40 ☾ SIE

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An ungefähr derselben Stelle wie in meiner ersten Nacht auf der Wiese verbrachte ich die vorherige. Am ersten Abend hier auf diesem Fleck fand ich endlich ein wenig Frieden für mich. Es kommt mir wie eine kleine Ewigkeit vor, dass ich diesen Ort zum ersten Mal passierte, doch liegen dazwischen nur drei Nächte. Es ist so viel geschehen. Ich glaube, diese Welt werde ich nie verstehen.

Lange noch betrachtete ich gestern die unsichtbaren Linien zwischen den Sternen, malte mir Symboliken aus, ließ mich von ihnen verzaubern. Irgendwann entschied mein Körper, sich seine Ruhe zu holen. Das wollte ich eigentlich nicht zulassen, zu hoch war die Gefahr. Die Gedanken an das Übel, was mir hier in der Nähe und doch mit sicherem Abstand widerfahren war, schüttele ich nun von mir ab. Ich versuche es. Lieber suche ich Halt an meinem wiedererlangten Wissen.

Also strecke ich mich ein letztes Mal und erhebe mich. Dabei wird mir bewusst, dass ich auch Fritzi ganz schön lieb gewonnen habe. Nun ist sie nicht mehr bei mir. Und ich bin wieder allein. Fritzi und Frederik. Ich hoffe, sie sind wohlauf. Zumindest konnte er sich augenscheinlich in Sicherheit bringen. 

Danach waren sie hinter mir her. Schon wieder. Sie haben hier anscheinend Macht. Und verfolgten mich zum wiederholten Male. 

Ich weiß noch nicht genau, wie ich die Leute um Hilfe bitten soll, aber vielleicht kann mich doch noch irgendjemand verstehen. Vielleicht bin ich ja nicht die Einzige, mit der sie das gemacht haben?! Vielleicht ...

Ich beiße von dem trockenen Brot ab, was ich noch von Waltraud und Wilma bekommen habe und spüle es mit reichlich Wasser hinunter.

Auf ins Glück, hoffe ich.

Mit einem Eulenblick schreite ich etappenweise voran. Ein paar Meter gehe ich vor. Schaue mich möglichst unauffällig um, warte ab und wenn nichts kommt, atme ich durch und nehme die nächsten Meter in Angriff. Dann stoppe ich wieder und so geht es weiter. An Abzweigungen finde ich es besonders gefährlich. Da gibt es nicht nur vorne und hinten. Alle möglichen Seiten wollen bedacht werden und wenn dann noch eine Ecke dazukommt, um die ich nicht einmal etwas blinzeln kann, wird es enorm schwierig für mich.

Auf dem Weg habe ich gemerkt, wie mein Magen mich hemmt. Entweder es liegt an dem Brot oder meine unbändige Angst, dass sie mich an jeder Stelle erwischen könnten. Es brodelt in mir drinnen. Unaufhörlich. Doch ich möchte auch endlich wissen, wie ich nach Hause komme.

Bei den ersten beiden Menschen, die mir entgegenkamen, bekam ich meinen Mund nicht auf. Ich weiß auch immer noch nicht, was genau ich sagen soll. Sie verstehen mich doch eh nicht. Meine freudige Mischung aus Zuversicht und Hoffnung schwinden mit jedem Schritt, den ich mir mutig erkämpfe.

Da kommt wieder jemand, ein Mann, keine komische Kleidung wie die drei Männer, die hinter mir her waren. Einfach ansprechen. Wenn das so einfach wäre. Mach einfach. Einfach ... Mach schon. Mit den Füßen tippel ich aufgeregt hin und her, gehe schon gar nicht mehr vorwärts. Er blickt mich an, er lächelt sogar. Seine Schritte werden langsamer ... Es ist eine Einladung – jetzt mach!

»Hat-Schi«, verselbstständigt sich mein Mund. Oh nein. Vielleicht war es nicht einmal verständlich, weil ich selbst die Vokale nicht richtig raushören konnte. Ich ducke meinen Kopf weg.

Entschuldigend zuckt er mit den Schultern und geht weiter.

Ich weiß langsam auch nicht weiter. Was habe ich mir nur gedacht? Woher kam meine Energie? Das kann doch gar nichts werden. Und trotzdem bewege ich mich weiter. Allein deshalb, damit ich nicht hier auf dieser Stelle stehen bleiben muss, an der ich mich gerade beschämend verhalten habe.

Dort vorne kommt bereits schon der große Platz. Doch was soll ich da? Wieder ausgelacht werden? Am besten wieder auf mich aufmerksam machen, sodass die Männer von mir Wind bekommen. Mit einem Mal bricht sie hinein, die Welle der Frustration. Sie erdrückt mich beinahe. Ich versuche noch den Kopf über Wasser zu halten, doch ich sehe es schäumen. Es mir die Sicht nehmen. Noch nicht ganz, aber fast. Jemand drängelt sich in das Bild hinein. Ein Mann.


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Zu gegebener Zeit

»Hat-Schi«, flüstere ich der Welle zu.

»Was ist denn mit dir los?! Versuchst wohl so zu tun, als würdest du niesen«, belustigt sich dieser Trampel über mich.

»Tiut ... vuhh ... «, versuche ich anzusetzen, breche aber ab ... Ich will doch nur nach Hause.

»Hau einfach ab!«

Es hat einfach keinen Sinn. Was soll ich denn jetzt tun?! Wer wird mir helfen? Niemand ... kann mir nun noch helfen. Es gibt keinen Frederik mehr hier. Keine Fritzi. Niemand. Ich gebe mich der Welle hin. Soll sie mich mitreißen, irgendwohin spülen.

Innerlich wie äußerlich sacke ich zusammen.

Der Boden stößt mich nicht weg. Vielleicht gehöre ich hierher. Zu ihm. So kalt und nass. Ich schmiege mich an ihn, lasse meinen Körper sinken.

Aus der Ferne – oder doch nah an mir dran?! – höre ich eine seltsame Melodie. Sie klingt ganz kurios und doch bewegt sie etwas in mir, als hätte ich nur darauf gewartet. Ich glaube, ich kenne sie.

Ich blinzle, um meine Sicht zu schärfen und dann verebbt der Klang. Genauso wie sich mein Körper von meinem Geist trennt.

Als Letztes strecke ich meine Hand noch aus. Es ist wohl zu spät, da sie die Oberfläche nicht mehr durchdringt. 

Hat-SchiWo Geschichten leben. Entdecke jetzt