Kapitel 44

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Zuerst war Lova wie erstarrt, dann stieg siedend heiße Wut in ihr hoch. Wie Feuer rauschte Zorn durch ihre Adern, brachte ihr Blut zum Kochen und ließ rote Flammen in ihren Augen tanzen. Sie zückte ihren Dolch, ehe sie einen klaren Gedanken fassen konnte. Noch nie in ihrem Leben war sie so wütend gewesen, wie jetzt, als sie ihn zu Gesicht bekam. Alles an ihm, von den Kontoren seines Profils bis zu der Art, wie er mit schwungvollen Bewegungen seiner linken Hand Worte auf das Pergament brachte, war ihr auf schmerzhafte Weise nur allzu bekannt. Sie wusste, wie weich seine Haut unter ihren Fingern war, wie er mit sanfter Stimme ihren Namen aussprach, als wäre es der einer Göttin, sie wusste, wie sich seine Lippen auf ihren anfühlten, wie berauschend einer seiner Küsse sein konnte, sie wusste, wie viel Wärme in einem einzigen seiner Blicke liegen konnte. Und sie wusste auch, dass dieses Wissen sie nur noch wütender machte.

Sie war wütend, weil sie sich noch immer nach ihm sehnte, aber auch, weil sie ihm zeitgleich nicht verzeihen konnte, dass er sie verlassen hatte. Sie hätte jedes Risiko in Kauf genommen, hätte einen Kampf nach dem anderen ausgefochten, um ihn nicht zu verlieren, ganz gleich, ob sie in Sicherheit war oder nicht. Und naiverweise hatte sie geglaubt, dass er es zulassen würde.

Lova war nicht darauf vorbereitet, ihn zu sehen, nichts hätte sie wohl je hierauf vorbereiten können. Auf diese eiskalten Hände, die ihren Brustkorb zu umklammern schienen, während ihr Zorn noch immer so heiß und hell wie Feuer durch sie hindurch rauschte und ihren Körper in Brand setzte. Sie stand in Flammen und brannte unter ihrer Wut, während sie gleichzeitig unter ihren Erinnerungen zu ertrinken drohte, als wären diese das eisige Meerwasser im tiefsten nordischen Winter. Ihr war kalt und heiß zugleich, ihre Hände zitterten und ihre Stirn rannen Schweißperlen herab.

Sie wusste nicht, was sie dachte, denn ihre Gedanken rasten durch ihren Kopf, machten es ihrem Verstand unmöglich, seine Arbeit zu tun und ihr einen logischen Schluss zu liefern. Sie wusste nur, dass sie Viggo hasste, aus tiefstem Herzen, weil er es ihr noch immer unmöglich machte, ihn zu hassen. Sie konnte es nicht, egal wie sehr sie es begehrte, ihn begehrte sie mehr.

Es war naiv, es war dumm, es war illusorisch, doch sie konnte nur mit wild schlagendem Herzen verharren, während langsam aber sicher Frust in ihr hochstieg. Und dann tat sie natürlich schließlich das Schlimmste, was ihr hätte einfallen können.

Es war eine Kurzschlussreaktion, die allerdings so entschlossen durchgeführt wurde, dass es Lova noch im Nachhinein an sich selbst zweifeln ließ. Dennoch konnte sie nicht leugnen, dass es eindrucksvoll gewesen war, wie sie sich ohne einen Laut an Viggo anschlich, den Dolch zückte und ihn gegen seine Kehle presste, ehe er sie auch nur bemerkte. Als Viggo dann die Schneide an seiner Haut spürte, die scharf genug war, um ihm binnen weniger Sekunden das Leben zu nehmen, sah Lova nur, wie seine Lippen sich zu einem Lächeln verzogen.

„Das war wohl bisher dein erfolgreichster Mordversuch", sagte er amüsiert, die Stimme noch immer so seidig wie an ihrem letzten gemeinsamen Abend. Allein dieser Klang reichte, um Erinnerungen aufblitzen zu lassen, Erinnerungen, die sie gerade nicht gebrauchen konnte. Ihr entfuhr ein dunkles Grollen, einerseits aus Wut auf sich selbst, andererseits aus Zorn über ihn und sein selbstgefälliges Lächeln. „Was denn, Krogan?", fuhr Viggo stichelnd fort. „Erwartest du einen Applaus, weil du mich nun endlich aus dem Weg räumen kannst?"

Lova erstarrte, so verwirrt, dass sie nicht zu einer Antwort in der Lage war. Was sie da gerade gehört hatte, passte nicht in ihre Vorstellung von Viggos Zusammenarbeit mit Krogan. Es passte genau genommen in gar kein Bild irgendeiner Zusammenarbeit. „Mordversuch?", wollte sie fragen.

Ehe die Worte über Lippen kamen, hatte Viggo sich ihre Verwirrung bereits zunutze gemacht und den Stuhl so ruckartig nach hinten geschoben, dass die Lehne hart gegen sie stieß. Mit einem schmerzerfüllten Stöhnen taumelte Lova einige Schritte rückwärts und kämpfte um ihr Gleichgewicht. Ein dumpfer, pochender Schmerz zog von ihrem Bauch durch ihren Körper und zwang sie beinahe in die Knie. So war sie unaufmerksam und konnte kaum rechtzeitig reagieren, als Viggo sein Schwert zückte und ihr mit einer geschickten Hieb beinahe den Kopf von den Schultern trennte. In der letzten Sekunde konnte sie zurückweichen und stand nun mit dem Rücken zur Wand, während die tödliche Schneide sich ein weiteres Mal näherte.

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