Kapitel 13

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Am nächsten Morgen wurde sie von einer rauen, feuchten Zunge und einem unverkennbaren Lachen aus dem Schlaf gerissen. Verwirrt setzte Lova sich auf und blinzelte sich mühsam den Schlaf aus den Augen, nur um in Runnas vor Aufregung weit aufgerissene, grüne Augen zu sehen. Der Wechselflügler leckte ihr begeistert über die Wange und rieb seine Schnauze an ihrem Gesicht, als hätte er sie seit zehn Jahren nicht mehr gesehen. „Guten Morgen", murmelte sie und kraulte ihrem Drachen den Hals, was Runna mit einem Schnurren quittierte.

„Den wünsche ich dir auch, meine Liebe", hörte Lova jemanden sagen und fuhr erschrocken herum. Neben ihr stand Viggo Grimborn höchstpersönlich, mit einer noch größeren Menge Drachensabber im Gesicht als sie. Runna hatte ihren Schweif um seine Beine geschlungen und hielt ihn somit von jeder Bewegung ab. Sie hatte doch gewusst, dass sie sein Lachen gehört hatte...

„Was im Namen aller Götter tust du hier?", fragte Lova entgeistert, obwohl sie ziemlich amüsiert war über seinen Anblick. Runna hatte es irgendwie geschafft, dass seine Haare wie Stacheln von seinem Kopf abstanden, aber sie würde ihn ganz sicher nicht darauf hinweisen.
„Eigentlich wollte ich dich wecken und deinen Drachen begutachten", erklärte Viggo und wischte sich mit dem Handrücken Runnas Speichel aus dem Gesicht. „Aber es sieht eher so aus, als hätte er mich begutachtet." Runna, deren Kopf mittlerweile auf Lovas Schoss ruhte und die Streicheleinheiten ihrer Reiterin genoss, warf ihm einen selbstzufriedenen Blick zu und stieß angeberisch Rauchkringel aus ihren Nasenlöchern. Lova dagegen lachte nur. „Runna ist ein Weibchen", erklärte sie, als sie sich wieder fasste. „Ein ziemlich junges, um genau zu sein."

Viggo ließ sich vorsichtig neben ihr nieder und beobachtete für einen Moment lediglich die Vertrautheit zwischen Drache und Reiter. „Junge Wechselflügler sind die Sicherheit ihrer Gruppe gewöhnt und neigen zu leichtsinnigen Aktionen, wenn sie sich sicher fühlen", meinte er dann und streckte die Hand nach Runna aus, nur um sie dann unschlüssig in der Luft verharren zu lassen. Lovas aufmerksamer Blick folgte der Bewegung. „Du kannst sie streicheln, wenn du willst", sagte sie, belustigt über sein Zögern. „Aber gib nicht mir die Schuld, wenn sie dir die Hand abbeißt." Runna nutzte genau diesen Moment, um ihr Maul zu einem Gähnen zu öffnen und ihre beeindruckend scharfen Zähne zu präsentieren. Dennoch zuckte Viggo nicht zurück, sondern wartete einen Moment ab und strich dem Wechselflügler dann vorsichtig über die Schnauze. Der Drache bedachte ihn mit einem gelangweilten Blick, ehe er wieder die Augen schloss, um sich Lovas Streicheleinheiten hinzugeben. Bei dem angesäuerten Blick des Anführers der Drachenjäger brach die junge Frau in hemmungsloses Gelächter aus.

„Wechselflügler sind wohl sehr rudelbezogene Drachen", sagte Viggo schließlich und fuhr sich durch die wild von seinem Kopf abstehenden Haare. Lova, die sich den vom Lachen schmerzenden Bauch hielt, warf ihm einen amüsierten Blick zu und hob die Brauen. „Willst du mir gerade mit wissenschaftlichen Worten erklären, dass sie mich lieber mag als dich, weil ich zu ihrem Rudel gehöre?", fragte sie interessiert. Viggo musterte Drache und Reiterin für einen Moment nachdenklich, ehe er antwortete: „Möglich. Du hast dir auf jeden Fall einen der treusten Drachen ausgesucht, die das Inselreich zu bieten hat, auch wenn ich mich noch immer frage, wie du das geschafft hast." Auf Lovas Lippen breitete sich ein Lächeln aus. „Das bleibt mein Geheimnis."

Viggo setzte zu einer Nachfrage an, wurde aber von Runna unterbrochen. Der Wechselflügler schien den Mann plötzlich doch ziemlich spannend zu finden und schnüffelte neugierig an seiner Hand. „Dein Drache wirft mir Fragen auf", meinte Viggo, gestattete Runna aber dennoch, seine Witterung aufzunehmen. „Nicht nur dir", gab Lova zurück und verdrehte theatralisch die grauen Augen. „Ich weiß gar nicht, wo sie das her hat." Während sie sprach, suchte die Wikingerin in einer ihrer Taschen nach etwas Essbarem, um ihren Drachen abzulenken. Sie hatte nach dem unerwartet kurzen Flug noch genug Proviant übrig, um selbst die stets hungrige Runna für einige Tage durchzufüttern. „Langsam essen und kauen, Süße", erklärte Lova ihrem Drachen, als sie ihr einen Fisch hinhielt. Natürlich hörte Runna nicht auf sie und schlang die Forelle in einem Stück herunter, aber wenigstens ließ sie ihre Nase jetzt von Viggos Händen. Lova schüttelte leise seufzend den Kopf und warf ihm einen entschuldigenden Blick zu, ehe sie sich gegen Runnas Bauch sinken ließ.
„Und was genau bringt dich an diesem wunderschönen Morgen zu mir, Viggo?"

Er wischte ihre Frage mit einer abwehrenden Handbewegung beiseite. „Nichts von großer Bedeutung", sagte er, fuhr bei Lovas abwartendem Blick aber schließlich fort. „Die momentanen Pläne der Drachenjäger." Sie hob die Brauen. „Ach ja?", fragte sie. „Und wie sehen diese aus?" Auf Viggos Gesicht breitete sich ein triumphierendes Grinsen aus. „Ich glaube nicht, dass das im Bereich deiner Vorstellungskraft liegt, meine Liebe", entgegnete er und erhob sich in einer fließenden Bewegung, nur um ihr dann hilfsbereit die Hand entgegenzuhalten.

Lova ergriff sie, verstärkte aber gleichzeitig ihren Griff um Runnas Hals. Sofort sah der Drache aufmerksam zwischen den Beiden hin und her, auf ein kleines Zeichen von Gefahr wartend. Wenn Viggo sie auch nur in eine annähernd riskante Situation brachte, würde er vermutlich von einem Schub Säure zu blanken Knochen verarbeitet werden. „Dann zeig es mir", sagte Lova entschieden und ließ zu, dass er ihr auf die Füße half. Ihr Knöchel schmerzte noch immer, aber dieses Mal stützte sie sich auf Runna ab, statt Viggo um Hilfe zu bitten.

„Hast du die Verstauchung überhaupt versorgt?", fragte dieser mit hochgezogenen Brauen. Lova stieß ein Schnauben aus. „Mit welchen Mitteln denn bitte?", fragte sie und kämpfte um ihr Gleichgewicht, als Runna sich neugierig nach ihrer Reiterin umdrehte und ihr Körper dabei in mehr Bewegung geriet, als Lova ausbalancieren konnte. Beinahe wäre die Wikingerin im Dreck gelandet, aber Viggo streckte gerade rechtzeitig die Hand aus, um sie zu stützen. „Was benötigst du?", fragte er, während sie Runna losließ, um sich wieder bei ihm abzustützen. Das war zwar auch nicht die beste Möglichkeit, aber noch immer besser als eine Bruchlandung im Gras. „Eine Art Schiene, schätze ich", antwortete Lova zweifelnd. „Und wie fertigt man so eine an?", fragte Viggo etwas ratlos und brachte sie zum Schmunzeln. „Der große Anführer hat keine Ahnung von Schienen?", scherzte sie, um die Schmerzen in ihrem Knöchel zu überspielen.

Er hob die Brauen und zog für einen Augenblick seinen stützenden Arm zurück. Lova strauchelte und wäre beinahe rückwärts gegen seinen Brustkorb gefallen, wenn er sie nicht wieder aufgefangen hätte. „Meine Liebe, ich kann dich auch ohne jede Stütze selbstständig durch das gesamte Lager der Drachenjäger humpeln lassen", erklärte er ihr. Lova stieß entrüstet die Luft aus. „Das wirst du nicht tun", stellte sie klar, aber Viggo trat nur betont langsam einen Schritt zurück. Sie spürte, wie sie den Halt verlor und seufzte ergeben. „Hast du Verbandszeug?"

~

Es war wirklich bewundernswert, wie wenig Viggo von Verstauchungen verstand. Es schien, als würde ihn jede Wunde, die unsichtbar unter der Haut verborgen lag, rettungslos überfordern, aber mit einer ausschweifenden Erklärung mittels Lova schafften die Beiden es, trotz der Unruhe stiftenden Runna den verstauchten Knöchel der Wikingerin zu schienen. Und Lova musste zugeben, nachdem er einmal verstand, was er zu tun hatte, wirkten seine routinierten Bewegungen, als hätte er nie etwas anderes gemacht.

„Du lernst schnell", sagte sie anerkennend, als sie sich von ihm in eine stehende Position aufhelfen ließ. „Und danke", fügte Lova dann hinzu. „Für deine Hilfe." Viggo lachte leise und ließ zu, dass sie sich bei ihm einhakte, um sich zu stützen. „Liebend gern", sagte er, mit seinem üblichen charmanten Lächeln. „Ich musste mich schließlich revanchieren." Lova lächelte schief zu ihm hoch, während die Beiden den ausgetretenen Weg zu Viggos Zelt entlanggingen. „Wie geht es deiner Wunde?", fragte sie, aber er schüttelte nur abwehrend den Kopf. „Nur halb so wild, nachdem du die Blutung gestoppt hast", erklärte er, so beiläufig, als würde er über das Wetter sprechen. „Der Stachel ist nicht sonderlich tief eingedrungen."

Lova nickte nachdenklich. „Und Ryker?", hakte sie nach, doch Viggo bedeutete ihr, zu schweigen und deutete mit dem Kinn auf einige vorbeigehende Drachenjäger. „Bei weiteren Vorfällen werde ich dich diskret informieren", antwortete er, so nichtssagend wie möglich. „Ich verstehe", gab sie im gleichen Tonfall zurück. Die neugierigen Ohren der Jäger erstickten die Möglichkeit eines vertraulichen Gespräches im Keim, aber wenn noch etwas Bedenkliches geschehen wäre, hätte Viggo sicher anders reagiert. Das beruhigte sie, wenigstens fürs Erste.

„Und was genau möchtest du mir zeigen?", erkundigte Lova sich, anstatt weitere Nachfragen zu stellen. Sein selbstsicheres Lächeln verriet ihr schon, dass es sich um etwas Brillantes handeln musste, ehe sie sein Zelt passierten und am Rand einer Bucht zum Stehen kamen. Als Lova hinuntersah, klappte ihr der Mund auf.

Mittels eines Staudamms aus drachensicherem Metall hatten sie einen freien Raum am Grund der Bucht entstehen lassen, um welchen herum sich meterhohe Wände aus Gestein erstreckten. Gerüste, Leitern und notdürftige Treppen führten herab, mittels primitiver Seilzüge gelangten in Form geschlagene Metallplatten und Werkzeuge hinunter. Von Viggos Zelt aus, welches auf einer geschützten, etwas erhöhten Plattform stand, konnte man die gesamte Baustelle überwachen und war gleichzeitig nahe genug am Geschehen, um selbst gesehen und gehört zu werden. In der gesamten Bucht und auch um diese herum eilten geschäftige Jäger hin und her, trugen Metall und Holz mit sich und tauschten im Laufschritt den neusten Tratsch und die Befehle der obersten Soldaten aus. Am Beeindruckendsten aber war, was diese Männer bauten.

Es war größer als ein herkömmliches Schiff, aber von ähnlicher Struktur. Statt aus Holz war es aus drachensicherem Eisen und statt Mast und Segel trug es ein netzartiges Gerüst als Dach. An einigen Stellen waren die so entstandenen Löcher schon mit Metall ausgebessert wurden, als ob daraus wirklich ein richtiges Dach werden sollte. Was immer es war, es war beeindruckend...
Lova fuhr mit vor Unglauben geweiteten Augen zu Viggo herum, obwohl ihr Fuß ihre Bewegungsfreiheit deutlich einschränkte. „Was im Namen aller Götter ist das?", fragte sie entgeistert. „Das, meine Liebe", sagte er, mit kaum verhohlenem Stolz in der Stimme. „Ist das Projekt Granatenfeuer." Lova runzelte verwirrt die Stirn. „Granatenfeuer?", wiederholte sie fragend. „Lass es mich dir erklären, meine Teure", meinte Viggo und geleitete sie zu einer der Treppen, die in die Bucht hinabführten. Ehe sie die erste Stufe betrat, wandte Lova sich zu Runna um. Der Wechselflügler war ihnen den gesamten Weg unsichtbar und unter Aufbringung sämtlicher ihr möglicher Achtsamkeit gefolgt, auch jetzt wurden nur ihre grünen Augen sichtbar, um keine Massenpanik der Jäger auszulösen. Lova strich ihrem Drachen sanft über die Schnauze und lehnte ihre Stirn an ihre. „Du bleibst besser hier", sagte sie leise und Runna grollte zustimmend. „Und mach keinen Unsinn!" Mit einem empörten Schnauben blies der Wechselflügler ihr einige Rauchkringel ins Gesicht, ehe sie, nur hörbar durch das leise Rascheln ihrer Schuppen, zwischen den geschäftigen Jägern untertauchte. Nachdenklich sah Lova ihr nach, ehe sie sich zu Viggo umwandte und an seiner Seite die Treppen herunter humpelte.

Als sie direkt neben dem Schiff stand, wurde ihr erst bewusst, wie riesig es eigentlich war. Es war nicht nur ein wenig größer als die herkömmlichen Schiffe der Flotte, es erreichte mindestens das fünffache dieser Größe. Durch die Wände aus Metall strahlte es eine unangenehme Kälte aus und je genauer Lova es musterte, desto unwohler fühlte sie sich. Die Schönheit eines richtigen Schiffes mit kunstvollen Masten, Segeln und Galionsfigur war bei diesem Kriegsgerät völlig abhanden gekommen, es diente lediglich der Zerstörung. Es strahlte eine Brutalität aus, wie Lova sie bisher nur bei einer Person erlebt hatte, und das war sicher nicht der Mann neben ihr...
„Das Schiff wurde von Ryker entworfen, hab' ich nicht Recht?", fragte sie mit gesenkter Stimme. Der Hall in der Bucht verstärkte ihre Worte und warf das Echo zu ihr zurück, ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken. „Nun...", Viggo sah sie ziemlich verwirrt an, sein Lächeln fiel in sich zusammen. „Da liegst du richtig, aber wieso...?" Lova drängte sich unwillkürlich näher an Viggo, als würde er diese seltsame Kälte und Stille dieser Bucht von ihr abhalten. „Bring mich hier raus", forderte sie und stolperte voran, zurück zur Treppe. „Lova, was ist los?", fragte Viggo, während er geduldig darauf wartete, dass sie die Stufen erklomm. Sie warf über die Schulter einen Blick zurück ins Innere der Bucht. Erst jetzt bemerkte sie, dass die Blicke der eben noch beschäftigten und plaudernden Jäger auf ihr und Viggo lagen. Keiner von ihnen sprach, stattdessen blickten sie grimmig auf sie und ihren Anführer.

„Sieh dir deine Männer an", flüsterte sie. Er folgte ihrer Aufforderung und seine Augen weiteten sich, als er bemerkte, was ihr vorhin schon unbewusst aufgefallen war. „Das war mein Bruder", hörte sie ihn mit leiser, zorniger Stimme sagen. „Er muss versucht haben, sie gegen mich aufzubringen..." Lova versuchte, ihr ungutes Bauchgefühl zu verdrängen und griff nach seiner Hand, ohne es wirklich zu bemerken. Erst, als ihre Finger sich miteinander verflochten, realisierte sie ihre unbedachte Geste, ließ seine Hand aber dennoch nicht los. „Viggo, hör mir zu", sagte sie und mühte sich um einen beschwichtigenden Tonfall. „Deine Worte können mehr bewegen als Rykers Körperkraft. Sprich mit ihnen, das sind deine Anhänger. Zieh sie auf deine Seite, lass nicht zu, dass sie sich von dir abwenden", sagte Lova eindringlich.

Erst jetzt wurde ihr der Ernst der Lage wirklich bewusst. Viggo war in der Lage, Gnade walten zu lassen, Kompromisse zu schließen, er kannte seine Grenzen und achtete stets auf ein gewisses Maß Anstand, selbst seinen Feinden gegenüber. Aber wenn Ryker allein die Macht über all diese Jäger hätte... Der Schaden wäre wohl unermesslich.

„Meine Liebe, es sind nicht nur die Männer, um die du dich sorgen solltest", sagte Viggo leise, seine Lippen dicht an ihrem Ohr, damit nur sie ihn hören konnte. „Um wen dann?", fragte sie und legte den Kopf leicht schräg, damit ihr Haarschopf ihre Worte vor den vorbeigehenden Jägern verbarg. „Das Projekt Granatenfeuer umfasst nicht nur dieses Schiff", erklärte er ihr und sein Tonfall wurde mit jedem Wort ernster, drängender. „Bei dem Granatenfeuer handelt es sich um einen äußert gefährlichen und seltenen Drachen der Gezeitenklasse. Er erreicht unvorstellbare Ausmaße, verfügt über einen schützenden Rückenpanzer und schießt statt Feuer bombenähnliche Geschosse, die größeren Schaden anrichten als alles, was wir bisher von einem Drachen gesehen haben. Und bei unserem Exemplar handelt es sich um einen Titanen."

Lova musste sich davon abhalten, das Gesicht in den Händen zu vergraben. „Was bei Skadi hast du mit diesem Drachen vor?", fragte sie und hob stattdessen die Brauen. „Dieses Vieh richtet ziemlich sicher mehr Schaden an, als es Nutzen bringt." - „Ursprünglich wollte ich nur die Drachenreiter beseitigen", erklärte er ihr. „Aber mittlerweile sorge ich mich eher darum, was Ryker plant..." Sie seufzte und holte tief Luft, um sich zu fassen, ehe sie den Kopf hob, um Viggo in die Augen zu sehen. „Ich will nicht einmal genau darüber nachdenken, was du damit vielleicht angerichtet hast", begann sie und als er den Mund öffnete, um ihr zu widersprechen, sprach sie eilig weiter. „Aber du wirst dich gleich vor dein Zelt stellen und deine Armee wieder um den Finger wickeln, verstanden?" Er nickte. „Absolut", gab Viggo zurück. „Du bist wirklich über dich hinausgewachsen in den letzten Jahren, meine Liebe." Lova schüttelte leise lachend den Kopf. „Wenn du das sagst."

Ihre Hand war noch immer mit seiner verschränkt und sie spürte die Wärme seines Körpers an ihrem. Sie räusperte sich verlegen und trat eilig einen Schritt zurück. „Jetzt geh schon", forderte Lova ihn auf und wollte sich gerade abwenden, als Viggo sie am Handgelenk festhielt. „Und was wirst du tun?", fragte er und sie zuckte die Schultern. „Runna suchen, vielleicht deiner Rede zuhören, wir werden sehen", antwortete sie und war sich seiner Berührung mehr als nur deutlich bewusst. „Pass einfach auf dich auf", bat er sie mit sanfter Stimme. „Ich halte mich von Ryker fern", gab Lova zurück und löste ihren Arm vorsichtig aus seinem Griff. Dann wandte sie sich um und lief mit schmerzendem Knöchel und unbeholfenen Schritten davon. Sie spürte seinen Blick auf sich, als sie ging, wandte sich aber nicht noch einmal um. An ihrem Handgelenk konnte sie noch immer das Kribbeln spüren, welches seine Berührung ausgelöst hatte.

~

Sie fand Runna zwischen den Drachenkäfigen, wo der Wechselflügler anscheinend Freundschaft mit einem kleinen Rudel Qualmdrachen geschlossen hatte. Die kleinen Wesen machten sich einen Spaß daraus, im Rauch zu verschwinden und an Runnas unsichtbarem Körper rauf und runter zu klettern. So hatte Lova ihren Drachen schließlich auch entdeckt, denn Rauchwolken nehmen normalerweise nicht die Umrisse von Wechselflüglern an und werfen mit der Schnauze weitere kleine, graue Wölkchen wie Spielbälle in die Höhe. Sie musste lachen, als sie das glückliche Glucksen ihres Drachens und das aufgeregte Kreischen der Qualmdrachen hörte. Als Runna sie allerdings entdeckte, schüttelte sie die kleinen Tiere von sich ab und trabte fröhlich auf ihre Reiterin zu, dicht gefolgt von einer neugierigen Qualmwolke.

Lova streckte die Hand nach ihrem Drachen aus und ließ zu, dass der Wechselflügler ihre Hände ableckte und anschließend seine Schnauze gegen ihren Hals drückte, ehe sie sich ohne Umschweife vor ihrer Reiterin fallen ließ und diese mit sich auf den Boden zog. „Hey, langsam, Kleine", bat Lova sie schmunzelnd, kraulte ihr aber wohlwollend das Kinn. Die Qualmdrachen waren unterdessen näher gekommen, zupften an ihren dunklen Locken herum und schnüffelten an der Kleidung der Wikingerin. Anscheinend waren die Tiere intelligent genug, um den Geruch ihres Mantels mit dem von Runnas Schuppen zu verbinden, denn sie schienen Lova sofort zu vertrauen und ließen sich auf ihren Schultern nieder. Einer der Drei versuchte sogar, es sich auf ihrem Kopf niederzulassen, flatterte aber aus Platzgründen beleidigt wieder herunter. Wenn Lova nicht schon viele verschiedene Drachenspezies gesehen hätte, so hätte diese sie wohl hellauf begeistert. Die Drachen waren vielleicht so lang wie ihr ausgestreckter Arm, mit klugen, leuchtenden Augen, Schuppen in allen möglichen, äußerst hübsch anzusehenden Grautönen und einem gezackten Unterkiefer. Ihre Flügel standen in keiner Relation zu ihrer doch eher unbeeindruckenden Körpergröße, denn die Spannweite ähnelte sicher der eines herkömmlichen Nadders. Alles in allem schienen sie nur aus Flügeln, Rauch und einem rankenähnlichen Schweif zu bestehen, waren aber dennoch von einer wilden Schönheit.

„Beeindruckend...", sagte Lova leise und versuchte mit ihrer freien Hand, den Kopf des vor ihr liegenden Qualmdrachens zu streicheln. Der Kleine stieß ein wütendes Fauchen aus und schnappte nach ihren ausgestreckten Fingern. Erschrocken zog sie die Hand zurück, wurde aber weiterhin mit einem finsteren Blick bedacht. „Tut mir leid, tut mir leid", meinte sie und hob entschuldigend die Hände. „Stört niemals einen dösenden Qualmdrachen, schon verstanden." Der Kleine krächzte zufrieden und ließ den Kopf wieder sinken. Auf Lovas Gesicht breitete sich ein Lächeln aus und sie lehnte ihren Oberkörper gegen Runnas Rücken. Ihr Drache antwortete mit einem schläfrigen Knurren und für diesen kurzen Moment war alles gut. Die Welt war im Gleichgewicht, es gab keine Gefahren, um die sie sich sorgen musste und hätte sie es nicht besser gewusst, hätte sie gesagt, dass dieser Augenblick perfekt war. Aber Lova wusste es besser.

Und wenn es eine Sache gab, derer sie sich sicher war, dann war es die Tatsache, dass friedliche Momente niemals lange friedliche Momente blieben.

ClematisWo Geschichten leben. Entdecke jetzt