Das Schiff

172 11 0
                                    

Lova erwachte, als man sie unsanft auf die harten Dielen eines Schiffsbodens schubste. Jetzt, so weit entfernt von der Hitze des Feuers und nur in eine dünne Lederhose und einem kaum erwähnenswerten, dunkelrotem Oberteil gekleidet, zog sich eine Gänsehaut über ihre entblößten Arme. Ihre Schulterrüstung aus Leder und Schafsfell war sie so schnell wie möglich losgeworden, als die Flammen kamen; einerseits, um sich nicht der Hitze stellen zu müssen, andererseits, um mehr Bewegungsfreiheit zu haben. Ein Umstand, der ihr in dem Inferno das Leben gerettet hatte, sich nun aber als fahrlässiger Fehler herausstellte.

Die junge Frau gab ihr Bestes, um nicht zu zittern, als sie den Kopf hob und ihr verbranntes Haar aus ihrem Gesicht strich. Sie war an Armen und Beinen gefesselt, konnte sich aber in eine kniende Position bewegen. Die dank der Seile unbrauchbaren Hände legte sie in den Schoß, als sie schließlich zu den drei Männern vor sich sah. Hinter ihr erklang das leise Schleifen von Waffen, die hektisch gezogen wurden und verriet ihr, dass sie es zusätzlich mit mindestens zwei Wachen zu tun hatte. Da die Gefahr aber immer von denen ausging, die die Befehle gaben, machte sie sich gar nicht die Mühe, sich herumzudrehen, sondern erwiderte den forschenden Blick des mittleren Mannes mit einer kaum verborgenen Abscheu. „Was wollt ihr von mir?", stieß sie hervor, die Stimme noch rauer als vor ihrer Ohnmacht auf dem Weg hierher. Sie hoffte, dass zumindest ein wenig ihres Hasses darin lag, den sie vor diesen Monstern empfand. Sie kamen in ihr Dorf, töteten oder entführten die Bewohner und hatten nicht einmal den Anstand, die Ruinen als würdiges Denkmal ruhen zu lassen. Nein, wegen diesen Männern brannte ihre Heimat nieder.

„Nicht doch, meine Liebe..." Die Stimme des Mittleren war überraschend sanft, in seinen dunklen Augen lag sogar ein Hauch Wärme. Skeptisch sah sie ihn an. Was für ein Spiel spielte er mit ihr?

„Die bessere Frage ist doch, was wir dir geben können, oder siehst du das anders?" Schon wieder diese sanfte Tonfall, bei dem sich ihr die Nackenhaare aufstellten. Lova verengte die Augen zu Schlitzen. „Ich will nichts, was ihr mir geben könnt."

Sie spuckte den Männern vor die Füße.

Der rothaarige Irre hatte nur ein Lachen für sie übrig, der Mittlere sah sie mitleidig an, aber der Rechte stieß ein hasserfülltes Grollen aus und trat einen Schritt auf sie zu. Sie hatte noch nie so kalte, zornige Augen gesehen.

„Was bildest du dir ein, du Schlampe?", knurrte er und seine Hand zuckte zu der Streitaxt an seinem Gürtel. „Wir hätten sie von den Männern beseitigen lassen sollen, wie den Rest ihres Stammes." Seine Fingerknöchel wurden weiß bei seinem festen Griff um sein Schwert. „Lass mich meinen Plan zu Ende bringen und sie ebenfalls ausschalten."

Lova wäre vermutlich einen Kopf kürzer gewesen, wenn der Mann mit der sanften Stimme nicht bestimmt den Arm ausgestreckt und den anderen abgehalten hätte. „Ich bitte dich, Bruder, sei freundlich zu unserem Gast", sagte er beruhigend und schenkte der noch immer knienden Lova ein warmes Lächeln. Sie legte skeptisch den Kopf schief. Der Mittlere und der Mann mit der Axt waren Brüder... Aber in welchem Kontext stand der Irre zu ihnen? Er stand bloß daneben, sah grinsend zu und machte keine Anstalten, wieder so gewalttätig zu werden wie vorhin.

„Du musst Ryker entschuldigen, normalerweise hat er nur mit Drachen oder Gefangenen zu tun. Er ist nicht derjenige mit der Feinfühligkeit, meine Liebe." - „Hätte ich mir nach eurem Angriff auf mein friedliches Dorf fast nicht denken können", gab Lova hasserfüllt zurück. Der Mann ließ in einer theatralischen Geste die Arme schweifen und schenkte ihr ein charmantes Lächeln. „Die Pläne meines Bruders zeichneten sich noch nie durch Diplomatie aus", entgegnete er. „Er ist nicht der größte Denker der Drachenjäger."

„Aber du, mh?" fragte Lova spöttisch und warf einen kurzen Seitenblick auf den Wahnsinnigen, der weiterhin nur am Rand stand. Als er ihren Blick bemerkte, grinste er ihr zu und entblößte seine ziemlich schlechten Zähne. Er tat so, als hätte es seinen Ausschreiter am Strand nie gegeben. Sollte ihr Recht sein. Ryker dagegen lehnte sich gegen den Tisch in der Kajüte, die Axt bedrohlich vor seiner Brust platziert. Mit ihm würde Lova sich nicht anlegen, dessen war sie sich sicher.

„Ich würde mich durchaus so bezeichnen, ja", meinte der Mittlere dann und sah ihr dabei die gesamte Zeit in die Augen. Sie gab ihr bestes, möglichst nichtssagend zurückzustarren. „Gut zu wissen", gab sie nur zurück und verschränkte – so gut wie gefesselt möglich – die Arme. Der Mittlere stieß ein leises Lachen aus. „Meine liebe...", Er zögerte und sah zu dem Rothaarigen, der sich gerade schwungvoll eine Weintraube von der Schale auf Rykers Tisch in den Mund warf. „Louvisa", erklärte der Irre mit vollem Mund und zwinkerte ihr so vertrauensvoll zu, dass sie sich übergeben könnte. „Meine liebe Louvisa...", begann der mittlere Mann erneut. „Dagur ließ mir mitteilen, dass er Grund zu der Annahme hat, dass du die Tochter des Häuptlings bist und ich würde mich sehr geehrt fühlen, wenn du meinen Verdacht entweder bestätigst oder verneinst." Verwirrt sah Lova zu dem Rothaarigen. Wie hatte er...?

„Du kannst nicht kochen, Kleine. Das hat dich verraten", meinte der Irre (Dagur) und grinste noch ein wenig breiter. Am Liebsten hätte sie sich die Hand vor die Stirn geschlagen. Das ergab natürlich Sinn, zumindest ein wenig. Es war keine absolut sichere Feststellung, aber definitiv Hinweis genug, um es in Betracht zu ziehen.

„Ich bin – war – die Tochter unseres Häuptlings, ja", sagte sie und wandte sich von Dagur ab, um ihre Aufmerksamkeit dem Mittleren zu widmen. Er sprach am meisten, er konnte Ryker maßregeln... Er musste der „Boss" sein, von dem Dagur gesprochen hatte. Wenn sie ihn von sich überzeugte, ließ er sie vielleicht gehen...

„Dann möchte ich dir ein Angebot unterbreiten...", meinte er. „Dein Dorf ist tragischerweise zerstört und völlig unbewohnbar. Da dein Vater, wie ich annehme, in dem Brand ums Leben gekommen ist, obliegt dir das Kommando über die Verbliebenen deines Stammes. Ich biete dir einen Platz in unserer Flotte an, Sicherheit, Schutz und Nahrung für euch alle." Er sah sie abwartend an. „Von wie vielen Verbliebenen reden wir hier?", fragte Lova so kalt wie nur möglich. Sie wollte dem Mann nicht mehr verraten als nötig. Und er brauchte erst recht nicht zu wissen, wie sehr sie der Verlust ihres Vaters schmerzte. Er war ein kluger, gütiger Häuptling gewesen und hatte immer gewusst, was das Richtige war... Wie sollte sie sich um ein paar Wikinger kümmern, deren Heimat zerstört war? Sie war doch selbst genauso hilflos wie ihr Stamm.

„Es sind etwa zehn Männer, die auf der Jagd oder beim Fischen waren. Von den Frauen und Kindern hat es niemand geschafft." Der Mann sah sie so mitleidig an, dass sie nicht anders konnte, als ihm zumindest ein wenig Vertrauen zu schenken. Wo sollte sie auch hin? Sie hatte nichts, sie konnte den Verbliebenen rein gar nichts geben, Sicherheit schon gar nicht... Hätte sie damals schon gewusst, dass all das zu dem Plan der drei Männer gehörte und es ein Unfall war, dass Lova es raus aus dem Inferno geschafft hatte, statt wie die anderen Frauen qualvoll zu verenden, dann hätte sie sich sicher anders entscheiden. Aber als sie nach Viggos Hand griff, war alles zu spät, das Versprechen besiegelt.

„Versprich mir, dass du sie nach besten Mitteln beschützen wirst", verlangte sie noch und der Mann lächelte. „Selbstverständlich, meine Liebe. Ich verspreche es." Als sie seine Hand losließ und einen Schritt zurücktrat, war auch ihr Schicksal festgeschrieben.

Die zwei Wachen packten sie und zerrten sie in die Kombüse des Schiffes. Das irre Lachen des Rothaarigen folgte ihr noch, als die Tür hinter ihr ins Schloss fiel. Lova könnte schwören, dass sie seine grünen Augen in dem schmalen Spalt zwischen Tür und Rahmen aufblitzen sah. „Ich würde dir empfehlen, jetzt möglichst schnell kochen zu lernen, Süße. Vielleicht lass ich dich dann mal raus, wenn du dich gut benimmst, Häuptling...", hörte sie ihn dumpf hinter dem Holz und sie unterdrückte ein Schluchzen. Sie hatte ihren Stamm in die Hände von Irren gegeben... Wenn sie könnte, würde sie ihren Titel von sich abstreifen wie ein Kleidungsstück, und ihn nie wieder ansehen. Aber er prangte überall auf ihr, verhöhnte sie und bestrafte sie im gleichem Atemzug für die Dummheit, die sie begangen hatte.

Sie, Louvisa die II., hatte das letzte Vermächtnis ihres Vaters beschmutzt und zerstört.

Jetzt würde es nie wieder einen neuen Häuptling geben. Sie würde niemals Kriegerin werden, sich niemals beweisen. Ihr Stamm war verloren.


------------------------------

Und damit Herzlich Willkommen zu meiner Fanfiktion!

Falls sie euch bekannt vorkommt, ich habe sie bereits unter meinem Nutzernamen "Letho" auf Fanfiktion.de hochgeladen. Lasst gerne eure Meinung da, oder was immer man auf Wattpad so macht - ich bin neu hier xD

Schönen Sonntag euch noch!

ClematisWo Geschichten leben. Entdecke jetzt