Kapitel 30

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Ungeachtet seiner Größe zeichnete der Höhlendrache sich durch einen leisen, schleichenden Gang aus. Es war vermutlich sein Jagdinstinkt, welcher hier die Kontrolle übernahm, denn seine lautlose Fortbewegung wäre gegen ein tierisches Opfer sicher ziemlich effektiv, entbehrte sich aber jeglicher Sinnhaftigkeit, da Louvisa ihren Jäger bereits entdeckt hatte. In der Theorie könnte sie sich also so leise wie möglich von einem Stalagmiten zum nächsten wagen und dem Drachen so ausweichen, doch in der Praxis würde er sie mit seinen scharfen Sinnen binnen weniger Augenblicke bemerken, noch ehe sie einen Fuß vor den anderen gesetzt hätte.
Lova stieß einen stummen Fluch aus, ein verärgertes Zischen entwich ihren Lippen, die sie in ihrer Anspannung ein weiteres Mal blutig gebissen hatte. Sie konnte nicht hier verharren und auf Rettung warten, doch jede Bewegung war ein gewaltiges Risiko. Es war unmöglich, dem Drachen zu entkommen oder ihm auch nur auszuweichen, sodass ihre Entdeckung nur eine Frage der Zeit wäre. Und wenn er sie entdeckte, würde die Wikingerin schnell Bekanntschaft mit jedem einzelnen seiner scharfen Zähne machen dürfen.

Am liebsten hätte sie einfach auf Hilfe gewartet, doch bis Viggo und Runna einen Weg hierher fanden, könnten ihre Knochen bereits abgenagt und bleich auf dem großen Haufen in der Mitte der Höhle liegen. Auch wenn ihre Glieder nahezu vollständig erstarrt waren vor Angst und das Blut in ihren Ohren rauschte, waren ihre Gedanken doch völlig auf das bloße Überleben ausgerichtet. Zum ersten Mal in ihrem Leben wurde ihr wirklich bewusst, weswegen die Wikinger Drachen jagten, warum sie aus reiner Vorsicht ihre Waffen schärften und warum die Jäger in den größten Teilen des Inselreiches bewundert wurden. Das hier war weder der Skrill, der zwar gefährlich, aber dennoch klug war und auch nicht Runna, die Lova mit ihrem Leben verteidigen würde.
Es war ein Drache, der sie mit Freuden verzehren würde, ohne auch nur einen Moment darüber nachzudenken.

Lova reckte das Kinn und straffte die Schultern, während sie mit langsamen, vorsichtigen Bewegungen einige Goldmünzen in ihre Hände gleiten ließ. Sie betete zu den Göttern, dass das Klirren des Metalls sie nicht verirrt, doch zugleich verschwendete sie keine weitere Sekunde und holte zum Wurf aus, so gut es in ihrer kauernden Position ging.

Während die Münzen wie geplant an der steinernen Decke abprallten und das dumpfe Geräusch vom Höhlenecho weitergetragen wurde, sprang die Wikingerin in einer fließenden Bewegung auf die Füße und hechtete an dem Drachen vorbei hinter eine goldene Statue ganz in der Nähe des Knochenhaufens. Wenn sie Glück hatte, würden die verschiedenen Gerüche das Biest von ihr ablenken, bis sie sich in einer guten Position für einen Überraschungsangriff befand. Generell schien es, als wäre der Geruchssinn des Drachen besser ausgeprägt als sein Gehirn, denn auch nachdem das Echo verklungen war, sah er sich noch immer knurrend um, wobei bei jeder Bewegung Speichelfetzen durch die Höhle flogen und an den kostbaren Schätzen kleben blieben.

Angeekelt verzog Lova das Gesicht und machte sich eine stille Notiz, niemals wieder mit Viggo nach einem Schatz zu suchen, der das Wort „Fluch" in sich trug. Eine solche Expedition war ja geradezu zum Scheitern verurteilt, noch bevor man sich überhaupt auf den Weg gemacht hatte. In ihrer Welt war es selbstverständlich, dass auf rätselhafte Weise verschwundene Männer in den Mägen aggressiver Drachen wieder auftauchten, dass es Lova fast schon verwunderte, dass sie Nehemias Warnung nicht ein wenig ernster genommen hatten. Es war genauso gekommen, wie das Mädchen gesagt hatte; ein großer, gefährlicher Drache und ein Abenteuer, auf welches sie gut und gerne hätte verzichten können. Großartig.

Sie raufte sich die Haare und biss die Zähne zusammen, das Gesicht ein einziger Ausdruck der Frustration. Warum ließ sie sich auch auf solche dämlichen Aktionen ein?

Ein allzu bekanntes Knurren riss sie aus ihrer Starre, dicht gefolgt von einem animalischen Brüllen. Auch wenn beides aus Drachenkehlen stammte, hätte Lova den Unterschied selbst im Halbschlaf erkennen können. „Runna?", stieß sie überrascht hervor und wagte einen Blick an der Statue vorbei und auf den Höhlendrachen. Dieser war der Urheber des Brüllens und hatte das Maul noch immer weit aufgerissen, dieses Mal jedoch zu einem Fauchen. Seine Haltung war von der eines Jägers zu dem eines Verteidigers geworden, er verdrehte die Augen vor Schreck so weit, dass das Weiße zum Vorschein kam. Sein Blick war starr auf den deutlich kleineren, scharlachroten Drachen gerichtet, der wie eine Fledermaus über ihm von der Decke hing und ebenfalls sein eindrucksvolles Gebiss präsentierte. Und wenn Lova sich nicht irrte, erkannte sie die Umrisse eines Mannes auf dem Rücken des Wechselflüglers.

~

Viggo konnte nicht leugnen, dass er die Höhe verabscheute. Er konnte es außerdem nicht leiden, wenige Meter von einem absolut tödlichen und territorialen Sandspucker entfernt von der Decke zu hängen, als wäre er ein überdimensionaler Flughund. Was immer der Wechselflügler sich hierbei gedacht hatte, es missfiel ihm von ganzem Herzen. Hätte er gewusst, dass Nehemia mit ihren abenteuerlichen Vermutungen über den Drachen in der Höhle richtig lag, hätte er sich eindeutig für einen ungefährlicheren Schatz entschieden – oder es bleiben gelassen. Er mochte ein Drachenjäger sein, doch er war auch ein Stratege. Und es war strategisch eine absolute Blamage, in die Höhle eines Sandspuckers zu spazieren, mit dem Ziel, sich an seinen Schätzen zu vergreifen.

Wieso dem so war? Nun, wer Qualmdrachen kennt wird wissen, dass diese kleinen Wesen nichts mehr lieben als ihre gesammelten Kostbarkeiten und diese mit ihrem Leben verteidigen würden. Was bei diesen kleinen Drachen allerhöchstens lästig war, wurde bei Sandspuckern zu einem Himmelfahrtskommando. Im Schutz ihrer Höhle hatten sie keine Schwächen, waren geschickt, schnell, leise und bedrohlich zugleich, während sie mit ihrem unersättlichen Hunger ganze Flotten vernichten könnten. Einzig das Licht vermochte ihnen wirklich zu schaden, denn als Wesen der Dunkelheit verabscheuten sie die Sonne. Viggo wusste allerdings nicht, ob es die Drachen lediglich verärgerte oder ihnen wirklich schadete – eine Information, die in diesem Augenblick Gold wert gewesen wäre und sich nur auf dem Drachenauge finden ließ. Einmal mehr verfluchte er den jungen Hicks und seine Reiter, denn auch wenn sie angemessene Gegner waren, hatten sie ihm doch das Geschäft voll und ganz ruiniert.

Runna unter ihm knurrte den Sandspucker aus tiefster Kehle an, aus ihren grünen Augen war jede Wärme verschwunden. Falls sie tatsächlich ein logisch denkendes Wesen war – was Viggo bezweifelte – dann war diese Logik verschwunden, als sie ihre Reiterin in Gefahr wähnte. Er wusste noch immer nicht, was ein so starkes Band verursacht hatte, doch was er wusste, war, dass man sich niemals zwischen einen Wechselflügler und sein Ziel stellen sollte. Wenn dabei auch noch das eigene Rudel im Spiel war, denn Louvisa war für ihren Drachen nichts anderes, dann konnte der Feind sich seines Todes sicher sein.

Andererseits zählte der Sandspucker zu den Drachen, die einem Wechselflügler unter normalen Bedingungen niemals begegnen würden und somit keinen Platz in ihrer Nahrungskette fanden. Viggo konnte sich vorstellen, dass diese Situation die Instinkte des Drachens an ihre Grenzen brachte. Würde sie den Sandspucker angreifen, würde Runna nicht wissen, wie der andere Drache reagieren würde. Ihre Unsichtbarkeit war zwar äußerst praktisch, bei einem Tier, welches feuchte Höhlen gewohnt war allerdings alles andere als sinnvoll. Die Sinne eines Sandspuckers waren geschärft von der ständigen Dunkelheit und ein Drache, der die vielfältigen Gerüche der Marktinseln an sich trug, war nicht zu verfehlen.

„Er hasst das Licht", sagte Viggo zu dem Wechselflügler und hoffte, dass Runna klug genug war, um seine Worte zu verstehen und die Informationen darin anzuwenden. Der Wechselflügler legte den Kopf schief, wie Lova es stets tat, und sah aus den Augenwinkeln zur Decke. Ein fragendes Brummen drang aus ihrer Kehle, als ihr Blick an einem der seltsamen Gebilden aus milchig-blauem Stein hängen blieb, welches heller schien als die anderen Stalagmiten der Höhle. Es musste sich um Sonnenlicht handeln, welches von außen hindurchdrang.

Viggo nickte beeindruckt und strich dem Drachen lobend über die Flanke, ehe er sich von dieser freundlichen Geste abhalten konnte. Runnas Gurren ließ ihn lächeln, ehe er zumindest diese haltlose Gefühlsregung abschütteln konnte, also schüttelte er hastig den Kopf und erinnerte sich so an Louvisa, die noch immer irgendwo in dieser Höhle verborgen war. Doch auch diese Vorstellung ließ seinen Verstand in dunkle Gefilde aufbrechen, denn wenn der Sandspucker sie bereits aufgespürt hatte, würde es kaum eine Rettung für die Wikingerin geben.

Viggo stieß über sich selbst entgeistert die Luft aus und lehnte sich nach vorn, um Runna das Signal zum Feuern zu geben. „Zerstör die Höhlendecke, Drache", wies er den Wechselflügler an und versuchte, seiner Stimme einen harten Klang zu geben. Doch ohne, dass er es beeinflussen konnte, schlich sich verzweifelte Sorge hinein. Viggo konnte nicht mehr leugnen, dass Louvisa ihm etwas bedeutete und auch wenn er nicht weiter darüber nachdachte, in welchem Sinne, so war die Vorstellung, dass ihr Leben von einem der von ihm meist so verhassten Drachen abhing, eine albtraumhafte. Es war nicht lange her, da hatte er sich über Hicks' Beziehung zu der blonden Kriegerin amüsiert, die seinen klaren Verstand trübte, wenn er sich im Kampf um sie sorgte. Wie hatte er zulassen können, dass ihm dasselbe geschah?

Gleißend helles Sonnenlicht erfüllte die Höhle, als Runnas Säure sich in Sekundenschnelle durch das blaue Gestein fraß und nichts als rauchender Felsen zurückblieb. Viggo hatte viel über die tödlichste Waffe der Wechselflügler gehört – ein einziger Schuss könnte einen ausgewachsenen Mann bis auf die Knochen zersetzen – doch die zerstörerische Wirkung in der Realität zu sehen, war deutlich beeindruckender. Der Drache, gegen den er bereits mehrfach im scherzhaften Kampftraining angetreten war, bewies ihm erstmals, dass sie ihn binnen eines Wimpernschlages töten könnte. Dennoch war es lediglich Respekt gegenüber diesem stolzen Lebewesen, der in ihm hochstieg, keine Furcht oder gar Hass, was Viggo selbst überraschte.

Im Gegensatz zu dem Drachenjäger schrie der Sandspucker auf, erfüllt von Wut und Schmerz zugleich. Das Sonnenlicht, welches direkt auf ihn gerichtet war und keinerlei Entkommen bot, schien Wirkung zu zeigen, denn es brannte sich durch die grünen Schuppen und hinterließ nur empfindliche, blanke Haut. Das Biest brüllte und fletschte die Zähne, als sein Blick auf Viggo und Runna fiel, die noch immer unbewegt an der Decke hingen und abwarteten, was mit dem feindlichen Drachen geschehen würde.

Offensichtlich reichte das Licht allein nicht, um ihn auszuschalten, doch selbst Viggo war überrascht von der starken Reaktion. Er hätte nicht damit gerechnet, dass die Sonne sich durch die schützenden Schuppen brennen und blanke Haut bloßlegen würde, die so empfindlich wie die eines Neugeborenen war. Letzteres wusste er aus Erfahrung – Drachen waren verloren ohne ihre Schuppen, die sie gegen Kälte, Feuer und einen Großteil der üblichen Waffen schützen konnten. Wenn er den Sandspucker töten wollte, wäre das hier die perfekte Gelegenheit.

„Kannst du mich unten absetzen?", fragte Viggo den Wechselflügler und erntete einen neugierigen Blick, gepaart mit einem enthusiastischen Nicken. Dann ließ Runna sich erneut in die Senkrechte fallen und raste in mörderischem Tempo auf den Boden zu, direkt an der Schnauze des Sandspuckers vorbei. Sie landete auf einer goldenen Statue, deren ausgebreitete Arme Viggo ein einfaches Spiel bei seinem Weg nach unten bereiten würde, während Runna sich hier ohne Startschwierigkeiten zurück in die Lüfte schwingen konnte.
Trotz der drohenden Gefahr, die von dem Sandspucker ausging, wartete der Wechselflügler, bis sein Reiter sicher abgestiegen war, ehe sie ihm einen fragenden Blick aus ihren klugen Augen zuwarf. „Kannst du den Drachen ablenken, während ich nach Lova suche?", fragte Viggo schnell und beobachte den Sandspucker aus dem Augenwinkel. Gerade schien er nicht sonderlich angriffslustig zu sein, sondern suchte verzweifelt nach einem schattigen Platz, an welchem er seine geschundene Haut kühlen könnte. Das hier war wohl der beste Moment für Drache und Reiter, sich zu trennen und die Dritte im Bunde wiederzufinden – wenn es von Louvisa noch etwas zu finden gab.

Runna rieb tröstend ihre Schnauze an seiner Wange, als würde sie den erfahrenen Drachenjäger beruhigen wollen, ehe sie angriffslustig den Sandspucker anvisierte und mit angelegten Ohren den Schwanz durch die Luft peitschte. Sie schien zu verstehen, dass der feindliche Drache eine Bedrohung für ihre kleines Rudel darstellte und würde vermutlich nicht zögern, ihn mit aller Härte zu attackieren. Allerdings konnte Viggo nicht sagen, welche Chancen das junge Wechselflüglerweibchen hatte. Gefährlich war sie, ohne jede Frage, doch ebenso unerfahren, leicht abzulenken und alles in allem eher ein friedliches Exemplar.

Viggo stieß ein ergebenes Seufzen aus und tätschelte dem Drachen unbeholfen die Schnauze. „Pass auf dich auf, Drache", sagte er, auch wenn es ihm schwerlich über die Lippen kam. „Louvisa würde kurzen Prozess mit mir machen, wenn dir etwas zustößt."
Der Wechselflügler stieß ihr typisches, gurrendes Lachen aus, ehe sie sich zurück in die Höhe schwang und innerhalb weniger Wimpernschläge mit ihrer Umgebung verschmolz.

Viggo verharrte einen Moment lang regungslos, festgehalten von seiner Neugier auf die Taktik von Louvisas geliebten Drachen.

Runna trieb den Sandspucker mit geschickt platzierten Säurestößen wieder und wieder zurück in die hellste Stelle der Höhle, während der gegnerische Drache nicht recht zu wissen schien, wie er auf seinen unsichtbaren Feind reagieren sollte. Als seine Flügelspitze allerdings versehentlich mit der giftgrün leuchtenden Säule in Kontakt kam, schien er sich endgültig der Gefahr bewusst zu werden, die von dem Wechselflügler ausging. Ungeachtet der Schmerzen, die der Drache wegen seiner bloßgelegten Haut empfinden musste, stieg er in die Luft auf, um sich mit seinen herausragenden Sinnen auf die Suche nach Runna zu begeben. Zuerst wollte Viggo noch lachen über den sinnlos erscheinenden Versuch des Sandspuckers, doch dann fegte der feindliche Drache den getarnten Wechselflügler mit einem gezielten Schwanzhieb von der Höhlendecke.

Während der Mann einen leisen Fluch ausstieß und Runna orientierungslos zu Boden trudelte, stürmte Louvisa hinter der Statue hervor in die hell erleuchtete Mitte der Höhle, den Bogen in der Hand und ging in Angriffsstellung. „Bleib weg von ihr!", schrie sie dem Drachen entgegen und zog einen Pfeil aus dem Köcher an ihrer Hüfte, als der Sandspucker Anstalten machte, die Zähne in Runnas schutzlosem Körper zu versenken. Mit geübten Bewegungen legte sie den Pfeil an und spannte den Bogen, die grauen Augen zusammengekniffen, um ihr Ziel zu erfassen.

Als der Sandspucker herumfuhr, zögerte Lova keine Sekunde und feuerte in sein weit geöffnetes Maul. Mit einem fast unhörbaren Sirren flog der Pfeil durch die Luft, gewann mehr und mehr an Geschwindigkeit und traf sein Ziel. Der Drache brüllte vor Schmerzen, als die Spitze sich in seinen empfindlichen Gaumen bohrte. Der Ausdruck seiner Pein war so laut, dass die Wände der Höhle erschüttert wurden und Staub von der Decke rieselte, was Lova ein zufriedenes Schnauben entlockte. „Verzieh dich", hörte Viggo sie zischen, als sie auf den sich windenden Sandspucker zuging. „Wenn du weißt, was gut für dich ist, solltest du-"

Lovas gellender Schrei hallte als Echo wieder als sie ihren Drachen entdeckte und neben dem verletzten Wechselflügler zu Boden sank. Viggo beobachtete, wie sie die Hände nach Runna ausstreckte und sie mit einem Wimmern zurückzog, als dunkles Blut sie befleckte.

Die Wikingerin war so auf Runna fokussiert, dass sie den Sandspucker nicht bemerkte, der sich aufgerichtet hatte und sich nun langsam seiner Gegnerin näherte, die ihm nun ihren ungeschützten Rücken darbot. Er schien nicht fassen zu können, was für ein einfaches Opfer sie nun darstellte, Speichel des Hungers und der Rage rann seine Schnauze herab und hinterließ schaumige, nasse Flecken auf dem kalten Höhlenboden.
Viggo sah das Glimmen des Feuers in dem Rachen des Drachen, während seine Haut noch dampfte und zischte von der Sonne, die daraufschien. Dennoch schien der Sandspucker seine Schmerzen verdrängen zu können, wenn er auf Vergeltung sann.

Die Zeit schien stillzustehen, jede Sekunde durchlief eine Ewigkeit vor seinen Augen, während der Sandspucker den Hals neigte, zielte und ein drohendes Knurren ausstieß, welches Louvisa in ihrer Verzweiflung kaum bemerkte. Wenn sie sich nicht wie durch ein Wunder aus der Gefahrenzone brachte, würde sie durch sein Feuer sterben.

Viggo zog sein Schwert aus der Scheide, ehe er sich selbst von dieser irrationalen Handlung abhalten konnte. Mit aller Kraft, die in seinen gelähmten Gliedern steckte, holte er aus und schleuderte seine einzige Waffe in die Richtung des Drachen, während sein Herz genauso stehenzubleiben schien wie die Zeit. Er konnte jede Umdrehung sehen, jede Kurve, die sein Schwert in seiner Flugbahn aufnahm, obwohl es in Wahrheit wohl nur einige Sekunden gedauert haben konnte. Erst, als es mit einem lauten Klirren genau zwischen der Schnauze des Drachen und der zusammengebrochenen Wikingerin landete, ging die Zeit wieder ihren normalen Lauf und Viggo spürte nur noch, wie er auf der glatten Statue von seinem Gleichgewicht verlassen wurde.

„Lova!", schrie er, als er den Halt verlor, nach dem wallenden Haar der Statue griff und seine Hände an dem Gold abrutschten. Es vermochte seinen Fall zu verlangsamen, doch nicht zu bremsen. Wenn er sich nicht retten konnte und Louvisa weiterhin wie erstarrt verharrte, würde sie nichts und niemand vor dem aufgebrachten Drachen retten können. Dann würden sie wohl beide sterben.

Das war sein letzter Gedanke, ehe er in seinen schier endlosen Fall stürzte und sich die Hände an dem Metall blutig rieb. Rote Flecken blieben auf dem Gold zurück, während Viggo hilflos nach Halt suchte, Louvisa endlich den herannahenden Drachen erblickte und der Sandspucker – überrascht von dem unerwarteten Windhauch des geworfenen Schwertes – das Maul schloss und statt der Wikingerin den fallenden Viggo anvisierte.

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