SCHWIERIGKEITEN

35 5 15
                                    

Die vier Reiter und ihre Packtiere waren noch zwei Wegstunden vom Dorf der Diné entfernt, als der Tag sich dem Ende zuneigte. Da Nitsas-Ini sich aber im Gebiet der Diné sicher fühlte und die Strecke gut kannte, beschloss er keine Rast einzulegen, sondern das Dorf direkt anzusteuern.

Plötzlich fühlte der Häuptling eine ungewohnte Unruhe in sich aufsteigen. Es war nicht etwas die Vorfreude, seine Familie wiederzusehen, sondern eher Besorgnis, fast Angst, die ihn beunruhigte und vorwärtstrieb.

Er besprach sich kurz mit seinen Begleitern und trieb dann sein Pferd in einen scharfen Galopp. Er wollte vorrausreiten. Schi-So würde den weiteren Weg nach Hause auch alleine finden und konnte die Pferde-Heiler führen.

Bald sah er das Dorf vor sich und erkannte die einzelnen Feuer vor den Hogans. Jetzt, im Mai, waren die Nächte nicht mehr kühl, sodass die Diné lieber vor ihren Behausungen saßen. Er hatte die ersten Hütten fast erreicht, als er einen lauten Schrei hörte. Das war seine Frau, er wusste es genau! Er trieb sein Pferd durch das Dorf auf seinen Hogan zu, sprang noch im Galopp von dem Tier und stürzte in seine Hütte.

*

Gidi lag bewusstlos in den Armen Ma'iitso's. Káalógii hockte an ihrer Seite und massierte den geschwollenen Leib. Ch'il bilátah hózhóón stand am Herd, kochte Wasser ab und bereitete saubere Tücher vor.

„Gott sei Dank, du bist da!", rief Martin Wolf erleichtert und gab seinen Platz frei, damit der Häuptling seine Frau stützen konnte. Káalógii schaute auf.

„Gidi kann ihre Kinder nicht gebären. Wir müssen ihr den Bauch aufschneiden, aber Káalógii hat dies noch nie gemacht, nur davon gehört. Káalógii befürchtet, Gidi wird sterben. Sie kann die Kinder retten, wenn sie den Schnitt wagt, aber Gidi wird dies nicht überleben. Wenn Káalógii nichts unternimmt, sterben alle."

Nitsas-Ini schloss kurz die Augen. All seine Sinne waren jetzt im „Häuptlingsmodus", wie seine Frau diesen Zustand nannte und bedeutete, dass er in einer ihm unbekannten Situation rasch Entscheidungen treffen musste. Gidi war eine Kämpferin und auch er würde kämpfen. Ihm kam eine Idee.

„Ma'iitso, nimm mein Pferd und reite Schi-So entgegen, der auf dem Weg der Blumen hierher unterwegs ist. Er hat zwei Krieger der Nez-Percé dabei, die uns hier vielleicht helfen können." Sofort verschwand der Weiße aus dem Hogan.

„Chʼil, wir brauchen mehr abgekochtes Wasser!"

Auch die Nadleehé verließ den Hogan schnell.

„Káalógii, hast du etwas, um Gidi zu betäuben?", fragte er die Medizinfrau. Sofort stand diese auf und bereitete eine Kräuterschale und Tücher vor.

Nitsas-Ini bemerkte, wie eine weitere Wehe seine Frau wachrüttelte. Wieder schrie sie laut und riss die Augen weit auf. Dann erkannte sie ihren Mann.

„Geliebter, du bist gekommen", hauchte sie. „Jetzt wird alles gut."

Káalógii hatte die Kräuter entzündet und stellte sie neben Gidis Kopf. Dann deckte sie ein feuchtes Tuch über Schale und Kopf, sodass der Rauch die Frau einlullte, ohne auch die übrigen Menschen im Hogan zu betäuben. Nitsas-Ini wollte gerade zu einer Erklärung ansetzen, als Hufgetrappel zu vernehmen war.

Martin Wolf war relativ schnell auf Schi-So und die zwei Nez-Percé gestoßen und hatte ihnen rasch die Lage erklärt. Die Pferde-Heiler hatten sofort ihre Hilfe zugesagt und ihre Pferde zu höchster Eile angetrieben.

Die Indianer betraten den Hogan und hatten ihre Satteltaschen dabei. Nitsas-Ini erklärte ihnen sein Anliegen und die Männer waren bereit, das Unmögliche zu versuchen.

Chʼil kam mit einigen Frauen und brachte heißes Wasser. Die Nez-Percé öffneten ihre Taschen und warfen ein Messer, einige Fäden und Ahlen in das kochende Wasser auf dem Herd. In einen weiteren Wassereimer streuten sie ein Pulver und wuschen sich damit die Hände und Arme. Dann tränkten sie eines der Tücher mit dem Wasser.

Nitsas-IniWo Geschichten leben. Entdecke jetzt