Das, was Lova vor sich sah, konnte nur aus einem Albtraum stammen. Es war unmöglich, dass das die Realität war. Sie musste sich irren, sicher würde sie gleich aufwachen und sich wieder in der Hütte wiederfinden, während eine leichte Brise den salzigen Duft des Meeres zu ihr trug und sie das Kreischen der Möwen hören konnte. Jeden Moment würde sie dieses grauenhafte Bild von sich abschütteln und sich in der weichen Wärme eines Bettes wiederfinden, während die Sonne mit ihrem goldenen Licht über sie wachte. Anders konnte es nicht sein, denn das vor hier war nicht echt, es musste eine Lüge sein, ein Trugbild ihrer Sinne.
„Das ist nicht real", murmelte Lova, wieder und wieder, wurde mit jedem Mal ein wenig lauter. „Das ist nicht real, das ist nicht real, das ist nicht real, das ist nicht real, das ist nicht real, das ist nicht real, das ist nicht real, das ist nicht real, das ist nicht real, das... Das. Ist. Nicht. Real."
„Ich fürchte, das ist es", hörte sie Johanns Stimme hinter sich. Ohne ihn anzusehen konnte sie sich das spöttische Lächeln vorstellen, das selbstzufriedene Funkeln in seinen Augen, als er ihre Verzweiflung sah. „Sieh genau hin, dann bemerkst du es auch."
Alles in Lova kämpfte dagegen an, doch sie konnte nicht anders, als seinen Worten zu folgen. Ihr stockte der Atem, heiße Tränen rannen über ihre Wangen, ihr Mund stand offen vor Schock. Sie war zu keiner Regung fähig, während sich das Bild vor ihr in ihre Netzhaut einbrannte. „Das ist nicht real", flüsterte sie fassungslos. „Das kann nicht real sein."
„Kannst du nicht sein Blut riechen?", hauchte Johann in ihr Ohr. „Siehst du nicht seine Angst, sein schmerzverzerrtes Gesicht? Du bist hellwach, auch wenn es dir wie ein Albtraum erscheint."
„Nein...", sagte Lova erschüttert, als ihr Blick Viggos traf. „Das kann nicht sein."
Es konnte sein, natürlich konnte es. So sehr sie die Erkenntnis von sich stieß, sie träumte nicht. Es würde kein Erwachen geben, welches sie von diesem Anblick erlöste, denn dieser Anblick war die Realität, egal, ob sie es wollte oder nicht. Sie könnte es abstreiten, sie könnte schreien oder weinen, sie könnte die Augen vor der Wahrheit verschließen, doch auch dann wäre da ein Dolch in Viggos Bauch, da wäre noch immer seine blutverschmierte Tunika und da wäre Krogan, der ihn festhielt, die Axt gegen seine Kehle hielt und ihn mit einem Knebel ruhigstellte.
Deswegen war es hinter ihr so still gewesen. Deswegen hatte kein Laut sie von ihrem Kampf gegen Johann abgelenkt. Als sie ihn attackiert hatte, musste Viggo sie gehört haben, und damit hatte Lova Krogan die Chance gegeben, die er gebraucht hatte. Sie hatte Viggo nicht gerettet.
Sie hatte ihn ausgeliefert.
Mit einem Aufschrei sprang Lova auf die Füße und rannte auf Krogan zu, das Gesicht zu einer wutentbrannten Grimasse verzogen. Mit aller Kraft, die sie aufbringen konnte, packte sie seine Axt und riss sie ruckartig nach oben, bis ein lautes Knacken ertönte und dickes, dunkelrotes Blut über ihre Finger floss. Sie hatte genau diese Technik schon einmal angewandt, und sie war so wirkungsvoll wie eh und je. Krogans Nase war demoliert, wenn nicht sogar gebrochen, und Lova hielt seine Waffe in den Händen.
Als der Drachenflieger die Arme in die Höhe riss und seine Hände gegen sein Gesicht presste, um den Blutfluss zu stoppen, sah Lova Viggo taumeln. Ohne den Halt, die Krogan ihm mit seinem festen Griff gegeben hatte, wurde noch offensichtlicher, wie gefährlich die Wunde in seinem Bauch wirklich war. Er fiel, und Lova konnte ihn gerade rechtzeitig auffangen, ehe er auf dem Dielenboden aufschlug. Mit einem endgültigen Klirren landete stattdessen Krogans Axt auf dem Holz, während Lova unter dem unerwarteten Gewicht wieder in die Knie gehen musste.
„Nein...", murmelte sie fassungslos. „Nein, nein, nein..." Mit zitternden Händen strich sie Viggo Schweiß und Blut von der Stirn, bettete seinen Kopf in ihrem Schoss und löste den Knebel von seinem Mund. Jede Bewegung, egal wie vorsichtig Lova dabei auch vorging, schien ihm Schmerzen zu bereiten. „Es tut mir leid", sagte sie leise. „Ich wollte das alles nicht." - „Ich weiß, Liebste", gab er mit angestrengter Stimme zurück. „Ich hätte damit rechnen müssen."
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Clematis
FanfictionWieso verriet Ryker seinen Bruder? Wie gelang es Viggo, aus dem Vulkan zu entkommen? Wie erhielt er die Narben an seinem Hals? Wer rettete ihn, als er in der Basis der Drachenjäger bereit war, sich für Hicks zu opfern? Und noch viel wichtiger; gab e...