„Was genau ist das für ein Auftritt?", fragte Lova Nehemia schließlich neugierig, während sie dem unruhig zappelndem Mädchen unter Aufbietung all ihrer Geduld und Nervenstärke den letzten Zopf flocht. Einen Wechselflügler zu zähmen, war nichts gegen die Rastlosigkeit einer hyperaktiven 12-Jährigen. Die Wikingerin sprach da aus Erfahrung.
„Heute wird auf den Marktinseln der Beginn der langen Tage eingeläutet", erklärte Nehemia fröhlich und drehte ruckartig den Kopf zu Lova herum, ohne auf ihre Frisur Rücksicht zu nehmen. „Ist das nicht aufregend? Wir feiern das baldige Ende des Winters, ehren den Frühling und musizieren, bis der nächste Morgen anbricht. Letztes Jahr waren sogar einige Händler zu Gast, die ganz hervorragend Flöte spielen konnten. Ich war völlig hin und weg, kannst du dir das vorstellen?"
Das konnte Lova tatsächlich ziemlich gut, auch ohne die Gestiken, die das Mädchen bei der Beschreibung stets benutzte. Doch ehe sie antworten konnte, plauderte Nehemia bereits munter weiter, während sie wenigstens für einen Moment stillsaß. Die Wikingerin nutzte den Moment, um sich auf das Haar ihres Gegenübers zu konzentrieren und das letzte verbliebene Haarband um den sorgsam geflochtenen Zopf zu binden.
„Du bist fertig", sagte Lova dann und sank geschafft in ihrem Stuhl zurück, während Nehemia vor Freude quietschte. Das Mädchen sprang auf und drehte sich begeistert um sich selbst, während der Schwung dafür sorgte, dass ihr kirschroter Rock sich bauschte. Sie hatte sich herausgeputzt für diesen besonderen Abend, ihre weiten Hosen hatte sie abgelegt, und nur der zahlreiche Schmuck um ihre Handgelenke und ihren Hals war gleichgeblieben.
„Wie sehe ich aus?", fragte sie aufgeregt und brachte Lova damit zum Grinsen. „Umwerfend", gab die Wikingerin zurück. „Und auf der Bühne wirst du einen großartigen Eindruck machen."
Louvisa erhob sich und streckte ihre verspannten Glieder, ehe sie Nehemias dankbares Lächeln erwiderte und schließlich neben der dösenden Runna auf den Schaffellteppich sank. Der Wechselflügler hatte es sich vor dem Kamin in Nehemias Zimmer gemütlich gemacht, wo die noch glühenden Holzscheite ihre Schuppen wärmten. Schon von Weitem hörte man ihr zufriedenes Schnurren, gleich dem einer Katze.
„Hey, mein Mädchen", murmelte Lova und drückte dem Drachen einen liebevollen Kuss auf sie Schnauze. Runna hob verschlafen blinzelnd den Kopf und leckte ihrer Reiterin über die Wange, ehe sie sich demonstrativ in Lovas Schoss sinken ließ und die Augen schloss. Die Wikingerin lächelte und schob die Hände unter Runnas Kinn, um ihren Kopf anheben zu können. Der Drache stieß einige Rauchkringel aus ihren Nüstern, als sie den ungewollten Positionswechsel bemerkte, doch Lova hob nur unbeeindruckt die Brauen. „Ich muss los", erklärte sie ihrem Drachen und tippte mit dem Finger gegen Runnas Schnauze, was den Wechselflügler zum Niesen brachte.
„Ich liebe dich auch, Kleine", sagte Lova sarkastisch und wischte sich mit dem Handballen über die nasse Wange. Runna stieß nur ihr übliches Gurren aus und schnippte ihrer Reiterin mit dem Schwanz gegen die Stirn. „Au!", beschwerte diese sich und mühte sich um einen strengen Blick. „Ich wollte dir eigentlich nur sagen, dass du mir entweder versprechen musst, dass du diesen Raum bis zum Morgengrauen nicht verlässt oder dich im Wald versteckst, denn hier wird es heute Abend gefährlich für dich, Runna", erklärte Lova und sah ihren Drachen eindringlich an, damit auch sie den Ernst der Lage verstand. „Es ist wichtig, dass du in Deckung bleibst, denn ein Wechselflügler auf den Nördlichen Marktinseln ist überaus auffällig. Heute Abend werden dutzende Jäger zu Gast sein und-" Runna unterbrach sie, indem sie ihre Schnauze in Lovas Halsbeuge vergrub und ein trauriges Grollen ausstieß.
„Ich weiß", murmelte die Wikingerin. „Ich will dich auch nicht wegschicken."
Der Wechselflügler verpasste ihrer Reiterin einen aufmunternden Stoß gegen die Schulter und schwang sich dann aus dem eilig geöffneten Fenster hinaus in die eisige Winternacht. Vermutlich würde sie die Nacht im Wald verbringen, Tiere jagen und sich den Bauch vollschlagen, bis sie irgendwann am frühen Morgen zurückkehren würde, um zu schmollen. Runna konnte es nicht leiden, wenn Lova sie aus Sicherheitsgründen wegschickte, doch noch weniger wollte sie eingesperrt sein – der Drache war ein kompliziertes Wesen.
„Sie versteht dich wirklich, oder?", fragte Nehemia schließlich neugierig, als Lova sich vom Fenster abwandte und ihre neue Garderobe für den heutigen Abend glattstrich, nachdem Runna sie zerknittert hatte. „Das tut sie", entgegnete die Wikingerin lachend. „Das tun die meisten Drachen, wenn man sich ihnen nur gründlich genug widmet."
„Es ist schade, dass Runna nicht bei dir sein kann", erklärte das Mädchen, als sie sich bei Lova einhakte, um hinunter ins Wirtshaus zu gehen. „Besonders, wenn sie es gern wäre." Lova zuckte nur die Schultern. „Sie ist ein hervorragender Begleitschutz", sagte sie. „Aber ich will sie nicht in Gefahr bringen, wenn ich vermutlich gar keinen Schutz brauche." Nehemia musterte sie überrascht. „Natürlich nicht!", stimmte sie entsetzt zu. „Wofür solltest du auch welchen brauchen?"
Ihre Sorglosigkeit und Unwissenheit waren wirklich beneidenswert. Beinahe hätte Lova ihr glauben können, dass es keine Gefahr gab, dass ihr nichts geschehen konnte, solange sie sich unter diesem Dach befand. Doch als sie die Tür durchschritten und von dem Johlen und Jubeln der zahlreichen Wikinger begrüßt wurden, wusste sie, dass ihre Sorgen berechtigt waren.
~
Die Luft im Wirtshaus war stickig und abgestanden, wie Viggo mit einem Naserümpfen feststellte. Er hatte gesellschaftliche Anlässe wie diesen schon immer verabscheut, sobald die Gäste dicht aneinandergedrängt dastanden und ihm die Luft zum Atmen nahmen. Bei den Drachenjägern hatte es kaum Anlässe für ausschweifende Feiern gegeben, also war er wohl hinsichtlich Ereignisse dieser Art ein wenig aus der Übung. Vermisst hatte er sie nicht, soviel war sicher.
Dabei hatten Adaja und Nehemia die letzten Tage damit verbracht, das Wirtshaus mit Mistelzweigen, Tannengrün und Kränzen aus Weidenzweigen zu dekorieren, bis es im Schein der Fackeln von den Göttern gesegnet sein könnte. Selbst die ein oder anderen Blumen aus Stroh und Heu hatten es an die Decke geschafft, um den kommenden Frühling zu zelebrieren, und die Beiden hatten die zahlreichen Tische an den Rand geschoben, um eine Tanzfläche freizuräumen. Sauferei, Gesang und ausgelassener Tanz waren wohl die Dinge, die ein Fest bei den Wikingern ausmachten, und Viggo konnte nichts davon wirklich etwas abgewinnen. Er war nur hier, um Nehemia einen Gefallen zu tun und sich von Krogans Abwesenheit zu überzeugen. Nicht mehr, nicht weniger.
„Darf ich dich um einen Becher Honigmet bitten, Adaja?", wandte Viggo sich an die stets beschäftigte Frau hinter der Bar. Sie strich sich mit dem Handrücken einige verschwitzte Haarsträhnen aus der Stirn, ehe sie seufzend nach einem Holzbecher griff und mit geübten Bewegungen den Fasshahn aufdrehte. „Du musst mit kaltem Met vorlieb nehmen", erklärte sie und schob das gewünschte Getränk über den Tresen zu ihm herüber. „Ich habe keine Zeit für Sonderwünsche." - „Herausragender Kundenservice, wie gewohnt", erwiderte er und fing sich dafür einen finsteren Blick ein. An ihren belustigt zuckenden Mundwinkeln sah er aber, dass Adaja es ihm nicht übelnahm.
„Wenn es dir nicht passt, kannst du dir ein neues Wirtshaus suchen", gab sie betont desinteressiert zurück und trocknete mit routinierten Handgriffen einige frisch gespülte Becher. „Ich habe nichts gesagt", sagte Viggo eilig und hob abwehrend die Hände. „Ich habe wirklich nicht die Nerven, mir eine weitere Bar zu suchen, denn die meisten hier sind ziemlich zwielichtig. Es würde mich nicht wundern, wenn ich dort binnen weniger Sekunden hinterrücks erdolcht werden würde." - „Tja", entgegnete Adaja. „Dann sei freundlich zu mir." Kaum hatte sie das gesagt, erhellte ein Lächeln ihr Gesicht und sie hob winkend die Hand. „Nehemia!", rief sie über die Menschenmassen hinweg. „Hier drüben!" Viggo drehte sich neugierig auf dem Absatz herum, um dem Empfänger von Adajas Aufforderung zu sehen.
Nehemia rannte mit wehendem, kirschrotem Rock auf ihre Mutter zu und zögerte auch nicht, sich zwischen plaudernden Händlern, Drachenjägern und vermummten Gestalten hindurch zur Bar zu drängen, ohne Rücksicht auf ihre Kundschaft zu nehmen. Ihr folgte, grinsend den Kopf schüttelnd und sich hin und wieder bei einigen verärgerten Männern entschuldigend, Lova.
Viggo klappte vor Überraschung beinahe die Kinnlade herunter, als er sie sah. In den Jahren ihrer Bekanntschaft hatte er sie nie ohne ihre praktische Lederhose und die gefütterten Stiefel gesehen, wie sie für diese Breitengrade typisch waren. Auch ihrem Haar hatte sie nie sonderlich Beachtung geschenkt, es war entweder kurz und wirr oder zu einem einfachen Zopf geflochten gewesen, doch heute schien sie sich gegen das typische Aussehen einer Wikingerin entschieden zu haben.
Statt ihrer Stiefel trug sie elegante Sandalen und ihre Hose hatte sie gegen einen dunkelgrünen Rock getauscht, der mit goldenen Runen verziert war und Stück für Stück ein wenig länger wurde, sodass er ihre Beine freilegte. Die elegante Bluse, welches sie über ihrem weißen Hemd trug, war in demselben Farbton gehalten und betonte ihre Figur. Es war wohl das Eleganteste, worin er sie jemals gesehen hatte. Auch ihr Haar war schwer mit dem Bild der auf Drachen reitenden Kriegerin in Einklang zu bringen. Ein Großteil ihrer Locken fiel ihr in Wellen über den Rücken, doch einige Strähnen wurden von geschickten Händen zu Zöpfen geflochten, um ihren Hinterkopf geschlungen und mit Tannenzweigen verziert. Viggo würde all sein Gold darauf verwetten, dass Nehemia da ihre Hände im Spiel gehabt hatte, denn von sich aus hätte Lova weder um neue Festkleidung, noch eine aufwendige Frisur gebeten.
„Du siehst umwerfend aus", sagte er zur Begrüßung, als die Wikingerin sich endlich ihren Weg zwischen all den Anwesenden zur Bar gebahnt hatte. Lova lachte auf und sah mit hochgezogenen Brauen zu ihm hoch. „Danke", gab sie zurück. „Aber Schmeicheleien bringen dich bei mir nicht weiter." - „Anlässlich der vorangegangenen Ereignisse wäre ich mir dessen nicht so sicher, meine Liebe", entgegnete Viggo leise, damit Nehemia ihn nicht verstehen konnte. „Bilde dir nicht zu viel darauf ein", sagte Lova amüsiert und lehnte sich an ihm vorbei zu Adaja, die Arme lässig am Tresen abgestützt. Ein Lächeln lag auf ihren Lippen, als sie Nehemias Mutter begrüßte und sie für das wunderschön dekorierte Wirtshaus lobte. Viggo konnte nicht leugnen, dass er ihren Worten in diesem Moment kaum richtig folgen konnte, zu gern hätte er Lova wieder zu sich gezogen und ihre verführerischen Lippen auf seinen gespürt, bis sie erneut diesen verzückten Laut ausstieß. Doch das war völlig ausgeschlossen. Lova wäre binnen weniger Stunden tot, wenn die falschen Leute sie bemerkten. Es war schon fahrlässig, wie vertraut sie nebeneinander standen. Solange Louvisa sich in seiner Nähe aufhielt, würde sie vermutlich niemals wirklich sicher sein.
Ein Zupfen an seiner Tunika riss Viggo aus seinen Gedanken. Als er heruntersah, erkannte er die grinsende Nehemia, die aufgeregt von einem Fuß auf den anderen hüpfte. „Ich bin so unglaublich nervös", verriet sie ihm und sah sich in dem überfüllten Wirtshaus um. „Ich bin noch nie vor so vielen Leuten aufgetreten, ich weiß gar nicht, wie ich das schaffen soll!" Viggo lächelte, als er sie so unbedarft über Belanglosigkeiten reden hörte. Für das Mädchen mochten solche Dinge noch die Welt bedeuten, doch mit den Jahren traten andere Probleme an deren Stelle. Dennoch gönnte er der Kleinen ihre Sorglosigkeit von Herzen – es war viel zu lang her, dass er selbst sich noch so etwas hingegeben hatte. Er wusste nicht mal, ob er es jemals getan hatte.
„Du wirst das großartig machen." Die Ermutigung verließ seine Lippen, ehe er es sich anders überlegen konnte, doch das Lächeln auf Nehemias Gesicht überzeugte ihn davon, dass es das wert gewesen war. Vielleicht sollte er sich hin und wieder erlauben, diese kühle Maske des Geschäftsmannes abzulegen. Vielleicht würde er das tatsächlich tun, wenn an diesem Abend nichts dazwischen kam, wenn Krogan sie nicht länger verfolgte und er eines Tages das Drachenauge wieder in den Händen hielt.
„Ich weiß, dass du und Louvisa nicht allzu lang bleiben wollt", gestand Nehemia und sah zu Boden. „Mama hat mir gesagt, dass es für euch Beide ziemlich gefährlich werden kann." Viggo lächelte entschuldigend zu ihr herunter und legte ihr eine Hand auf die Schulter. „Ein wenig bleiben wir", versprach er dem Mädchen. „Ich will nur kein Risiko eingehen." Sein Blick huschte zu Lova herüber, die noch immer mit Adaja plauderte. Nur für den Bruchteil einer Sekunde, doch lang genug, dass Nehemia es bemerkte. „Ihretwegen?", fragte sie, verschwörerisch grinsend. Dann streckte sie ihm schwungvoll die Hand entgegen. „Lass uns einen Deal machen", schlug das Mädchen vor und Viggo hob abwartend die Brauen. „Ja?", hakte er nach und Nehemia beugte sich zu ihm vor.
„Ihr Beide könnt vom Lagerraum aus zuschauen", sagte sie und sah flehend zu ihm hoch. „Nur ein Lied lang, ich würde mir so sehr wünschen, dass ihr mir zuhören könnt!"
Viggo zögerte. So gern er tatsächlich herausfinden wollte, ob Krogan ihm noch immer auf den Fersen war, so würde er dann wenigstens Louvisa in Sicherheit wissen. Es war auch nicht so, dass der andere Mann sie nicht immer noch bemerken würde, wenn er nur aufmerksam genug war. Alles in allem war das ein Plan nach seinem Geschmack – das kleinstmögliche Risiko mit den besten Ergebnissen. Doch eine ihm so fremde Gewissensbisse hielt ihn ab, als er wieder zu Nehemia sah „Wärst du nicht enttäuscht?", fragte er und war seltsam erleichtert, als das Mädchen eilig den Kopf schüttelte. „Natürlich nicht!", sagte sie und lächelte zu ihm hoch. „Ein Lied?", hakte Viggo nach und Nehemia nickte. „Ich würde mich freuen", gab sie zurück.
Da wusste er, dass er nicht „Nein" sagen konnte, obwohl sein vergangenes Ich wohl verständnislos den Kopf geschüttelt hätte. Wann hatte er sich so verändert, dass seine Pläne die Gefühle eines Kindes berücksichtigten und eine Frau beschützten, die nichts zu seinem Profit beitragen konnte? Wann waren da Skrupel an die Stelle getreten, die früher immer nur das Geschäft gesehen hatte?
Und noch viel wichtiger; wann waren ihm diese Veränderungen so gleichgültig geworden?
~
Lova hatte Musik schon immer geliebt. Ganz gleich, ob es die Lieder ihres Stammes waren, ob sie von Göttern erzählten oder von der Liebe berichteten, ob sie aus den kalten Fjorden stammten oder der fernen Wärme des Kontinents, sie alle hatten ein Lächeln auf ihre Lippen gebracht und genauso war es auch jetzt, als sie Nehemia über Ruhm, Kampf und stolze Krieger singen hörte. Ihre Stimme war sicher nicht von dieser Welt, denn das Mädchen hätte selbst eine Walküre sein können, von Odin gesandt und auserkoren, um sie allesamt nach Walhalla zu bringen.
Während ihre Füße im Takt auf den Boden stampften, beugte Lova sich zu Viggo hinüber. Die Beiden hatten sich vor den Lagerraum zurückgezogen, wo es nicht ganz so beengt war und sie den durstigen Wikingern nicht länger ihren Weg zur Bar versperrten. Nehemia hatte ihnen versichert, dass es für sie völlig in Ordnung wäre, wenn sie aus einigen Metern Entfernung lauschten – Hauptsache, sie taten es! (Was ihre Worte waren, nicht Lovas.)
„Sie ist talentiert, nicht?", fragte die Wikingerin und stützte den Arm auf Viggos Schulter ab, damit sie sich nach vorn lehnen und sicherstellen konnte, dass er ihre Stimme zwischen all dem Lärm auch vernahm. „Das könnte man so sagen, ja", gab Viggo zurück und klang unbeteiligt, doch das stolze Grinsen, welches an seinen Mundwinkeln zupfte, verriet ihn an ihre aufmerksamen Augen. „Du bist beeindruckt, gib es zu", sagte Lova, um ihn zu necken. „Ich enthalte mich jeder Antwort", entgegnete er, doch sie sah, dass er ziemlich viel dazuzusagen hatte. Sie war sich lediglich unsicher, ob sein mangelndes Auskunftsbedürfnis tatsächlich eine Laune war oder sich in der allgemeinen Lautstärke begründete. Letztere konnte einem tatsächlich jedes Gespräch madig machen, da man sein Gegenüber bei dem lauten Johlen, Klatschen und Stampfen kaum verstand.
„Kann ich dir deine Antwort irgendwie abgewinnen?", fragte Lova also, um das Gespräch irgendwie im Gange zu halten und bemerkte die Zweideutigkeit hinter ihren Worten erst, nachdem sie sie ausgesprochen hatte. Viggo wandte den Blick von Nehemia ab und hob die Brauen, was wohl ziemlich deutlich machte, dass er es ebenfalls bemerkt hatte.
„Einen Drink", sagte Viggo jedoch nur, obwohl sein Lächeln etwas anderes zu sagen schien. Dennoch hob er seinen leeren Becher und hielt ihn ihr entgegen. „Ich wäre dir zutiefst verbunden, meine Teure." - „Du bist ein Schleimer", entgegnete Lova, nahm den Becher aber und drehte sich schwungvoll auf dem Absatz herum. „Honigmet, nehme ich an?"
Viggo stieß überrascht die Luft aus, nickte dann aber. „Ganz richtig", gab er zu und hielt sie an der Schulter zurück, ehe sie sich auf den Weg zur Bar machen konnte. „Es ist überaus schmeichelhaft, dass du dir das gemerkt hast." Sie spürte seine Lippen, die einen kurzen, sanften Kuss auf ihren Nacken hauchten. Sofort breitete sich eine Gänsehaut auf ihrer Haut aus, während diese Berührung angenehme Schauer durch ihren Körper schickte. Es war offensichtlich, dass es hier nicht bloß um einen einfachen Becher Met ging, doch sie wäre eine Närrin, wenn sie es anmerken würde. „Ein einfaches Danke hätte mir ausgereicht", bemerkte Lova lächelnd und löste sich vorsichtig aus seinem Griff. Ihr Blick traf auf seinen, und wie jedes Mal zogen sie seine Augen magisch an. Beinahe hätte sie all die Menschen um sich herum vergessen und sich seinen Berührungen hingegeben, doch mit einem leichten Kopfschütteln holte sie sich selbst in die Realität zurück.
„Pass auf dich auf", bat Viggo sie und musterte sie eindringlich. „Wir müssen noch immer äußerste Vorsicht walten lassen." Lova lächelte ihm beruhigend zu und nickte. „Ich weiß", gab sie zurück. „Aber ich werde keine zehn Meter weg sein, immer in Sichtweite und in zwei Minuten wieder zurück."
Das war eine Lüge, die nur dazu diente, dass Viggo sich nicht unnötig sorgte, und das wussten sie Beide. Lova würde kaum drei Schritte gehen und schon in der Menge verschwinden, bis er sie schließlich aus den Augen verlieren würde. Doch der Abend war friedlich, die Stimmung im Wirtshaus herausragend. Noch immer erfüllte Nehemias Gesang die Luft, die nach Adajas berühmten Honigmet und winterlicher Räuchermischung duftete. Was sollte schon passieren, in dieser kurzen Zeit, nachdem nichts auch nur ansatzweise Verdächtiges geschehen war?
Mit diesem Gedanken im Hinterkopf machte Lova sich festen Schrittes auf den Weg, obwohl alles in ihrem Kopf dagegen anschrie. Sie redete sich ein, dass es nichts als Paranoia war, bis sie unbeschadet vor dem Tresen zum Stehen kam und den Becher mit den Worten: „Ein Honigmet und ein Wasser, bitte", zu Adajas Aushilfe hinüber schob. Erst dann wurde sie sich des stechenden Blickes bewusst, der auf ihr lag, seit sie Viggos Seite verlassen hatte.
Mit vor Angst wie ausgetrocknetem Mund drehte sie sich langsam zu ihrem Beobachter herum.
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Clematis
FanfictionWieso verriet Ryker seinen Bruder? Wie gelang es Viggo, aus dem Vulkan zu entkommen? Wie erhielt er die Narben an seinem Hals? Wer rettete ihn, als er in der Basis der Drachenjäger bereit war, sich für Hicks zu opfern? Und noch viel wichtiger; gab e...