Kapitel 29

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Die Bucht, in welcher der Fluch der Tränen nun seinen Ursprung finden sollte, glich mehr einem traumhaften karibischen Sandstrand als einem berüchtigten Ort, der angeblich dutzende Händler auf dem Gewissen haben sollte. Sie war einerseits gesäumt von einem kleinen Wäldchen, dessen Blätterdach weiß gesprenkelt war vom frischen Schnee, andererseits umgeben von malerisch schroffen Klippen, deren Spitzen der Schönheit einer Mondsichel in nichts nachstanden.

Lova lächelte versonnen und strich Runna neben ihr über die warme Schnauze, um ihre von dem langen Flug durch die eisige Winterluft kalten Hände zu wärmen. „Du hast mir nicht gesagt, dass es so schön ist", sagte sie mit gesenkter Stimme, um die faszinierende Ruhe dieses Ortes nicht zu stören. Viggo zuckte nur unbeeindruckt die Schultern. „Ich war nicht wegen der Landschaft hier, meine Teure." Sie verdrehte die Augen, lachte aber. „Stell dir vor", gab Lova zurück. „Das dachte ich mir." Sie fuhr in ihren Streicheleinheiten unter Runnas Kinn fort, was dem Wechselflügler ein zufriedenes Schnurren entlockte. Viggo kommentierte das nur mit einem amüsierten Seitenblick, doch sie lächelte zufrieden. „Hast du denn etwas Verdächtiges entdeckt beim letzten Mal?", fragte sie dann, nachdem sie dem Drachen einen Kuss auf die Stirn gedrückt hatte.

„Nichts", gab Viggo zurück. „Deswegen wird der Wechselflügler von großem Nutzen sein."

Ein Grinsen schlich sich auf Louvisas Lippen, als sie das hörte und ihre Hand strich stolz über Runnas geschuppte Haut. „Der große Anführer braucht dich, Kleine", sagte sie neckend und lachte, als der Wechselflügler den Kopf auf ihrer Schulter ablegte und Viggo einen triumphierenden Blick zuwarf. „Wirst du ihm den Gefallen tun?", fragte Lova und kraulte den Drachen solange unterm Kinn, bis sie zufrieden schnurrend die grünen Augen schloss.

„Wenn du sie weiterhin so verwöhnt, wird der Schnee schon längst geschmolzen sein, bis wir den Schatz gefunden haben", kommentierte Viggo die Szene kühl und erntete dafür ein offenes Lachen. „Ich würde es lieben, all die Frühblüher zu sehen, die es dann hier geben muss", entgegnete Lova und schwenkte die freie Hand zu einer ausschweifenden Bewegung, um die Schönheit der Bucht einzufangen. „Stell dir diesen Strand mit einem Tupfen krokusviolett und narzissengelb vor."
„Ich hatte dich nie für eine Träumerin gehalten", meinte Viggo nachdenklich und ließ den Blick über den schneebedeckten Sand schweifen. Sie sah, wie der unterschwellige, harte Ausdruck in seinen Augen weich wurde, als er sich die Zeit nahm, für einen Augenblick die Schönheit dieses Ortes zu genießen. „Ich hatte nie einen Anlass dazu", gab Louvisa zurück und setzt, begleitet von Runna, die ersten vorsichtigen Schritte auf den eisigen Strand. Sie musste sich langsam bewegen, eingeschränkt von der möglichen Glätte des Bodens, denn wann immer sie einen Fuß vor den anderen setzte und so den Sand beiseiteschob, spürte sie das Eis unter ihren Stiefeln.

„Leider muss ich dir wohl zustimmen", sagte Viggo und schloss mit einigen Fußlängen Abstand zu ihr auf. Lova nickte ihm statt einer Antwort lediglich knapp zu und sah sich neugierig um. Dieses Mal war ihr Blick nur auf den Sand gerichtet, statt der majestätischen Landschaft. „Hast du genauere Koordinaten?", fragte sie, während sie Runna bestimmt an einem ihrer Hörner gepackt hielt, damit der Drache sich nicht frühzeitig auf eine Erkundungstour begab.

„Bedauerlicherweise nein", sagte er, warf aber dennoch einen prüfenden Blick auf die Karte. „Irgendwo in diesem Radius." Sie hatten noch nicht wirklich mit der Suche begonnen, doch er klang schon gelangweilt und genervt zugleich. Schatzsuche, so stellte Lova mit einem unterdrückten Lachen fest, schien wirklich nicht sein Ding zu sein. Vermutlich hielt er es als erfolgreicher Geschäftsmann für weit unter seiner Würde. Ein wenig verstand sie es ja, dachte Lova, als sie ein Stück Trockenfleisch aus ihrer Tasche zog und es der aufgeregt wartenden Runna vor die rot geschuppte Schnauze hielt.

„Such nach etwas Auffälligen", wies sie den Drachen an. „Ein seltsamer Geruch, ein Geräusch... Was immer du findest." Runna schnappte sich das Fleisch und stieß ein zustimmendes Gurren aus, ehe sie mit aufmerksam gespitzten Ohren und geweiteten Nüstern den Strandabschnitt absuchte. Lova und Viggo folgten ihr gemessenen Schrittes, ohne sich von ihrem gelegentlichen Schnüffeln und Schmatzen stören zu lassen.

„Und was hast du anschließend mit dem Gold vor?", fragte Louvisa neugierig. Viggo, der neben ihr herging, zuckte nur die Schultern. „Noch habe ich keine genaue Verwendung", gab er zu. „Ich möchte mir erst ein Bild von den Dimensionen des Reichtums machen, von denen wir hier sprechen." - „So gern ich dir das glauben würde, denn es ist überaus vernünftig, glaube ich nicht, dass du völlig planlos über einen Strand spazieren würdest", entgegnete Lova und hob abwartend die Brauen. „Du hast Recht", gestand er und grinste schief. „Ich will versuchen, einige meiner verbliebenen Männer zu versammeln. Gold kann hilfreich sein, überaus hilfreich." Sie nickte, langsam und nachdenklich. „Lieber die Jäger als Krogan", entgegnete Lova schließlich und entlockte ihm damit ein Lachen. „Völlig richtig, meine Liebe, wie gewöhnlich."

Ehe sie etwas entgegnen konnte, hörte sie Runnas ungehaltenes Fauchen und fuhr zu ihrem Drachen herum. „Was hast du gefunden, Kleine?", fragte Lova neugierig, während sie im Laufschritt zu dem aufgeregt im Sand scharrendes Wechselflügler eilte. Das Knirschen von Sand hinter ihr verriet, dass Viggo sein Bestes tat, ihr zu folgen.

„Runna?", hakte die Wikingerin nach, als sie direkt neben dem Drachen zum Stehen kam. Statt einer Antwort erntete sie ein dumpfes Knurren und ging neben dem Wechselflügler in die Hocke, um den Boden vor ihren Pfoten genauer zu inspizieren. Zwischen dem Sand blitzte etwas milchig-blaues auf, dessen Farbe Lova auf absurde Weise an Eis erinnerte. Behutsam fuhr sie mit den Fingern darüber und war sowohl von der Härte, als auch von der angenehmen Wärme überrascht, die von dem rätselhaften Stoff ausging.

„Was hat der Drache entdeckt?", hörte sie Viggo fragen.

Dann geschahen drei Dinge gleichzeitig.
1. Über den milchigen Stein zogen sich dünne Risse, die langsam immer größer wurden.
2. Der Boden unter ihr knackte bedrohlich.
3. Gerade als sie Viggos Hand auf ihrer Schulter spürte, verloren ihre Füße den Halt.

Lova schrie, während sie fiel, umgeben von einem Regen aus Sand und Scherben. Dunkelheit umgab sie, als wäre sie direkt von der Erde in der Welt von Hel gelandet. In der einen Sekunde fragte sie sich, ob sie von den Göttern als tote Kriegerin begrüßt werden würde und in der nächsten landete sie unsanft auf einem Haufen Knochen.

Ihre Augen brauchten einen Moment, um sich an die Dunkelheit zu gewöhnen, doch sie kämpfte sich sofort auf die Füße und wischte sich angeekelt die Hände an ihrer Lederhose ab. Auch wenn die Knochen strahlend weiß und vermutlich sauber waren, war sie dennoch in den Überresten eines echten, einst lebendigen Menschen gelandet. „Da sind die tapferen Händler", flüsterte Lova zu sich selbst und drehte sich auf dem Absatz ihrer Stiefel, um sich einen Überblick zu verschaffen. Sie war umgeben von Bergen aus purem Gold, tausenden Münzen und mehr Edelsteinen, als sie zählen konnte. Wenn sie es jetzt noch schaffen würde, Viggo und Runna auf sich aufmerksam zu machen, könnten sie hiermit ein kleines Vermögen scheffeln und auf schnellstem Wege wieder verschwinden – doch dafür müsste sie erst einmal einen Ausweg finden.

Lova legte den Kopf in den Nacken und lauschte, während sie nach einem Loch in der Decke suchte. Wie Tropfsteine ragten bläuliche Spitzen der glasigen Substanz herab und fanden sich als Stalagmiten zwischen den aufgetürmten Goldmünzen ein. Wäre da nicht diese unterschwellige Angst, die in ihrem Inneren brodelte, würde die Wikingerin diese surrealistische Schönheit bewundern. Sie hatte noch nie in ihrem Leben etwas vergleichbares gesehen und wünschte sich fast, für immer hier verharren zu können.

Mit einem Kopfschütteln verwarf sie diese Gedanken und legte die Hände als Trichter um ihren Mund, um ihre Stimme zu verstärken. „Viggo", schrie Lova, so laut, wie ihre Stimme es hergab. „Runna?" Sie hatte die Hoffnung, dass ihr Drache über ein besseres Gehör verfügte als der Anführer der Jäger, doch ob es ausreichen würde, stand in den Sternen. „Ich bin hier unten", versuchte sie es dennoch weiter. „In einer Höhle, direkt unter dem Sand."

Das Klirren von Metall auf Metall, das unverkennbare Geräusch von Flügelschlägen und ein animalisches Brüllen ließen die Worte auf ihren Lippen versiegen, ehe sie einen weiteren Versuch wagen konnte. Panisch tastete Lova nach dem Schwert an ihrem Gürtel und ließ sich instinktiv hinter einem der weiß-blauen Stalagmiten fallen, während sie ihre Waffe grob aus der Scheide zerrte. Erst bewaffnet wagte sie einen flüchtigen Blick in die dunklen Tiefen der Höhle.

Die Schatzkammer war größer, als sie vermutet hatte, und selbst wenn sie völlig ausgeleuchtet gewesen wäre, so hätte Lova ihre gesamte Fülle nicht erfassen können. Was sie jedoch ziemlich deutlich sehen konnte, war der etwa zehn Fuß große Drache, kaum fünf Meter von ihr entfernt. Sie konnte seinen lauten Atem hören, das aufgeregte Pochen seines Herzens und das Scharren seiner Krallen zwischen all den Schätzen. Er war größer als alle Wesen, die sie bisher gesehen hatte, überragte vermutlich sogar den Heißwasser-Drachen von der Wechselflügler-Insel. Mit seinem schlanken und wendigem Körperbau konnte er sich vermutlich auch zwischen den Stalagmiten und Stalaktiten schneller bewegen als Lova es auf freier Fläche könnte. Die sandfarbene und hellgrüne Färbung seiner Schuppen ermöglichte ihm in der Höhle grandiose Tarnung, während seine strahlend blauen Augen die Höhle absuchten und Lova die Gier in seinem Blick und die Speichelfetzen um sein Maul herum sehen konnte.

Innerlich fluchend und tobend presste sie sich die Hand auf den Mund, damit ihr ja kein verräterischer Laut entwich. Ihr Nacken schmerzte von der unbequemen Position, die sie einhalten musste, um den Drachen im Blick zu behalten, doch jede Bewegung könnte ihren Tod bedeuten. Wenn das Biest sie entdeckte, waren ihre Überlebenschancen gering – allein dieses riesige Maul, gespickt mit scharfen Zähnen, könnte sie wohl mit einem Biss zermahlen, ohne sich bemühen zu müssen.
Schweißperlen liefen ihr über die Stirn, als der Drache die Nase in die Luft reckte und nach einem auffälligen Geruch absuchte. Sie sah, wie seine Nüstern sich weiteten und er den Mund leicht öffnete, um jede kleine Auffälligkeit im Inneren der großen Höhle erfassen zu können. Speichel rann seine Schnauze herab, als könnte er ihr Fleisch schon schmecken.

Seine blauen Augen, in denen purer Hunger stand, weiteten sich. Das Weiße hinter seiner Iris trat hervor, als er den Duft ihres Fleisches wahrnahm. Erst jetzt bemerkte Lova das Rinnsal Blut an ihrer Stirn, welches sie irrtümlich mit Schweiß verwechselt hatte. Sie musste sich bei ihrem Sturz den Kopf angeschlagen haben – und nun war der typische, metallisch-süße Gestank zwar für eine menschliche Nase nicht wahrzunehmen, doch für jeden Drachen eine Leichtigkeit. Es war nur eine Frage von Sekunden, bis er sie finden würde.

~

Von der einen auf die andere Sekunde war Louvisa in einem Strudel aus Sand und milchig-blauem Gestein verschwunden, als der Boden unter ihr weggebrochen war, doch als Viggo neben Runna auf die Knie sank und den Strand inspizierte, waren sämtliche Spuren wie vom Erdboden verschluckt. Hektisch grub er sich durch die eisigen, rauen Sandkörner und fluchte, als sie ihm die Hände aufschnitten. Noch bevor er auch nur einen halben Meter vorgedrungen war, eroberte der Sand sofort seine alte Heimat zurück und behinderte ihn zusätzlich. Es war beinahe, als wollte eine höher Macht verhindern, dass er Lova wiederfand – möglicherweise aber war es lediglich die Angst, sie zu verlieren, die seine Bewegungen unkoordiniert und seinen Verstand wirr werden ließ.
Auch das ängstliche Gurren des Wechselflüglers neben ihm war nur bedingt hilfreich, von ihrem lauten Schnüffeln und unvorhersehbaren Bewegungen einmal abgesehen. In der einen Sekunde half sie ihm bei seinen sinnlosen Bemühungen, in der nächsten erstarrte sie völlig und legte den Kopf schief, als würde sie lauschen. Und wenn Runna das nicht tat, rannte oder flog sie über den Strand, als würde sie etwas verfolgen.

„Was hörst du, Drache?", wagte Viggo schließlich zu fragen. Es behagte ihm nicht, ein weiteres Mal auf den Wechselflügler angewiesen zu sein, doch ihre herausragenden Sinne waren im ganzen Inselreich bekannt. Wenn jemand Louvisa finden konnte, dann war es Runna, so ungern er das zugab. Wie war es überhaupt möglich, dass sie ohne eine Spur verschwand und lediglich ihr Angstschrei in der bedeutungsvollen Stille nachhallte?

Runna neben ihm stieß ein zufriedenes Knurren aus, als wollte sie ihn beglückwünschen, dass er sie endlich um Hilfe gebeten hatte. Ihr Schweif peitschte über den Sand und wirbelte die kleinen Körner auf, während sie mit ihrer Schnauze fordernd gegen seine Schulter stieß. Sie sah ungeduldig aus, in ihren grünen Augen stand die Sorge. Viggo erklärte sich selbst für verrückt, als er all diese Gefühle in diesem einfachen Drachen erkannte, doch einerseits konnte selbst er nicht verneinen, dass es komplexe Geschöpfe waren, die zu gewissen Emotionen in der Lage sein mussten, um zu überleben. Vermutlich sah sie Lova als Teil ihres Rudels an und handelte von einem schlichten Instinkt getrieben, denn eine andere Erklärung jenseits der Logik gab es nicht.

Ein Schlag gegen die Brust riss ihn grob aus seinen Überlegungen. Während er noch über die Gefühlswelt eines Drachens nachgegrübelt hatte, hatte Runna sich ihm noch weiter genähert. Mittlerweile war er dem Wechselflügler nah genug, um auf ihren Rücken steigen zu können, wenn er das wollte. Runnas blattgrüne Augen verloren aus dieser Entfernung jede Schärfe, die sie als tödliches Raubtier hätten haben sollen. Die Sorge und Intelligenz darin war beinahe greifbar, doch er weigerte sich zu glauben, dass ein Drache zu menschenähnlichen Gedanken fähig war. Das war schlicht nicht möglich, widersprach sich mit all seinen Erfahrungen, die er jenseits von den Drachenreitern oder Lova gemacht hatte. Dennoch entschied Viggo sich, dem Wechselflügler zu vertrauen. Ihr Instinkt, kombiniert mit ihrer Körperkraft, würden ihn sicher weiterbringen als jede noch so logische Eingebung, die er möglicherweise hätte haben können. Mit einem ergebenen Seufzen schwang er sich auf den Rücken des Drachen und schlang die Arme um ihren Hals.

Runna ließ ihm keine einzige Sekunde, um sich an das seltsame Gefühl ihrer weichen Schuppen zu gewöhnen, sondern schoss sofort in die Höhe, legte die Flügel eng an die Seiten und schoss pfeilschnell wieder herab. Jede ihrer Bewegungen strotzte vor Kraft, kleine Rauchkringel stoben bei jedem Atemzug aus ihren Nüstern, während sie für jeden Beobachter ein Bild purer Eleganz darstellen würde. Viggo verstand, was Lova an diesem Drachen liebte – die Schnelligkeit, das Gefühl von Unbesiegbarkeit und die angenehme Wärme ihres Körpers. Doch dieser kurze Augenblick verging, als Runna sich in die Senkrechte stürzte und in mörderischem Tempo auf den Strand zuraste. Obwohl er nie sonderlich gläubig gewesen war, sprach er ein Gebet an die Götter, als er an den rankenartigen Auswüchsen des Wechselflüglers zog, um sie wieder in die Horizontale zu lenken, ehe sie am Boden zerschellten.

„Bist du wahnsinnig, Drache?", schrie Viggo und erlaubte seinem Entsetzen, sich zu entfalten. Der Wechselflügler stieß nur ihr typischen Gurren aus und warf ihm über die Schulter einen prüfenden Blick zu, als wollte sie sicherstellen, dass er nicht irre geworden und von ihrem Rücken gesprungen war. Er würde lügen, wenn er sagen würde, dass es ihm nicht wie eine gute Idee erschien. Möglicherweise würde der Sand ihn abfangen, ohne dass er sich wirklich in Lebensgefahr begab, was man von diesem Biest nicht behaupten konnte.
Als hätte sie seine Gedanken gelesen, stieß Runna ein beruhigendes Schnurren aus, gefolgt von einem prustenden Schnauben. Sollte das ein Lachen sein?

Ehe Viggo sie ein weiteres Mal verfluchen oder um sein Leben bangen konnte, brachen sie durch geradewegs durch den Boden.

In einem Wirbel aus Staub, Gestein und Sand landeten sie unsanft inmitten hunderter Goldmünzen. Hätte Runna ihn nicht abgefangen, so hätte Viggo sich sicher den Hals oder zumindest einen Arm gebrochen, doch der Wechselflügler hatte ihn rechtzeitig mit ihrem Flügel aus der Gefahrenzone gebracht. „Das war die letzte Schatzsuche meines Lebens", murmelte er in sich hinein und erntete ein bestätigendes Knurren seitens Runna. Der Drache schüttelte sich, um den Dreck loszuwerden, ehe sie die Nase prüfend hoch in die Luft reckte. Viggo hörte ihr Schnüffeln und sah, wie ihre Ohren sich aufstellten. Der Wechselflügler schien all seine Sinne auf Lova auszurichten, denn sogar ihre immerzu peitschende Schwanzspitze verharrte zitternd in der abgestandenen Luft der Höhle.

„Wo ist sie, Drache?", fragte er leise, während er das in ihm aufsteigende Unwohlsein so gut wie eben möglich ignorierte. Doch Runna knurrte nur, ihr Schweif zuckte ungehalten und der Blick aus ihren zusammengekniffenen Augen wies ihn zur Ruhe an.

Dann, als hätte es ihren Tadel niemals gegeben, rieb sie ihren Kopf an seiner Wange und schnurrte, erfüllt von Aufregung. Viggo konnte ihren Körper förmlich vibrieren sehen vor Freude, während er sich gleichzeitig fragte, wie ein so primitives Lebewesen zu solchen Gefühlsumschwüngen im Stande war. „Willst du, dass ich aufsteige?", fragte er das Drachenweibchen schließlich und erntete einen drängenden Blick. „Du hast sie entdeckt?", hakte Viggo nach. Er wollte sich sicher sein, ehe er sich auf einen erneuten Höllenritt auf dieser Kreatur einließ – ein weiteres Mal und er war sich nicht sicher, ob er es überleben würde. Einzig um Lova zu finden und von diesem unangenehmen Ort zu entkommen würde er sich breitschlagen lassen, ein weiteres Mal auf einem Wechselflügler zu fliegen. Im Gegensatz zu einem Nachtschatten war diese Gattung nicht gerade für ihren schnellen oder wendigen Flug bekannt, denn allein ihr Körperbau war eher auf einfache, kurze Strecken ausgerichtet. Die kurzen, kräftigen Beine mit den langen Krallen waren allerdings perfekt zum Klettern geeinigt, was ihnen in dieser Höhle noch helfen könnte, wenn sie nachher nach einem Ausgang suchen mussten. Jetzt aber war es seine oberste Priorität, Louvisa zu finden.

ClematisWo Geschichten leben. Entdecke jetzt