Kapitel 39

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Die Insel der Beschützer des Flügels war weitläufig und fand ihren Ursprung in ihrem berühmten Vulkan, der so alt wie die Götter selbst sein musste. Die Menschen hier lebten in tiefster Hochachtung vor ihren Ahnen, und als Gegenleistung wurden sie von einem Drachen geschützt, wie er Lova noch nie untergekommen war. Der große Beschützer war groß und mächtig, ziemlich sicher ein Vertreter der Wackersteinklasse, sein Blut schien aus Lava zu bestehen und mithilfe seines Speichels konnte jedes Metall und jeder Stoff so hitzebeständig gemacht werden, dass es einem Wunder glich. Alles hier war so neu, so fremd, nachdem sie die letzten Jahre unter Drachenjägern verbracht hatte. Kunst und Kultur waren hier tief verankert, sodass dieses Volk zu den klügsten des Inselreiches und darüber hinaus zählen musste. Diese Insel war, kurz gesagt, überaus beeindruckend. Und wenn Lova es gekonnt hätte, wäre sie wohl für immer hier geblieben.

„Du bist jetzt schon einige Wochen hier und trotzdem wirkst du noch immer so wehmütig wie am ersten Tag", stellte Dunja fest und schenkte der Wikingerin ein aufmunterndes Lächeln. „Du kannst so lange bleiben wie du willst, nachdem du jetzt Malas Segen hast. Du solltest aufhören, dir Sorgen zu machen. Die Jäger würden es nicht wagen, einfach hier aufzutauchen."

Lova seufzte leise und griff sich einen Apfel von dem reichhaltigen Angebot auf dem Frühstückstisch. Dunja war ein Naturtalent in der Küche, sodass sich neben Milch, Tee und Obst auch reichlich Gebäck auf dem übervollen Tisch stapelte, und es tat Lova leid, dass sie die Bemühungen ihrer Gastgeberin nie wirklich würdigen konnte. Doch das Gefühl, ein Eindringling auf dieser idyllischen Insel zu sein, ließ sie nie los. Sie gehörte nicht hierher, das wusste sie selbst. Ihre Rastlosigkeit ließ nicht nach, vielmehr nahm sie mit jedem Tag zu. Lova ertrug es kaum, hier herumzusitzen und nichts zu wissen. Es gab keine tratschenden Händler hier, die allerhand Geschichten mit jenen teilten, die sie hören wollten – oder es eben nicht wollten, manche waren da nicht wählerisch. So nervtötend sie es auf den Marktinseln gefunden hatte, ständig von einem Händler aufgehalten zu werden, der ihr seine gesamte Lebensgeschichte erzählen wollte, desto mehr sehnte sie sich jetzt nach dieser Art der Nachrichtenübermittlung. So könnte sie unauffällig erfahren, wie der Kampf zwischen Krogan, Viggo und den Drachenreitern verlief, ohne wie eine Spionin zu wirken. Stattdessen saß sie hier wie auf glühenden Kohlen und wusste nichts.

„Tut mir leid", murmelte Lova. „Ich bin wohl nicht geschaffen für Gemeinschaften wie diese." Es klang ablehnender, als es gemeint war, nachdem sie es ausgesprochen hatte, doch Dunjas Lächeln wankte keine Sekunde. „Du wirst dich hieran gewöhnen", entgegnete sie und schob mit Zuckerguss verzierte Kekse auf den leeren Teller der Wikingerin. Gebäck schien ihre Lösung für alle Probleme zu sein, von ihrer Abneigung Throk gegenüber einmal abgesehen. „Sobald du dieses Debakel bei den Jägern hinter dir gelassen hast, wird dir das alles leichter fallen." Es war weitaus mehr als ein einfaches Debakel gewesen, doch Lova verzichtete darauf, sie zu korrigieren. Nach allem, was Dunja für sie getan hatte, wäre es wohl ziemlich unhöflich und die Beschützer des Flügels legten großen Wert auf Höflichkeit.

„Vermutlich hast du Recht", sagte Lova stattdessen und biss in ihren Keks. Er schmeckte süß, als sich das Aroma auf ihrer Zunge entfaltete. Vielleicht war Gebäck doch ein guter Lösungsansatz für ihre Probleme. „Und du bist eine talentierte Bäckerin."

Dunja lachte und fuhr sich verlegen durch den roten Lockenschopf. „Danke", gab sie zurück. Lachfältchen lagen um ihre ausdrucksstarken Augen und spiegelten ihre fröhliche Persönlichkeit wider. Lova wunderte sich kein bisschen, warum man sie ausgerechnet zu dieser Frau geschickt hatte, denn in der Kriegerin steckte auch ein sehr herzlicher und offener Mensch. Sie legte außerdem nicht ganz so viel Wert auf absolute Höflichkeit wie der Rest ihres Volkes, was Lova die Eingewöhnung deutlich erleichtert hatte. Es gab sogar Tage, an denen sie sich beinahe traute, diese kleine Hütte als ihr Zuhause zu bezeichnen.

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