KINDERTAGE

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Eines Tages schauten Sǫ' Ndaajeehí und Schi-So zu, wie eine der Frauen aus den kostbaren Wurzeln der Didzeh (Wildpflaume) roten Farbstoff herstellte. Der Knabe erklärte seiner dreijährigen Schwester, dass die Pflanzen in den Plains wuchsen und darum schwer für die Diné zu beschaffen waren. Als Sǫ' Ndaajeehí versuchte, einen Finger in die Farbe zu stecken, wurden die Kinder lautstark weggejagt.

Sǫ' Ndaajeehí wollte nun unbedingt zu den Mustangs, doch Schi-So hatte anderes vor.

Er ließ seine Schwester also allein, um seine eigenen Wege zu gehen. Das war nicht ungewöhnlich, denn im Dorf lauerten keinerlei Gefahren für die Kinder. Niemand kontrollierte, was ein Kind tat oder vorhatte. Einzig am See schauten die Größeren nach den Kleineren.

Wie gewöhnlich standen einige Knaben bei den Mustangs. Unter Anleitung eines Kriegers erlernten sie den Umgang und die Pflege der Pferde. Sǫ' Ndaajeehí war hier öfters anzutreffen und spielte mit dem kleinen Hengst Charley, der ihrer Mutter gehörte und ein geduldiges Kinderpony war.

Nachdem das Mädchen mit dem Pony geschmust hatte, kam ihr eine Idee. Schnell rannte sie zurück ins Dorf.

Kurze Zeit später kam sie mit einer Schale in der Hand zurück, schlenderte zu den Pferden und suchte die hochtragende Schimmelstute Łigaii (die Weiße) auf. Mit ihr verzog sie sich in den Schatten einiger Bäume und beschäftigte sich eine Zeitlang mit dem Tier. Als sie mit ihrem Werk fertig war, klatschte sie begeistert in die Hände und lief nach Hause.

Gidi betrachtete ihre Tochter, die von oben bis unten mit roter Farbe beschmiert war. Sie versuchte, ihre Tochter abzuwaschen und schimpfte dabei: „Wo bist du nur gewesen? Die Farbe bekomme ich doch niemals wieder ausgewaschen. Und auch deine Haut wird eine Weile rot bleiben. Jetzt bist du tatsächlich eine Rothaut!"

Schi-So betrat ihre Hütte und musterte die kleine Schwester von oben bis unten.

„Mama, das ist Didzeh, die Farbe aus den Wurzeln der Wildpflaume. Diese wächst nicht hier bei uns, sondern in den Plains. Darum haben wir nur einen kleinen Vorrat der Wurzeln, den wir teuer kaufen müssen.

Sǫ' Ndaajeehí hat heute zugeschaut, wie die Frauen den Farbstoff herstellen. Aber sie wurde verjagt, da sie keine Hilfe, sondern ein Störenfried war."

Diesmal freute sich Gidi darüber, dass ihr Sohn ein wandelndes Lexikon war. Doch dann wurde sie abgelenkt. Im Dorf war Unruhe entstanden und neugierig verließ sie ihre Hütte, um nachzuschauen, was passiert war.

Auf dem Dorfplatz stand einer der Knaben mit der Stute Łigaii. Diese war am Hals und Bauch mit roter Farbe bemalt worden. Entsetzt packte Gidi ihre Tochter und schleifte das schreiende Mädchen hinter sich her zum Dorfplatz. Angesichts der roten Farbe am ganzen Körper der Zweieinhalbjährigen bedurfte es keiner Erklärung. Auch Nitsas-Ini war nun hinzugetreten.

„Sǫ' Ndaajeehí wird die Farbe von Łigaii abwaschen müssen. Anschließend hilft sie den Frauen beim Herstellen neuer Farbe. Die Wurzeln der Wildpflaume sind kostbar. Sǫ' Ndaajeehí wird mit Ch'il bilátah hózhóón Decken weben müssen, die wir verkaufen, damit wir neue Wurzeln kaufen können."

Und so kam es, dass die Kleine stundenlang die geduldige Stute abwaschen musste. Die Knaben im Dorf führten die Aufsicht darüber. Sǫ' Ndaajeehí musste mit der Stute zum See gehen und sie mit einer kleinen Bürste immer wieder abschrubben. Die Knaben aber hatten sich lange Stöcke angespitzt, und wann immer die Häuptlingstochter aufgeben wollte, stießen sie diese mit den Lanzen zurück zur Stute. Sǫ' Ndaajeehí versuchte, dem zu entkommen, indem sie vorgab, öfters im Gebüsch verschwinden zu müssen. Doch auch dort ließen die Jungs sie nicht in Ruhe und stießen die Stöcke ins Gebüsch, wenn ihnen die Prozedur zu lange erschien. Bald ergab sich das Mädchen in ihr Schicksal und schrubbte die Stute ab, bis diese nur noch zartrosa glänzte. Ganz ab bekam die Farbe dann niemand und so lief die Schimmelstute noch wochenlang zweifarbig herum...

Nitsas-IniWo Geschichten leben. Entdecke jetzt