Kapitel 41

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Die Drachenklippe war unter normalen Umständen sicher ein wunderschöner und friedlicher Ort, doch seit Krogan ihn übernommen hatte, hing der Gestank nach Blut in der Luft, vermischte sich mit dem Geschrei der eingesperrten Feuerschweife. Die Männer, die unter seinem Befehl arbeiteten, waren jähzornig und sehnten sich nach einer Möglichkeit zum Gemetzel, sei es gegen die Reiter, die Jäger oder die Drachen. Nicht selten fingen sie Streit an, der in Prügeleien und schließlich in blutigen Lippen und mit blauen und grünen Flecken versehener Haut endete. Es war, um es gelinde auszudrücken, ein Desaster. Die Zusammenarbeit hatte nie unter einem guten Stern gestanden, sodass Viggo seine Zustimmung schon nach kurzer Zeit bereut hatte. Doch es gab keinen Weg hinaus, aufgeben war keine Option und ein Rückzug wäre taktisch unklug. Viggo hatte jede Möglichkeit bereits auf seinem geliebten Spielbrett nachgestellt, und jede einzelne von ihnen endete in mehr Chaos, als das Inselreich verkraften konnte. Von ihm selbst ganz zu schweigen, denn sein Tod wäre nicht unwahrscheinlich. Es galt, ein falsches Lächeln aufzusetzen und mitzuspielen, bis er hatte, was er wollte.

Das Drachenauge. Es war Viggo noch immer nicht gelungen, dass Erbe seiner Familie zurück in seine eigenen Hände zu bringen, jeder Versuch, das kostbare Artefakt aus den Tiefen des Vulkans zu bergen, war fehlgeschlagen. Bei der letzten Expedition war nur einer seiner Männer lebend zurückgekehrt, davor hatte es kein einziger geschafft. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sie ihm unter den Händen wegstarben oder eine neue Revolte begannen. Womöglich würde Krogan sie dabei sogar noch mit einem Lachen unterstützen, wenn es ihm denn neue, austauschbare Männer in die Arme trieb. Allerdings schien der Mann mit den Feuerschweifen ihn aus irgendeinem Grund zu brauchen, also konnte Viggo sich möglicherweise in Sicherheit wiegen. Fürs Erste.

„Vertrauen ist nichts weiter als ein Trugbild", stieß er mit einem abfälligen Schnauben hervor und zog den Stapel mit seinen Notizen näher zu sich heran. „Wer vertraut schon jemandem, den er nicht kontrollieren kann?"

„Tun das nicht viele?", fragte der Mann, der Viggos Hütte bewachte. Er hatte regungslos am Eingang verharrt, bis er die Stimme seines Führers vernommen hatte. Er schien außerdem noch recht jung zu sein, kaum 18 Jahre alt, für einen Jäger mit erstaunlich wenigen Muskeln ausgestattet. Dennoch schien er das Training bestanden zu haben, sonst wäre er wohl nicht hier. Viggo duldete keine Anfänger in den Gefahrenzonen, es würde die Todesrate nur drastisch erhöhen und damit die Attraktivität einer Arbeit bei den Drachenjägern senken. Und diese Art der Arbeit wurde ohnehin immer unbeliebter und gefährlicher, seit die Reiter das Inselreich zu ihrem persönlichen Schutzgebiet erklärt hatten.

„Tun sie das?", fragte Viggo den jungen Mann beiläufig, während er die Namen der Jäger auf seinen Listen abglich, ergänzte und im Fall eines bestätigten Todes herausstrich. Es war eine lästige Tätigkeit, doch nach Rykers gescheiterter Revolte leider zwingend notwendig.

„Naja, kaum jemand hat tatsächlich genug Einfluss, um Menschen zu kontrollieren", gab der Jäger unsicher zurück. „Und es gibt Situationen, in denen Kontrolle sicher nicht über Vertrauen stehen sollte." Mit jedem seiner Worte wurde die Stimme des jungen Mannes selbstsicherer, bis er mit hochgerecktem Kinn vor Viggo stand. „Welche Situation soll das sein?", hakte Viggo abschätzig nach und strich gelangweilt einen Namen aus seinen Listen. „Sobald du die Kontrolle verlierst, bist du angreifbar, verwundbar. Du könntest sterben, ehe du dich versiehst, weil das Netz des Vertrauens unter deinen Füßen von Verrat durchlöchert wird. Und schon findest du dich in den Händen derer wieder, die du eigentlich stets meiden wolltest."

Der Jäger fiel unter dem forschen Blick seines Anführers in sich zusammen wie ein Kartenhaus, wenn es von dem leisesten Windhauch gestreift wird. „Ich meinte...", versuchte er stotternd, sich zu erklären. „Wenn wir jemanden lieben, kann Kontrolle da nicht... falsch sein?"

ClematisWo Geschichten leben. Entdecke jetzt