Epilog

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Die Holzdielen unter Lovas Füßen knarrten, als sie auf den Steg trat. Der salzige Seewind hinterließ ein angenehmes Prickeln auf ihrer Haut und bot die ersehnte Kühlung nach ihrem langem Flug. Während Lova den Duft des Meeres tief einsog, brandeten hinter ihr Wellen gegen das Kliff, welches die Insel umgab. An diesem besonderen Tag wiesen Fackeln und Drachenfeuer den zahlreichen Besuchern die sicherste Route durch das Riff und die scharfkantigen Felsen, sodass Lova ihr Ziel auch auf herkömmlichen Wege hätte erreichen können. Normalerweise allerdings musste ein unwissender Reisender mit einem Leck oder Schlimmeren rechnen – ein weiterer, guter Grund, warum Lova schuppige, feuerspeiende Transportmittel bevorzugte.

„Guter Flug, mein Mädchen", lobte sie den Drachen auf ihrer Schulter grinsend und verdrehte lachend die Augen, als dieser ihr daraufhin mit seiner rauen Zunge über die Wange leckte. „Babydrachen", meinte Lova daraufhin zu niemand bestimmten und verpasste dem kleinen Skrill eine liebevolle Kopfnuss. „Tyra, du weißt doch, dass die Flecken nicht rausgehen!" Ungeachtet der Beschwerde ließ Tyra sich nicht beirren und hinterließ weitere Sabberflecken auf Lovas dunkelroter Tunika, während die Wikingerin die Drachenkrallen von ihrem Überwurf aus Schafsfell löste. Weiße Wolle blieben an der Nase des Skrills hängen, als dieser unter Lovas Bemühungen zappelte. Wie Miniaturwolken baumelten weitere Fetzen von Tyras Schnauze, ihren dunkelgrauen Flügeln und sogar von ihren Zähnen, als der Drache diese aus Protest in Lovas Kleidung vergrub.

Mit einem Ächzen hob Lova den Skrill – der mittlerweile etwa die Größe eines durchschnittlichen Schafes erreicht hatte – in die Höhe, um seinem starken Gebiss zu entkommen. „Seit dir Zähne gewachsen sind, gehen deine Instinkte mit dir durch", tadelte sie ihren Drachen und drehte empört den Kopf weg, als Tyra sich statt einer Antwort nur schüttelte und weiße Wolle durch die Luft flog. „Ich liebe dich auch", murrte Lova, während der Skrill sich plötzlich nach ihrer Nähe zu sehnen schien und wieder auf ihren Rücken kletterte. Tyras Krallen stachen sie in die Seite, doch die Wikingerin ersparte sich jeden Protest – früher oder später wäre der Drache ohnehin zu groß, um sich solche Spielereien zu erlauben, und dieser Tag würde schon zeitig genug kommen. Lova lächelte also nur kopfschüttelnd, während der Skrill seine Schnauze auf Lovas Schulter abstützte und die gelben Augen schloss, um ein Nickerchen zu machen. Manchmal war eben selbst eines der tödlichsten Lebewesen des Inselreiches nur ein drolliges Drachenbaby, und nichts weiter.

Leise summend und mit schwingenden Schritten, um den Skrill in den Schlaf zu wiegen, folgte Lova dem Strom der Menschen, die um sie herum geschäftig über den Steg eilten, sich in kleinen und großen Gruppen über ihre letzten Abenteuer austauschten oder sogar gemeinsam mit ihren Drachen auf dem Steg landeten und sich genau wie alle anderen aufmachten, um ihren Namen auf der Gästeliste eintragen zu lassen. Kaum einer legte Wert auf die Leute, die sie umgaben, und so ließ auch Lova ihre neugierigen Blicke bald sein. Lediglich hin und wieder reckte sie den Kopf, auf der Suche nach einem bekannten Gesicht oder auch nur, um einen besonders exotischen Drachen unter die Lupe zu nehmen. Tyra auf ihrer Schulter dagegen, geweckt durch die spannenden Gerüche, bedachte besonders die vorbeilaufenden Drachen mit finsterem Blicken, Zähnefletschen und einem kindlichen Knurren – es war jedoch unnötig zu erwähnen, dass keine der ausgewachsenen Echsen sich von einem kleinen Wesen wie Tyra beeindrucken ließ. Auf Tyras entrüstetes Fauchen schüttelte Lova nur verhalten grinsend den Kopf und tätschelte ihrem Drachen die Schnauze. „Wenn du älter bist, wirst du der furchterregendste Drache von ihnen allen sein", versprach sie dem Skrill und schnippte ihm einen Wollfetzen von der Stirn. „Versprochen, Kleine."

Tyra breitete die Flügel aus, um sich größer erscheinen zu lassen, und verpasste einem vorbeilaufenden Wikinger eine Ohrfeige. Missmutig fuhr der Mann zu ihr herum, um sie anzufahren, doch Lova nuschelte bereits eine Entschuldigung und schob sich an zwei streitenden Naddern vorbei, ehe sie sich Ärger einhandelte. „Was hatte ich dir über enge Räume und deine Angeberei gesagt?", sagte Lova und hielt ihrem Drachen den Mund zu, ehe er sie mit seinem Protestgeschrei in eine noch größere Bredouille brachte.

ClematisWo Geschichten leben. Entdecke jetzt