Kapitel 20

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Lova hielt das Schwert wie einen Schild vor sich und stand breitbeinig da, um den ersten Angriff der Männer bestmöglich abzufedern. Beide Hände hielten den Griff ihrer Waffe so fest, dass ihre Knöchel weiß hervortraten und sie biss vor Nervosität so fest auf ihre Unterlippe, dass sie schon seit einer Weile nichts als Blut schmeckte. Adrenalin schoss durch ihren Körper, jeder Atemzug war eine Mutprobe und in ihren Ohren rauschte es so laut, dass sie kaum ihre eigenen Gedanken verstehen konnte. Einzig ihre Sorge um Runna umgab sie, heiß und brennend wie Flammen. Sie wusste nicht, ob sie ohne den Wechselflügler, dessen Schicksal ohne sie ungewiss war, noch den Mut hätte, zu kämpfen. Doch wenn sie sich nur schrittweise Ziel für Ziel vor Augen hielt, fand sie die Kraft, noch aufrecht zu stehen und den Jägern aus vor Wut blitzenden Augen entgegenzusehen.

Ihre Entscheidung, den ersten Angriff abzuwarten, stellte sich als überaus idiotisch heraus.
Während der erste Mann, ein Rotschopf mit blasser Haut und einigen ausgeschlagenen Zähnen, sich ohne jede Strategie um sich schlagend auf ihre linke Seite gestürzt hatte, stürmte der zweite zu ihrer rechten und machte den ungestümen Eifer seines Teamkollegen durch gut gezielte Hiebe mit seinem Speer wett. So umzingelt war es Lova nur möglich, zwischen hilfloser Parade und hektischem Ausweichen zu wechseln und gleichzeitig zu beten, dass kein Stoß auf ihren schutzlosen Körper traf. Schweißperlen rannen ihre Stirn hinab, doch wenigstens ihre sichere Position in der Mitte der Arena hatte sie behalten können. Sobald man sie an die Seite drängte und sie das kalte Metall der Abgrenzung in ihrem Rücken spüren könnte, würde sie sich geschlagen geben müssen, denn aus so einer Situation gab es kaum ein Entkommen.

„Sieht aus, als würde die Kleine schon schlappmachen", sagte der erste Mann höhnisch, obwohl seine Aussprache durch seine Zahnlücken doch recht lispelnd klang. Sein Kollege schien ihn allerdings blendend zu verstehen, denn als er lachte, verzogen sich sein kantiges Gesicht zu einer amüsierten Grimasse. Seine Gesichtszüge erinnerten Lova ein wenig an eine Ratte, mit der spitzen Nase und den tief in den Höhlen liegenden, dunklen Augen. Er war wohl der Stratege des Teams, denn trotz all der Häme in seinem Blick erkannte sie auch eine unleugbare Intelligenz. „Ryker hat uns Unterhaltung versprochen", sagte Nummer 2 gelangweilt. „Ich bin mir sicher, dass noch ein wenig Kampfgeist in ihr steckt. Anderenfalls..." Ein dreckiges Grinsen schlich sich auf sein Gesicht. „... ist sie ja ganz ansehnlich, nicht wahr?"

Bei den gierigen Blicken, die die beiden Männer über ihren Körper wandern ließen, kroch Übelkeit in Lova hoch, doch ehe sie darüber nachdenken konnte, die Kleidung der beiden verdientermaßen zu ruinieren, wurde ihr die Chance bewusst, die sich ihr gerade bot. Während die Zwei mit ihren Scherzen und schmutzigen Witzen beschäftigt waren, ließ nicht nur der brutale Rotschopf seine Deckung schleifen.

Der schmerzerfüllte Aufschrei des zweiten Mannes zeigten Lova nur allzu deutlich, was selbst ein augenscheinlich stumpfes Schwert mit genügend Kraft an der richtigen Stelle anrichten konnte. Ihr war ein gut gezielter Stoß in seinen Unterbauch gelungen, während seine Aufmerksamkeit auf ganz anderen Dingen gelegen hatte. Mit einem triumphierenden Lächeln zerrte sie grob ihr Schwert aus seinem Körper, ohne Rücksicht auf die sicher höllisch schmerzende Wunde zu nehmen. Wenn sie ehrlich war, stieg bei dem erstickten Keuchen, welches er währenddessen ausstieß, Genugtuung in ihr hoch. Sie brachte sich mit einer eleganten Drehung aus der Reichweite der beiden geschockten Jäger und wischte sich einige Blutspritzer von der Stirn, während sie mit der anderen Hand ihr Schwert hocherhoben trug und bereit war, den Zweien mehr als nur eine ernsthafte Verletzung zu verpassen. Sie würde alles tun, um aus Rykers Fängen zu entkommen.

Ein grimmiges Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus, als der zweite Mann die freie Hand auf seine frische Wunde presste und seine Hautfarbe immer mehr frischem Schnee ähnelte. „Dafür sollten wir dir den Kopf abschlagen", stieß er mit schmerzerfüllter Stimme hervor und tauschte einen Blick mit seinem Partner. „Was hält uns denn ab?", fragte dieser zurück und hob sein Schwert. Schon aus dieser Entfernung konnte Lova sehen, dass seine Waffe mindestens doppelt so scharf war wie ihre und sicher eine Sonderbehandlung vom Schmied bekommen hatte, denn der graue Stahl glänzte und wies keine einzige, noch so kleine Kerbe auf. Sie würde lügen, wenn sie sagen würde, dass die Beiden keine eiskalten Schauder über ihren Rücken jagten.
„Lass das kleine Miststück leiden", keuchte der Blonde, während er sich prüfend seine Wunde besah. Lova hatte wohl einen verdammt guten Treffer gelandet, denn noch immer floss das Blut in Strömen heraus und färbte seinen Bauch dunkelrot. Es fiel ihr schwer, bei dem Anblick nicht an jene schicksalshafte Nacht im Wald zu denken, in welcher Viggo ohne ihr Auftauchen wohl ziemlich sicher gestorben wäre, doch der wütende Rotschopf, der nach Rache sinnend auf sie zu rannte, machte jeden rationalen Gedanken ohnehin zunichte.

Lova hob das Schwert in jenem Moment, in welchem der Jäger das seine zu einem Schlag hob, der ihr ohne die rechtzeitige Parade ziemlich sicher den Kopf von den Schultern geholt hatte. Sie musste all ihre Kraft aufbringen, um seine Waffe von ihrem Körper wegzudrücken und ihre Muskeln protestierten mit jeder verstreichenden Sekunde ein wenig mehr, doch Lova hielt Stellung. Schweiß rann über ihre Stirn, ihren Rücken und auch über ihren Oberkörper, doch der kam nicht nur von der unglaublichen Anstrengung, gegen Rykers gut trainierte Männer standzuhalten. Sie hatte Angst davor, zu verlieren und diesen beiden Jägern auf Gedeih und Verderb ausgeliefert zu sein. Was würde sie immerhin davon abhalten, ihr unaussprechliche Dinge anzutun?

Dieser Gedanke war es, der ihr die benötigte Kraft gab, den Mann beiseitezustoßen und das Kräfteduell zu beenden. Der Rotschopf stieß ein überraschtes Keuchen aus und sah über die Schulter zu seinem Kollegen, doch der versuchte noch immer verzweifelt, seine Blutungen zu stillen. Von ihm konnte er also sicher keine Hilfe erwarten.

„Du wirst doch nicht gegen eine Frau verlieren, Einar?"

Der Rothaarige und Lova fuhren gleichzeitig herum, um den Ursprung der spöttischen Stimme auszumachen, ihre Reaktion fiel aber völlig verschieden aus. Einar, wie der erste Mann wohl hieß, schüttelte eilig den Kopf und verneigte sich linkisch. Lovas Gesichtszüge dagegen entgleisten. „Ryker", sagte sie und spuckte auf den Boden zu ihren Füßen. Der Anführer der Jäger nickte nur und strich sich über den dunklen Bart. Er schien nicht zu glauben, dass sie einer Antwort wert wäre. Vielmehr schien er den Kampf genießen zu wollen, denn warum sonst sollte er sich unter seine Männer mischen? Die Gesellschaft seiner Jäger wollte er sicher nicht genießen, denn sie standen seiner Meinung nach sicher deutlich unter ihm als Anführer.
Einar dagegen schien seine Kräfte erneut zu sammeln, nachdem er von Ryker verspottet worden war. Offenbar schien er sich beweisen zu wollen, ganz gleich, was mit seinem Teampartner geschehen war. Und Lova war sich nicht wirklich sicher, ob sie einen weiteren Glückstreffer landen konnte.

Schlag um Schlag wehrte sie nur notdürftig ab, doch sowohl ihr Gesicht als auch ihre Arme, Beine und ihr Oberkörper waren von kleinen und größeren Schnitten übersät. Jeder einzelne zeugte davon, wie oft Lova sich nur durch einen hektischen Sprung zur Seite hatte retten können. Als wäre all das nicht genug, schmerzte ihr Knöchel und machte ihr mit jedem Auftreten das Leben schwer. Ein weiteres Mal wurde ihr bewusst, wie wenig ihr Schwertkampf eigentlich lag. Gegen Ryker hatte sie bereits verloren, Viggo hatte sie erst nach dutzenden Versuchen besiegt und diese beiden Jäger... Nun, wenn Lova das hier überlebte, würde sie sich glücklich schätzen. Und die Erschütterung des Schiffes, die eigentlich den Beginn ihrer Flucht hätte markieren sollen, blieb ebenfalls aus.
Nein, die Umstände waren wahrlich alles andere als gut. Alle Zeichen standen auf einer kommenden Niederlage, denn Lova wusste nicht, wie lange sie sich noch aufrecht würde halten können. Auch ihre Schwerthiebe waren mittlerweile nur noch träge und ohne jede Taktik, während Einar gerade zu Höchstformen auflief. Krampfhaft versuchte sie sich an jede Sekunde ihres Trainings mit Viggo zu erinnern, doch statt einer Eingebung erkannte sie nur, dass sie mit ihm nur eine Chance gehabt hatte, weil sie wusste, wie er kämpfte. Sie kannte ihn gut und hatte sicher mehr als nur einmal zugesehen, als er den Schwertkampf probte. Doch genau da lag das Problem: Wenn sie mit einer ihr bekannten Taktik schon nahezu ohne Chancen blieb, wie sollte sie es dann gegen jemanden schaffen, der völlig anders agierte?

Lova stieß ein ergebenes Seufzen aus und presste die Lippen aufeinander. Für sie gab es nur eine Chance, dass hier zu überstehen. Sie musste den Stolz dieses Mannes herausfordern und das könnte sie nur, wenn sie ihm etwas anbot, worin er sich unbesiegbar wähnte. Lova zögerte keine weitere kostbare Sekunde, sondern ließ das Schwert fallen und ballte die Hände zu Fäusten. „Wer bedroht schon eine Lady mit einem Schwert?", fragte sie und legte ein leises, provokantes Säuseln in ihre Stimme. „Zeig mir, dass du kein Schwächling bist, Einar."

~

Der Rotschopf war genauso berechenbar, wie sie geglaubt hatte. Er hatte Ryker einen fragenden Seitenblick zugeworfen und sein Schwert in der Sekunde in den Sand fallen gelassen, in welcher sein Anführer sich belustigt nickend gegen die Wände der Arena lehnte und die Arme vor der Brust verschränkte. Im Kampf mit Händen und Füßen war er zudem nicht annähernd so ausdauernd wie mit einer frisch geschärften Waffe in den Händen. Auch schien er sich voll und ganz auf seine Fäuste zu verlassen, die zwar an beeindruckend muskulösen Armen hingen, mit der Effizienz eines gut platzierten Trittes aber kaum mithalten konnten.
Während Einar also nur schlichte Kneipenprügeleien gewohnt war, hatte Lova schon als kleines Mädchen gelernt, sich selbst zu verteidigen. Der Umgang mit Nahkampfwaffen hatte ihr nie gelegen und gegen Ryker hätte sie allein wegen des Kräfteunterschieds keinen Wettstreit ohne Schwert gewinnen können, doch gegen den Rothaarigen hatte sie wegen des ausgeglichenen Verhältnisses aus Muskeln und Können eine wirkliche, realistische Chance.

Sie landete einen Treffer gegen sein Schienbein, der ihn aufheulen ließ. Im Gegensatz zu ihr fehlte Einar jegliches Wissen über die Körperteile, die besonders schmerzempfindlich waren. Die Zeit als Heilerin bei den Jägern hatte sich wenigstens dahingehend ausgezahlt, denn während sie ihren Körper als perfekt ausbalancierte Waffe nutzen konnte, deckte ihr Gegner lediglich seine Lendengegend. Lova wusste zwar, dass ein Tritt genau dorthin selbst den kräftigsten Mann von den Füßen holen konnte, doch wenn er dafür alles andere schleifen ließ, gab es genug andere Stellen, auf die sie zielen könnte. Schienbein, Kniekehle, Bauchregion, Hals und Gesicht..., sagte sie sich selbst wieder und wieder als Mantra vor, wenn sie zum Schlag ausholte oder zum Tritt ansetzte. Das Johlen und Lachen der Jäger um die Arena dagegen blendete sie vollständig aus, um jegliche Ablenkung zu vermeiden. Was zählte, war eine erfolgreiche Flucht. Sie wollte sich nicht ausmalen, was geschehen würde, wenn sie hier in der Arena blieb, den gierigen Blicken ausgesetzt und zum allgemeinen Vergnügen zur Schau gestellt. Was, wenn Ryker auf die Idee kam, dass seine Männer eine andere Form der Unterhaltung bräuchten? Eine, die nicht bei Schwerthieben und Schlägen stoppte?

Allein der bloße Gedanke daran ließ Lova unaufmerksam werden.
Einar verpasste ihr einen Kinnhaken, der sie nach hinten taumeln ließ. Sterne tanzten vor ihren Augen und ihre Sicht verschwamm, doch sie entkam einem weiteren Treffer, indem sie den Kopf rechtzeitig einzog. Das Blut rauschte in ihren Ohren. Sie sah, dass sich seine Lippen bewegten, doch die dazugehörigen Worte konnte sie nicht vernehmen. Übelkeit stieg in ihr hoch, doch Lova drängte diese mühsam zurück und straffte die Schultern. Jede noch so leichte Bewegung ließ ihre Welt schwanken, doch sie hob das Kinn und visierte die verschwommenen Umrisse von Einar an. Wenn er glaubte, dass es ihr gut ging und der Schlag ihr kaum etwas ausgemacht hätte, hatte sie vielleicht eine Chance. Falls er allerdings ein weiteres Mal auf sie zielte, würde sie keine Chance gegen ihn haben. Wenn er ihren Kopf erwischte, würde sie ohne Zweifel ohnmächtig werden. Wäre es ihr Bauch, müsste sie sich ziemlich sicher übergeben. Ihr Hals? Das Atmen würde nahezu unmöglich werden und der Sauerstoffmangel würde sie daraufhin in die Knie zwingen. Doch auch ihre Beine wären ein leichtes und logisches Ziel. Sie würde wehrlos im Sand zum Erliegen kommen.

Es kam zu keinem weiteren Schlag. Stattdessen riss eine sehnlich erwartete, nun aber gänzlich unwillkommene Erschütterung Lova von den Füßen.

ClematisWo Geschichten leben. Entdecke jetzt