Kapitel 51

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Wie erstarrt blieb Lova zwischen Tür und Angel stehen, das Herz schlug ihr bis zum Hals. Sie konnte Runnas Schnauze an ihrem Rücken spüren, die sanft, aber bestimmt, versuchte, sie ins Innere zu schieben, doch die Wikingerin schaffte es nicht, auch einen Fuß vor den anderen zu setzen. Von ihrem Standpunkt aus konnte sie die gesamte Hütte überblicken, doch der fassungslose Blick aus ihren geweiteten Augen lag einzig und allein auf der Pritsche in der Ecke des Raumes. Nach der Dunkelheit, die draußen herrschte, erschienen ihr die weißen Laken darauf so hell wie Schnee. Nur Viggo stach daraus hervor, mit seinem dunklen Haar und den zwei ungleichen Augen, die sie einer trägen Musterung unterzogen. Seine Haut war noch immer bleich, selbst seine Lippen hatten an Farbe eingebüßt, nur an seiner Wange zeigte eine rötliche Musterung, wo sein Kopf im Schlaf geruht hatte. Seine gerunzelte Stirn und seine verwirrte Miene verrieten seine Müdigkeit, außerdem könnte Lova schwören, dass sein Blick schmerzverschleiert war. Dennoch konnte sie aus dieser Entfernung nicht sicher sagen, ob sie richtig lag.

„Lova?" Da, wo in Viggos Stimme normalerweise dieser neckische Hochmut mitschwang, lag dieses Mal nichts als Gleichmut. Lähmten ihn seine Schmerzen oder waren es die Reste der betäubenden Kräuter in seinem Blutkreislauf, die Adaja ihm verabreicht hatte?

Louvisas Stimme zitterte, als sie antwortete: „Ja, ich... bin hier." Doch sie schaffte es nicht, nur einen einzigen Schritt näherzutreten. Sie konnte die Schweißperlen auf seiner Stirn glänzen sehen und unter den weißen Laken lugte seine in Verbände gewickelte Brust hervor. Wie oft hatte sie in der letzten Woche mit routinierten Bewegungen Leinen um ebendiese Stellen seines Körpers gebunden und gehofft, dass sie das nächste Mal keine frischen Blutflecken vorfinden würde? Es war nicht schwer, sich das Rot vorzustellen, welches auch diese neuen Verbände früher oder später bedecken würde.

Sie blinzelte, um die Bilder vor ihrem inneren Auge zu vertreiben und straffte die Schultern, zwang sich, den Blick zu heben und Viggo ins Gesicht zu sehen, ganz gleich, wie schmerzhaft der Anblick seiner ausdruckslosen Miene für sie sein mochte. Sie sehnte sich nach einer Regung, nach dem ihr bekannten Lächeln, welches an seinen Mundwinkeln zupfte, die Wärme in seinen Augen.

Ehe sie diesen Gedanken weiter vertiefen und damit eine Ausrede suchen konnte, im Türrahmen zu verharren, stieß Runna ihr ein weiteres Mal die Schnauze in den Rücken und ließ Lova somit ins Hütteninnere stolpern. Fluchend konnte die Wikingerin sich an der Kante des Schreibtisches abfangen, während ihr Drache an ihr vorbei stürmte und aufgeregt gurrend die Tatzen auf den Bettrand stemmte. Das morsche Holz knarzte unter dem Wechselflügler, während Runna Viggo begeistert über das Gesicht leckte. Ekel und Belustigung waren die ersten Emotionen, die Lova seit einer schier endlosen Woche in seinem Gesicht sah. Sie reichten aus, dass sich die Sperre in ihrem Kopf löste und die Wikingerin es ihrem Drachen gleichtat; mit großen Schritten eilte sie auf Viggo zu und kam vor dem Bett zum Stehen, Tränen der Erleichterung schimmerten in ihren Augen.

„Du bist wach", stellte Lova das Offensichtliche fest. „Ich... Hallo."

„Guten Abend, Liebste", gab Viggo zurück und versuchte, sich aufzusetzen. Sie sah seine Bauchmuskeln arbeiten, bemerkte, wie er angestrengt die Kiefer aufeinanderpresste und wie sich eine steile Falte zwischen seinen Brauen bildete, als er zurück in sein Kissen sank. Die Schmerzen in seinem Blick waren zurück, gepaart mit Wut und Frust über sein Versagen, das konnte Lova ihm ansehen. „Lass mich dir helfen", bat Lova ihn leise und schob den Arm als Stütze unter seine Achseln, als er widerstrebend nickte, ermöglichte ihm, sich anzulehnen, während sie ihn langsam in eine aufrechte Position zog.

Obwohl sie sich alle Mühe gegeben hatte, vorsichtig zu sein, sah sie dennoch seine zu Fäusten geballten Hände und den Schleier, der erneut über Viggos Augen lag. Er starrte sie an, blinzelte, als ob er sie nicht klar sehen könnte und nun versuchte, seine Sicht zu klären und sich auf ihr Gesicht zu fokussieren. „Schwindel?", fragte Lova und dämpfte ihre Stimme, um seine Sinne nicht noch mehr zu überfordern als unbedingt nötig. Doch sie wartete seine Antwort kaum ab, griff nach dem Becher Kamillentee auf dem Schreibtisch, ehe er auch nur nicken konnte. „Trink", forderte sie ihn auf und hielt ihm den Becher gegen die Lippen. „Dann wird es besser, versprochen."

ClematisWo Geschichten leben. Entdecke jetzt