etwas passiert. 

Sobald ein krachendes oder ächzendes Geräusch ertönt, schaue ich weg. Bisher kann wohl noch niemand sagen, wie der Kampf ausgehen mag. Die zwei anderen schauen bloß zu. Die sehen eher antriebslos aus. Ein Freudenkribbeln, wenn Frederik ihn trifft, was direkt wieder in sich zusammenfällt, sobald der andere zu einem geglückten Gegenschlag kontern kann. Frederik machen die Hiebe offensichtlich viel mehr aus. 

»Tiut!«, schreie ich dieses merkwürdige Wort. Ich will das nicht! 

Und nach einigen weiteren Treffern liegt er nun auf dem Boden. Sein Gesicht in meine Richtung  Meine Augen vor Schreck weit geöffnet. Es tut mir so leid. Hilde jubelt – wie kann sie nur? – und lässt mich wahrscheinlich versehentlich dabei los. 

»Fia, lauf!« Frederik schaut dabei erst mich an und blickt dann Richtung See. 

Hilde ist zu langsam, sie hat es nicht registriert. Mein Körper befolgt der Aufforderung automatisch; sieht darin seine Chance. Ich reiße mich los und renne. Unwirsch wische ich mir die ganzen Tränen weg, die nach und nach sich ihren Weg rausbrechen. Direkt springe ich in das Wasser, was mich kühl empfängt. Die zwei faulen Männer kommen zwar hinterher, aber sie sind zu langsam. Mit kräftigen Zügen schwimme ich auf die andere Seite und klettere im Anschluss den Abhang hoch. Völlig außer Puste und ganz schwindelig stütze ich mich mit meinen Händen auf meinen Oberschenkeln ab. Ruhig atmen, tief ein und aus, spreche ich mir gedanklich gut zu. Mein Herz rast und klopft. Ich höre nur noch das. Dabei blicke ich auf die Stelle, von der ich gerade geflüchtet bin. Frederik wird gerade auf eins der Pferde gehievt. Sie haben seine Arme und Beine gefesselt. 

Was habe ich getan? Ich hätte nicht weglaufen dürfen. Wo ist Hilde? Ich suche alles auf der anderen Seite ab. Da steht sie. Sie bedenkt mich mit einem eisigen Blick, sodass ich vor Schock fast umkippe. Ich taumele nach hinten. Ihr Gesicht. So verzerrt. Und mich fröstelt es direkt. 

Doch mein Herz beruhigt sich, das Rauschen und Klopfen lässt nach, sodass meine Ohren sich nicht mehr so gedämpft anfühlen. Ein leises Wimmern kommt von den Bäumen, was mich von Hildes Gesicht wegsehen lässt. Ich schaue genau hin und kann einen Hundeschwanz erkennen. Wie konnte ich nur Fritzi vergessen? Oh nein. Die Arme. Ich hocke mich hin. Sie kommt langsam und vorsichtig zu mir und beschnuppert mich. Ich kann den Pulli an ihr sehen. Hat Frederik das geplant? Wollte er mich befreien? Das hat er aber nicht verdient. Hinter Fritzi sehe ich noch einen Rucksack, schnell packe ich meinen Beutel – den ich für meine spontane Flucht geholt hatte – dort hinein und schultere mir den auf. Sie stupst mich dann an. Du hast recht, Fritzi. Es ist an der Zeit. Wir sollten hier verschwinden. Gleich werden sie kommen. 

Wir rennen also los. Einen anderen Weg lang, querfeldein. Fritzi gibt den Weg vor. Und so laufe ich. Schon wieder renne ich vor ihnen weg. Auch wenn sie mir wahnsinnig leidtut, aber dieses Mal habe ich eine Begleiterin. 

Vielleicht finden wir eine Möglichkeit, Frederik zu helfen. Doch erst einmal müssen wir in Sicherheit. Aus sicherer Entfernung – hoffe ich – höre ich das Klatschen im Wasser. Da haben sie lange gebraucht. Aber das kommt uns zu Gute. 

Nie wieder gehe ich zu diesem See oder nur in diese Richtung. Wir laufen und laufen. Machen keine Rast, werden nicht langsamer. Mein Körper macht sich bemerkbar. Die Tage waren schwer und anstrengend. Meine Seele will das schon verdrängen. 

Noch darf ich mich der Erleichterung aber nicht hingeben, die mich schon willkommen heißen mag. Die Freude von Hilde weg zu sein, ist so riesig, dass ich ohne Fritzi vielleicht vergessen würde, dass irgendwo noch die Männer sind, die hinter uns her sind. Gehört habe ich sie nun länger nicht mehr. Wahrscheinlich sind sie einen ganz anderen Weg lang. Oder verfolgen uns auch gar nicht mehr. Aber so lange Fritzi läuft, bleibe ich dran. Ihre Ohren – sowie ihr ganzes Gespür – sind schließlich besser als meine. 

Am späten Nachmittag stoppt Fritzi, wofür ich ihr unendlich dankbar bin. Sie scheint auch völlig entkräftigt zu sein. Meine Muskeln brennen, meine Haut klebt. Alles fühlt sich wie eine brennende Wachsschicht an. Ich lasse mich einfach auf den Boden fallen und ziehe den schweren Rucksack vom Rücken nach vorne. Nun hole ich uns zunächst das Trinken raus. Etwas für sie, etwas für mich. Es wird nicht lange reichen. Ich hoffe, Fritzi weiß auch um so etwas Bescheid. 

So war meine Flucht nicht geplant. 

Hat-SchiWo Geschichten leben. Entdecke jetzt