Kapitel 5

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„Ein Spion?", echote Lova. „In den obersten Rängen?"

Viggo nickte. „Wir haben ihn natürlich schon längst enttarnt..." Seine Hand wanderte zu einem Beutel an seinem Gürtel und sie folgte der Bewegung misstrauisch. „Aber es war ein großer Verlust. Sie war eine kluge junge Frau..." Lova verengte die Augen zu Schlitzen. „Sie war?" Er zuckte die Schultern. „Natürlich lebt sie noch, aber einen klugen Kopf zu verlieren, schmerzt das nicht immer?" Sie schnaubte und sah ihn abschätzend an. „Erzähl mir nichts von Verlusten. Du hast also Heidrun verloren, mh? Hast du jetzt Angst, dass der Irre sich auf ihre Seite schlägt? Willst du mich deswegen zurück? Damit ich ihren Platz einnehme? Das glaubst du doch selbst nicht."

Seine Augen weiteten sich überrascht. „Du wusstest, wer sie ist?" Lova schnaubte. „Natürlich. Wie viele Frauen hast du unter deinen Jägern? Nicht genug, als dass ich sie nicht kennen könnte. Genau genommen dürften Heidrun und ich die einzigen Beiden gewesen sein, auch wenn wir nie miteinander bekannt gemacht wurden." - „Höre ich da einen Vorwurf in deiner Stimme?", fragte Viggo und sie verkniff sich ein weiteres Schnauben. „Jetzt interpretierst du. Und Interpretation ist, neben Was-wäre-wenn Gedanken, der größte..." - „Der größte Feind eines Geschäftsmannes", ergänzte er. „Du hast mich schon wieder eiskalt erwischt, meine Liebe."

Lova musste schmunzeln. „Ich habe von den Besten gelernt. Ich kann dir nicht vergeben, aber deine Intelligenz muss ich anerkennen." Viggo zog die Brauen hoch. „Die Kunst, von seinen Feinden zu lernen gehört zu den schwersten und zugleich zu den wichtigsten Dingen, die jeder eines Tages erlernen muss", meinte er und sah sie abwartend an. Erwartete er eine schlaue Antwort? Da würde sie ihn enttäuschen müssen, solange er ihr seinerseits noch eine schuldig war.

„Richtig", sagte sie knapp. „Aber was hat die Spionin jetzt mit mir zu tun?" - „Oh, nun... ", gab Viggo zurück. „Eigentlich fast nichts. Tatsache ist, wie in meinem Brief erwähnt, dass ich nicht verlieren kann. Und ich glaube, mit dir habe ich einiges verloren. Selbst Männer, die schon mehr erreicht haben, als andere auch nur träumen können, müssen hin und wieder von anderen lernen", erklärte er. „Und ich bezweifle leider stark, dass ich von Dagur oder Ryker lernen kann. Der eine ist verrückt, der andere übertrifft mich nur in Sachen Körperkraft. Meine Liebe, ich sage das ungern, aber ich brauche eine zweite Stimme, die mir nicht völlig unterlegen ist, was Intelligenz angeht."

Lova sah ihn genau drei Sekunden fassungslos an, ehe sie in lautes Gelächter ausbrach.

„Du...", Sie brauchte einen Moment, um sich zu fassen. „Du machst Witze." Die Wikingerin wurde Zeuge des wohl seltensten Ausdrucks auf Viggos Gesicht. Verwirrung. „Eigentlich tue ich das ganz und gar nicht", entgegnete er langsam. „Was bringt dich zu der Annahme?" Lova zog eine Augenbraue hoch und er hob abwehrend die Hände. „Meine Liebe, kein Grund zu Skepsis, das schwöre ich dir." Sie schnaubte belustigt. „Natürlich", gab sie zurück. „Du siehst meine Flucht also als so maßgebliches Zeichen der Intelligenz, dass es dich all deine Ich-bin-ein-Geschäftsmann Reden vergessen und mir hinterhersegeln lässt?"

Ihre Stimme triefte förmlich vor Sarkasmus, doch Viggo nickte nur. „In etwa genauso ist es." Lova schwieg nachdenklich. Sie musste logisch denken, wenn sie Antworten wollte. Was an ihrer Flucht war so bemerkenswert gewesen, dass es Viggo zu diesem risikoreichen Versuch brachte?

„Oh...", sagte sie leise, mehr an sich selbst gewandt. Dann lehnte sie sich näher zu ihm und sah direkt in seine braunen Augen. Sie spürte seinen warmen Atem an ihrer Haut und achtete genau auf jede mögliche Regung. „Wofür brauchst du einen Skrill, Viggo?"

Für einen kleinen Moment sah er fast verdutzt drein. Seine Pupillen weiteten sich kaum merklich und sein Atem stockte etwa eine halbe Sekunde lang. Wäre sie ihm nicht so nahe gewesen, hätte sie es nicht bemerkt.

„Wie bist du darauf gekommen?", fragte er und machte keine Anstalten, sich von ihr zu entfernen. Leider funktionierte ihre Strategie anscheinend in beide Richtungen. „All dein plötzliches Interesse an mir, es begann erst nach meiner Flucht. In deinem Brief hast du den Skrill nur als wertvoll beschrieben, deswegen habe ich nicht weiter darüber nachgedacht, aber..." Sie lächelte triumphierend. „Du hast nie gesagt, dass er wegen des Goldes so wertvoll war, welches er theoretisch bringen würde. Auch das, nicht Grund genug, ich weiß. Aber dein Gerede von meiner bemerkenswerten Flucht..." Lova schüttelte langsam den Kopf, ihr Blick wanderte seinen Hals herunter zu den Narben und wieder hoch zu seinen Augen. „Da war keine Taktik dahinter. Bemerkenswert war, dass ich einen Skrill gezähmt habe, ohne Tricks oder ein Drachenauge voller Informationen... Und du kannst ein solches Rätsel nicht einfach ungelöst lassen, richtig?"

Als sie endete, stieß Viggo ein leises Lachen aus. „Ich hätte wissen sollen, dass dein Grips mir irgendwann zum Verhängnis werden würde. Ja, du hast Recht. Der Skrill war der Grund, aus welchem ich dir gefolgt bin, ich habe nie geglaubt, dass du deine Freiheit für ihn aufgeben und ihn ziehen lassen würdest. Aber meine Liebe, mit dieser Schlussfolgerung hast du deine Intelligenz ein weiteres Mal unter Beweis gestellt, es war ganz sicher keine Lüge, dass ich einen klugen Kopf in meiner Truppe gebrauchen kann." Lova verschränkte die Arme vor der Brust. „Meinetwegen. Du glaubst, ich bin ach so schlau und habe dich überrascht. Du willst eine neue Sichtweise, schon verstanden. Mit einem Bruder wie deinem hätte ich wohl denselben Wunsch. Aber..." Sie lehnte sich ein Stück weiter nach vorn, sodass ihre Nasenspitzen sich beinahe berührten. „Was willst du von dem Skrill? Es geht nicht nur um Gold, richtig?" Viggo zog seinen Kopf ein Stück zurück, um Abstand zwischen sie Beide zu bringen. Vielleicht wollte er aber auch nur, dass sie sein gewinnendes Lächeln sah.

„Meine hochverehrte Louvisa, was weißt du über Feuerschweife?"

Vermutlich hatte er erwartet, dass seine Frage einschlug einen durchschlagenden Effekt hätte, doch Lova blinzelte nur verwirrt. „Rein gar nichts, schätze ich."

Er stockte kurz, sie hatte ihn aus dem Konzept gebracht. Dann konnte sie förmlich sehen, wie sein Gehirn arbeitete und vermutlich irgendeine geniale Eingebung zusammenbastelte. „Das ergibt Sinn", meinte er dann. „Vernell liegt weit weg von der Wanderroute der Eisschwanzhechte." Als er ihren weiterhin verwirrten Blick bemerkte, fügte er hinzu: „Der Hauptbestandteil ihrer Nahrung."

Lova stieß ein Seufzen aus und ließ sich zurück gegen ihren Felsen sinken. „Schön und gut. Und was sind diese Drachen nun?" - „Bei Feuerschweifen handelt es sich um die natürlichen Feinde des Skrills. Er hat als einziger bekannter Drache eine wirkliche Chance gegen sie. Feuerschweife sind gefährliche, recht rabiate und höchst seltene Drachen, mit zwei beweglichen Augenpaaren und Kiemen an mehreren Körperstellen, mit welchen sie Feuer speien können", erklärte Viggo und sah sie abwartend an. Dieses Mal konnte sie ihm allerdings keine gute Antwort liefern, denn sie verstand überhaupt nichts.

„Und was hast du mit gefährlichen, rabiaten, fast unbesiegbaren Drachen zu schaffen?", hakte sie nach, doch Viggo schüttelte den Kopf und wartete kaum ab, dass sie ihren Satz beendete. „Ich habe nichts mit ihnen am Hut, aber es gibt da jemanden, der sehr großes Interesse an ihnen gezeigt hat. Und das missfällt mir sehr", erklärte er. „Es handelt sich um einen Ehrengast bei meiner nächsten Auktion. Die begehrtesten Plätze sind von den Reichsten der Reichen besetzt und man muss sich Monate vorher ankündigen."

„Und dieser... Ehrengast hat sich nach Feuerschweifen erkundigt?", fragte Lova interessiert. Viggo nickte. „Ja. Als wir ihm mitteilten, dass es uns bisher nicht gelungen ist, einen zu fangen, war er geradezu auffällig desinteressiert. Er hätte beinahe abgesagt, also habe ich mich informiert. Ich wusste vorher nie viel über diese Drachen, aber mit meinem neu gewonnen Wissen... Das beunruhigt mich sehr, wenn ich ehrlich bin." - „Das ergibt natürlich Sinn, aber ich muss dich enttäuschen", entgegnete sie trocken. „Der Skrill ist auf und davon, du musst dich zu einem anderen Zeitpunkt auf die Suche machen." Viggo schüttelte nur den Kopf und machte eine abwehrende Handbewegung. „Das erwarte ich auch nicht. Wenn du mir versicherst, dass der Drache gezähmt ist, reicht mir das."

Lova zuckte die Schultern. „Das ist ein wildes Tier, Intelligenz hin oder her. Ich kann dir nichts versichern, außer, dass er mir den Kopf nicht abbeißen wollte", meinte sie und wollte eigentlich abwehrend den Blick abwenden und das Thema wechseln, als ihr etwas einfiel. „Glaubst du, dass dieser Mann eine größere Bedrohung darstellt als du und deine Drachenjäger?"

Viggo senkte für einen Moment den Blick, ehe er wieder zu ihr hoch sah. Eine dunkle Vorahnung lag in seinen braunen Augen. „Ich glaube, dass wir beide uns nicht einmal vorstellen können, wie groß die Bedrohung sein wird, die von ihm ausgeht, wenn er diese Drachen in die Hände bekommt."

Lova stieß die Luft aus, von der sie gar nicht bemerkt hatte, dass sie sie angehalten hatte und fluchte leise. „Wenn du wirklich die Wahrheit sagst...", Sie sah ihn abwartend an und er nickte. „Das tue ich. Es gibt Ereignisse, die selbst ein Mann ohne Skrupel nicht geschehen lassen kann."

Die Wikingerin seufzte und zog ihren Dolch aus ihrem Gürtel. Ein wenig vertrocknetes Blut klebte an der Schneide, sie hatte in den letzten Wochen einige Fische damit ausgenommen und wollte nicht riskieren, dass ihre einzige Waffe dank des Salzwasser rostete, wenn sie sie wusch. Dann griff sie nach Viggos Hand und legte den Griff des Dolches hinein. „Der Skrill wird meinen Geruch erkennen, er hat herausragende Sinne. Außerdem hatte er irgendwas mit dem Metall, aber..." Sie zog ihre Hände zurück und entgegnete Viggos überraschten Blick mit einem Schmunzeln. „Was? Ich will nicht, dass jemand Macht über diese Welt hat, der noch gefährlicher ist als du. Und wenn dieser Mann auch noch Drachen hat..." Lova schüttelte den Kopf, um die Vorstellung zu vertreiben. „Vielleicht hilft es dir, den Skrill im absoluten Notfall auf deine Seite zu ziehen. Das ist kein Versprechen, nur eine Hilfe, aber es ist besser als dich ohne irgendetwas auf einen aggressiven Drachen loszulassen."

„Danke", sagte Viggo leise und verstaute den Dolch an seinem Gürtel. „Glaub aber nicht, dass ich aufhören werde, nach meinem Vorteil zu suchen, meine Liebe. Ich bin ein..." Sie unterbrach seine Ansprache, ehe er sich in sein übliches Geschwafel verstrickte. „Geschäftsmann, ich weiß. Aber irre Typen mit Feuerschweifen sind schlecht fürs Geschäft." Viggo lachte und sie bemerkte aus dem Augenwinkel, dass eine seiner Hände schützend über ihrem Dolch lag, als wäre es ein wertvolles Artefakt. Was es nun vermutlich auch war.

„Du liegst wieder einmal völlig richtig, meine teure Louvisa. Obwohl ich der ganzen Sache noch einige Monate gebe, bis wir uns sorgen müssen, weiß ich dein Geschenk doch zu schätzen." Lova hob eine Hand und bedeutete ihm damit, den Mund zu halten. „Glaub bloß nicht, dass das ein Geschenk war. Sobald du glaubst, dass die Gefahr vorbei ist, will ich meine Waffe wieder. Und damit auch Freiheit für den Skrill, verstanden?" - „Natürlich. Der Drache kommt frei und...", Viggo unterbrach sich und legte leicht den Kopf schief. Lova musste kein Genie sein, um ihre eigene Geste darin zu erkennen. „Heißt dass, dass wir uns wiedersehen?"

Sie verdrehte die grauen Augen. „Selbstverständlich. Aber das war kein „Ja" zu deinem Angebot, du schuldest mir noch die Antwort auf meine zweite Frage", stellte sie klar. Viggo verschränkte die Hände hinter dem Kopf und lehnte sich dagegen, er machte es sich offenbar bequem, ehe sie ihren nächsten Zug machte.

„Natürlich, meine Liebe. Ich werde meine Schulden begleichen, kein Grund zur Sorge."

ClematisWo Geschichten leben. Entdecke jetzt