10 ☾ SIE

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Hilfe. Was jetzt? Was tun? Hektisch winde ich mich. Niemanden trauen! Wer hat mich gepackt? Ich kann mich nicht befreien. Erst packt die Person mein Handgelenk, schleift mich mit ... Was wird sie dann mit mir anstellen? Bringt die mich zu den Männern?

Als wir um eine Ecke biegen, werde ich losgelassen. Erleichtert atme ich ein paar Mal durch. Erschrocken über mich selbst erkenne ich, dass ich einfach hätte wegrennen sollen. Doch immer noch stehe ich wie angewurzelt da.

Ich schaue die Person an. Eine Frau. Ähnlich gekleidet wie ich. Mein Blick schwirrt umher und soweit ich erkennen kann, sind wir alleine. Keine Verfolger in Sicht. Hat sie mir geholfen?

»Du sahst verloren und panisch aus«, beginnt sie. »Und da waren diese Männer, zu denen du so komisch geguckt hast.«

Ich starre sie bloß an. Was soll ich sagen, sie wird mich eh nicht verstehen.

»Ich weiß, was für eine Art Männer die sind. Zu wem die gehören«, fährt sie fort.

Ich nicke ihr zu.

»Pass auf dich auf! Es gibt hier einige, die nicht so sind, wie sie vorgeben.«

»Octri«, gebe ich dann doch leise von mir und beuge mich dabei etwas runter, weil es wirklich sehr lieb von ihr ist, was sie mir alles sagt. Doch ihre Reaktion darauf habe ich nicht erwartet.

»Aha, du bist es also, von der hier gesprochen wird.«

Was? Von mir wird hier gesprochen? Aber was denn?

»Die, die unsere Sprache nicht kann, aber anscheinend versteht. Hm. Etwas Besonderes sollst du sein, aber vielleicht bist du ja auch eine Spionin.« Sie beginnt, mich zu begutachten. Von oben nach unten. 

»Ulp ...?« Ich verstehe gar nichts mehr. Außer eins. Dass auch ich Verständnisprobleme hätte ... Am liebsten würde ich so gern so viel sagen und sie auch ganz viel fragen. Doch nichts davon ist mir gegönnt. Die Frau wendet sich ab ... Immerhin und doch schmerzt es. Wie alle anderen auch geht sie weg von mir. Und ich bin wieder alleine. Mit mir.

Ich schaue ihr hinterher, wie sie wieder um die Ecke Richtung Platz geht. Dankbar bin ich ihr dennoch. Ich blinzele die ersten Tränen weg und damit auch meine aufkommende Hoffnungslosigkeit. Ich darf nicht aufgeben. Als sie aus meinem Blickfeld verschwunden ist, sehe ich sie schon wieder.

Diese Männer. Um die Ecke herum versuche ich sie zu beobachten. Vielleicht kann ich ja etwas Genaueres herausfinden. Sie sprechen einen nach den anderen an, wechseln ein paar Worte mit ihnen und zeigen ihnen dabei irgendetwas, was sie in ihren Händen halten. Manche von den Befragten schütteln den Kopf, andere erwidern irgendwelche Aussagen, andere deuten in irgendeine Richtung. Wenn ich doch nur irgendetwas davon vernehmen könnte. Doch stehe ich dafür zu weit weg und der Geräuschpegel ist zu hoch. Schleichend nähere ich mich in winzig kleinen Schritten. Mit jedem hoffe ich bereits etwas erkennen oder hören zu können. Doch dem ist nicht so. Daher kratze ich meinen Mut zusammen und verkleinere den Abstand immer wieder um einen kleinen Schritt. Dabei immer darauf bedacht, mich versteckt halten zu können, sei es hinter einer Gruppe von Menschen, wenigstens einem größeren Menschen, bei einem Stand oder einem Schild.

Viele Stände gibt es allerdings nicht, wie mir auffällt. Es sind an der Zahl fünf Stück. Und sie bieten alle mehr oder weniger das Gleiche an und das ist nicht einmal viel. Dieser Markt spiegelt meinen Eindruck dieses Ortes wieder. Arm und trostlos. Angeboten bei allen werden rau aussehende Stoffe sowie Holzstücke, bei zwei Ständen stechen mir Gegenstände aus Metall ins Auge und bei einem der Stände konnte ich etwas identifizieren, was mit Papier Ähnlichkeiten aufweist, auch wenn es eher zerfleddert wirkt. Zu Schade, dass ich das nicht erwerben kann. Zentral, nahe des Spektakels von vorhin, gibt es zudem einen Stand, der wohl für Nahrung dient. Rötlich sowie gelb-grünlich schimmernde Tränke und bemitleidenswerte Früchte in denselben Farben. 

Sie haben ein Bild von mir, fällt mir bei ihrer nächsten Befragung auf, als ich mich wieder den Männern zuwende. Das zeigen sie also rum. Wann konnten sie das denn anfertigen? Was alles habe ich vergessen? Oder verdrängt? Was ist mit mir hier geschehen? Vielleicht kommt es mir wirklich zugute, dass ich diese Kleidung trage und nicht mehr mein Gewand.

Zu meinen Ungunsten sehe ich kurz darauf einen Finger deutlich in die Richtung der Ecke zeigen, in die mich die Frau geschliffen hatte. Wir wurden gesehen. Nicht gut. Gar nicht gut. Was habe ich nun von meinem Mut?

Darauf bedacht, nicht viel Wirbel zu machen, drehe ich mich in einem lockeren Tempo um und verschwinde dann, so schnell es mir möglich ist.

Dabei muss ich an Fritzi und Frederik denken. Ob es ihnen gut geht? Die Männer waren ja erst noch bei ihm. Ist er wegen mir in Schwierigkeiten? Sollte ich nachsehen? Er wollte mir tatsächlich helfen.

»Da vorne!«, höre ich hinter mir die Rufe, was mein Herz beinahe aus meiner Brust raus springen oder zum Stillstand bringen lässt. Zumindest fühlt es sich so an. Sie haben mich also doch gesehen. Einfach laufen. Immer weiter laufen.

So wie erst vor zwei Nächten, kommt mir in den Sinn. Mir wird übel an den Gedanken dabei. Irgendetwas haben sie mit mir gemacht. Deswegen meine Sprache und deswegen mein Gedächtnis. Das ist wegen denen! Das weiß ich jetzt.

»Nein, schaut. Dort!«

Verflucht! Sie sind noch an mir dran. Nun holen sie auf. Ich kann ihre heraneilenden Schritte hinter mir hören. Ihr lautes Atmen wird stetig durchdringender.

»Dauert nicht mehr lang. Gleich haben wir dich!«

Bitte, lass mich nicht wieder in ihre Griffe! Lass es nicht zu. Ich möchte an den friedlichen Ort!

»Gleich haben wir dich!« 

Hat-SchiWo Geschichten leben. Entdecke jetzt