Schi-Sos Befreiung

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Schi-So befand sich für einen längeren Aufenthalt im Dorf. Normalerweise pendelte er zwischen Santa Fé, Albuquerque, Tucson und New Orleans hin und her. In diesen Städten waren die Hauptabnehmer des Holzes angesiedelt, welches die Diné vermarkteten. Er plante, eine eigene Sägemühle zu errichten sowie weitere Neuerrungen, die die Forstwirtschaft betrafen.

Um die Planungen und den Finanzplan zu entwickeln, benötigte er Ruhe und Abgeschiedenheit, die er nur zu Hause fand.

An diesem Morgen hatte er sich schon früh an seinen Schreibtisch gesetzt. In einer der Rechnungen musste ein Fehler sein und er hatte ihn noch nicht gefunden. Wieder und wieder verglich er Zahlen, überprüfte Ergebnisse und rechnete nach. Er war so vertieft in seine Arbeit, dass er nicht bemerkte, wie seine Mutter den Hogan betrat.

Eine Zeitlang betrachtete Gidi ihren Sohn. Blass war er geworden und das Glitzern seiner Augen hatte nachgelassen. Als sie zusah, wie er erneut einen vollgekritzelten Zettel wütend in die Feuerstelle warf, machte sie sich bemerkbar.

„Ist das das Leben, welches du dir immer vorgestellt hast?"

Der Junge zuckte zusammen und schaute erstaunt auf.

„Mama?"

„Ist das das Leben, welches du dir immer vorgestellt hast?", wiederholte sie ihre Frage.

„Die Geschäfte laufen gut, wir können uns vergrößern und haben genug Einkommen, um zufrieden zu sein."

„Das war dein Ziel all die Jahre? Erfolg und Reichtum?"

„Ich mache das doch nicht für mich, sondern für mein Volk, für die Diné!"

Schi-So schaute seiner Mutter in die Augen und fand dort neben Liebe auch – Mitleid?

„Wenn ich gewusst hätte, dass Deutschland dies aus dir macht, hätte ich dich niemals weggehen lassen", sagte sie und verließ den Hogan.

Schi-So war verblüfft über diese Worte. Was meinte seine Mutter damit? Hatte er nicht alles getan, um sein Volk in die Zukunft zu führen? Er hatte einen perfekten Plan entwickelt, der ein Gleichgewicht zwischen Ab- und Aufforstung garantierte. Die Geschäfte liefen gut, er hatte den Menschen Arbeit gegeben und konnte ihnen Lohn garantieren. Jedes Jahr konnte er eine Gratifikation an alle Familien der Diné auszahlen. Der Reichtum war doch nicht für ihn! Er hatte außer Arbeit nichts von alledem. Er hatte nicht einen Cent für seine eigenen Bedürfnisse verwendet. Natürlich, die Geschäftsreisen und die damit verbunden Kosten hatte die Firma übernommen, doch wann hatte er sich das letzte Mal ein Buch gekauft? Wann hatte er das letzte Mal die Alten des Dorfes aufgesucht, um deren Geschichten zu hören? Wann war er das letzte Mal sorglos durch die Gegend geritten?

Trug er nicht all die Sorgen um die Geschäfte ganz allein? Für sein Volk?

Und jetzt diese Worte seiner Mutter, die all seine Arbeit, seine Aufopferung in Frage stellte.

Er musste nachdenken.

Plötzlich fühlte er sich eingeengt, die Wände seiner Hütte schienen auf ihn zuzukommen und ihm die Luft zu nehmen. Er musste dort raus, musste Klarheit finden.

Schi-So suchte die Pferdeherden auf und ließ sich von einem der Jungkrieger einen Mustang einfangen.

Was tat er da? Wann hatte er aufgehört, sich selbst ein Tier auszusuchen, welches er reiten wollte?

Mit einem Nicken bedankte er sich bei dem Jungen, dessen Namen er nicht kannte, und schwang sich auf den nackten Rücken des Pferdes.

Dann stieß er diesem die Hacken in die Flanken und stürmte davon.

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