Sugar 40:
Sugar
Es war einfach nur beschissen.
Ich hatte geglaubt, die Nerven behalten zu können. Ich hatte geglaubt, hart genug zu sein, um nicht wie ein Wasserfall zu heulen, als wir vor dem hübschen Gebäude hielten, in dem sich Pearls neue Wohnung befand.
Doch alles, was ich geglaubt habe, war eine lediglich eine Lüge gewesen, die ich mir selbst erzählt hatte, um so etwas wie Stolz zu bewahren. Wie schon so viele vor ihr.
Das hier war ein hübsches Haus in der Innenstadt, einer gehobenen Gegend in die ich sie wohl nie reinbekommen hätte. Die Highschool, in der Pearls Abendschule stattfinden würde, war nur zehn Minuten entfernt und sie hatte sogar eine Teilzeitstelle in einem Starbucks gleich um die Ecke erhalten.
Pearl würde hier ein einfaches, normales Leben haben. Ohne Gewalt, ohne Angst und ohne mich.
Es war einfach beschissen.
Als wir anhielten, umklammerte Pearl meine Hand fester und ich starrte wie betäubt auf das Gebäude und kämpfte mit den Tränen. Ich hatte bereits gestern Abend geheult und nochmal heute Morgen, bevor wir aufgestanden waren, doch für meine Schwester schaffte es mein Körper in fast jeder Situation ein paar Tränen in Reserve zu halten. Das hier war keine Ausnahme.
Natürlich war ich froh, Pearl an einem Ort zu wissen, an dem sie sicher und unbeschwert würde leben können und dennoch versetzte mir das Ausmaß dessen, was Hunter in so kurzer Zeit für sie hatte organisieren können, einen Stich.
Ich hätte so etwas in einem Jahr nicht hinbekommen und meine eigene Unzulänglichkeit ärgerte mich enorm. Als ältere Schwester hatte ich damit wohl auf ganzer Linie versagt.
Ich hatte immer geglaubt auf Crow und Hunter zu treffen, wäre nur eine weitere Hürde, die ich überwinden musste, um Pearl trotz ihnen ein gutes Leben bieten zu können. Doch nun musste ich feststellen, dass insbesondere Hunter, eher eine Leiter war, die Pearl direkt hinauskatapultierte aus der Scheiße, in der wir aufgewachsen waren. Und nicht das Problem.
Das war gut.
Selbst wenn ich fast an dem Schmerz erstickte, der mich bei dem Gedanken erfasste, sie jetzt gehen zu lassen. Es war gut.
Es war gut.
Wenn ich mir das nur oft genug sagte, würde es besser werden, weniger weh tun, weniger einfach beschissen sein.
Vielleicht.
Irgendwann.
"Die Wohnung ist möbliert, du musst nur den Kühlschrank füllen. In der Nähe gibt es eine Kaufhalle.", meinte Hunter nach einer Weile und reichte Pearl einen Umschlag und ein Handy nach hinten.
Meine Schwester und ich saßen auf dem Rücksitz, wo wir während der Fahrt noch etwas Zeit für uns haben konnten. Nur noch ein bisschen, nur noch einmal.
Sie musste meine Hand loslassen, um den Batzen entgegenzunehmen und hineinzusehen.
Ich aber wusste, was in dem Umschlag war.
Falsche Papiere- besser als ich sie hätte organisieren können- etwas Bargeld, eine Kreditkarte und noch einiges andere an Dokumenten, die sie brauchen könnte. Mietvertrag, Kontoeröffnungsvertrag und so weiter.
Sie hatte einen perfekten Start, in ein perfektes Leben und wenn sie ihre Karten richtig einsetzte, erwartete sie noch ein viel Besseres.
Hunter hatte an alles gedacht.
Er war hilfreich, während ich nun der Klotz an Pearls Bein gewesen war. Die Killerin, die aus diesem Sumpf niemals wieder herauskommen würde, in den sie sich selbst katapultiert hatte.
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Sugar wants to kill you
Storie d'amoreDa ist man nur ein paar Minuten weg und schon wird das Grab, dass man gerade in mühevollen acht Stunden mitten im Nirgendwo ausgegraben hatte, von einem Fremden belegt. Er legt seine beschissenen Leichen dort ab, wo ich die Leiche meines Stiefvaters...