Kapitel 55

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Mit vereinter Kraft stemmten sich Wikingerin und Drachenrudel gegen die eisverkrusteten Gitterstäbe ihres Käfigs. Es war eine Knochenarbeit, und Lovas Stichwunde brannte, jeder Muskel in ihrem Körper protestierte. Alles tat ihr weh, Schweißperlen rannen über ihre Stirn, und dennoch bewegte sich die Tür keinen Millimeter.

Mit einem frustrierten Keuchen trat die Wikingerin einen Schritt zurück und erlaubte sich, Atem zu holen. Zum ersten Mal seit sieben Tagen verfluchte sie die Wärme anstelle der Kälte, denn die schweißtreibende Anstrengung würde ihre Erkältung nur noch verschlimmern. „Verfluchter Winter", zischte sie und warf die Hände in die Luft. „Und dreimal zur Hel verdammte Tür."

Als hätte sie ihren Fluch gehört, gab die Tür ein Ächzen von sich, welches schnell im Wind verhallte und kaum mehr war als Salz in der Wunde und ein weiterer Punkt auf Lovas Liste mit Unannehmlichkeiten. Es musste irgendeinen Weg geben, sie zu öffnen, das hier konnte doch nicht das Ende sein...

Kopfschüttelnd trat Lova einen weiteren Schritt zurück und besah sich die Zellentür aus einiger Entfernung, während der kleinste Qualmdrache auf ihrer rechten Schulter saß und an ihrem Ohr knabberte, und zu ihrer Linken der Mittlere und der Anführer flatternd und krächzend um die Kupfermünze stritten. Einerseits war die Geräuschkulisse eine ungeheure Ablenkung, andererseits brachte es ihren Verstand auf eine Idee, die möglicherweise – und damit meinte sie, mit einer wirklich geringen Wahrscheinlichkeit – tatsächlich funktionieren könnte.

Lova sah zu der Zellentür, dann zu den streitenden Qualmdrachen und schließlich zum Lager. Um diese Zeit war es meist unheimlich still, sodass die Vermutung nahelag, dass die meisten Bewohner gerade auf Drachenjagd waren. Schlecht für die umliegenden Lebewesen, gut für Lovas Plan.

„Könnt ihr mir einen Speer bringen?", fragte Lova und erntete dafür verständnislose Blicke. Natürlich, die Qualmdrachen waren klug, doch vermutlich nicht klug genug, um die menschliche Sprache so gut zu verstehen wie beispielsweise Runna. Lova schnaubte verärgert und versuchte mit Händen und Füßen, die Proportionen eines Speeres nachzustellen. „Holen", setzte sie dann hinterher, betend, dass die Drachen es verstanden. „Bitte."

Der Mittlere und der Anführer tauschten einen Blick, dann erhoben sie sich mit einem einzigen, schwungvollen Flügelschlag in die Lüfte. Lova konnte sich ein erleichtertes Seufzen nicht verkneifen, als sie sah, dass die beiden Drachen in die richtige Richtung flogen und zudem noch auf das Waffenlager zuhielten. Alles würde gut gehen. Es musste gutgehen.

Die beiden Drachen brachten tatsächlich den gewünschten Speer mit. Auch wenn er schwer in Lovas Händen lag, nachdem sie den Kampf mit dem Langbogen gewohnt war, aber gleichzeitig in Länge und Gewicht auch nicht mit einem Schwert zu vergleichen war, für ihre Pläne musste er ausreichen.

„Danke", murmelte die Wikingerin und tätschelte dem Mittleren lobend die Schnauze. Der Qualmdrache zischte und knurrte, ließ es sich aber widerwillig gefallen, ehe es ihm zu bunt wurde und er sich wieder auf ihrer Schulter niederließ. Dort schlang er den Schweif um ihren Bauch, um an Halt zu gewinnen, während Lova gegen die Zellentür trat und die so entstehende Lücke ausnutzte, um den Speer dazwischenzuschieben. Dann packte sie den Griff und verlagerte all ihr Gewicht auf das in die Höhe ragende Ende. Und schon hatte sie einen Hebel.

Sie fragte sich, warum sie nicht gleich darauf gekommen war, doch andererseits war die Wirkung so herausragend, dass sie den Gedanken schnell beiseiteschob. Sie hatte eine Lösung, nicht wahr? Und mit jedem Zentimeter, den sich die Tür weiter verbog und dabei knarzte und ächzte, bewies ihre These. Sie war auf dem besten Weg, zu fliehen. Oder zumindest hatte sie sich das sehr überzeugend vorgespielt. Denn obwohl die Gitter bald brachen, hörte Lova dennoch die schweren Schritte, knirschend durch den hohen Schnee. Sie entschied sich nur bewusst, diese zu ignorieren – bis es dafür keine Möglichkeit mehr gab und selbst die zankenden Qualmdrachen innehielten. Erst dann drehte sie sich um, den demolierten Speer fest in den Händen.

ClematisWo Geschichten leben. Entdecke jetzt