In der Hölle

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Gidi hatte am Abend vorher noch einen Wunsch geäußert:

„Geliebter, müssen wir sofort wieder zurück ins Dorf?"

„Es wäre sinnvoll, wenn alle Diné von unserem Friedensabkommen mit den Bürgern von Flagstaff erführen."

„Das können doch unsere fünf Begleiter machen. Ich möchte, da wir schon einmal hier sind, wenigstens einen Blick auf die Basaltbrocken, den erkalteten Lavastrom und den heiligen Berg werfen."

„Das können wir so machen."

Darum trennten sich jetzt die Wege des Häuptlings und seiner Krieger. Während Letztere zurück zum Dorf ritten und unterwegs jedem Diné von dem guten Verhältnis zwischen ihnen und den neuen Siedlern berichten würden, machte sich Nitsas-Ini mit seiner Frau nach Norden auf.

Schon bald stieß das Paar auf die ersten Bodenveränderungen. Wo vorher Gras und Buschwerk wuchs, war jetzt vermehrt grauer und schwarzer Stein zu sehen. Nur selten sprossen eine verkrüppelte Tanne oder ein wenig Gras aus dem Boden, der rissig und voller Stolperstellen war. Bei einer kleinen Baumgruppe stieg Nitsas-Ini vom Pferd.

„Wir binden die Pferde hier an und laufen lieber. Der Boden ist zu gefährlich für die Pferde, die leicht in eine Spalte treten und sich verletzen könnten."

Gidi nickte, sprang von ihrem Mustang und band diesen an. Hand in Hand ging das Paar nun zu Fuß weiter über den Basaltboden.

Nitsas-Ini hatte Recht, der Boden war nicht nur voller Spalten, Löcher und Basaltbrocken, sondern auch mit Geröll bedeckt. Feiner schwarzer Splitt erschwerte das Gehen. Gidi stolperte öfter und war froh, dass ihr Mann sie festhielt.

Dann blieb Nitsas-Ini stehen, zeigte auf einen der Kegelberge vor ihnen und meinte:

„An dieser Stelle haben Erster Mann und Erste Frau beschlossen, den heiligen Berg am Himmel zu befestigen. Als die Sonne, so wie jetzt auch, die höchste Bergspitze mit ihren Strahlen erreichte, nahm....."

Gidi hatte in die Richtung geschaut, auf die ihr Mann zeigte. Als seine Erzählung von einem kratzenden Geräusch unterbrochen wurde, brauchte sie ein paar Sekunden, um den Blick von der Bergspitze zu lösen.

Dann drehte sie sich zu Nitsas-Ini um – und schaute ins Leere. Da, wo dieser noch vor einem Augenblick gestanden hatte, klaffte ein Loch im Boden.

Entsetzt starrte Gidi auf das Loch, unfähig, auch nur einen klaren Gedanken zu fassen oder eine Handlung auszuführen. Sie wollte an den Rand des Loches stürzen, hinabblicken, ihren Mann rufen, doch vermochte sie nicht den kleinsten Finger zu bewegen.

Dann wich das Entsetzen und machte klaren Gedanken Platz. Sie durfte nicht an den Rand des Loches, welches vielleicht einen Durchmesser von einem Meter hatte und kreisrund war, treten. Sie hatte keine Ahnung, ob der Boden dann nicht auch unter ihr nachgeben und sie in die Tiefe reißen würde. Wenn sie ihrem Mann zu Hilfe eilen wollte, dann nur mit Verstand und gezielten Handlungen.

Gidi legte sie vorsichtig auf den Bauch und kroch langsam zum Rand des Kraters. Schwarzer Sand rieselte noch immer in die Tiefe, doch der Basaltboden rundherum schien stabil zu sein. Vorsichtig blickte sie über den Rand und starrte in die Schwärze.

„Shį?", rief sie den geheimen Namen ihres Mannes.

Rundherum herrschte Stille. Auch aus dem Loch heraus war nichts zu hören. Noch einmal rief Gidi den Namen ihres Mannes – vergeblich.

Verzweiflung wollte sich ihrer bemächtigen, doch sie drängte diese zurück, überlegte, was sie nun machen sollte.

Sie schaute sich um. Ganz in der Nähe wuchs ein kleiner stacheliger Strauch. Langsam stand Gidi nun auf und stakste vorsichtig zu diesem hin. Ob seine Wurzeln ihr Gewicht halten konnte? Dann würde sie zu den Pferden zurückgehen, das Seil holen und versuchen, sich in das Loch hinabzulassen.

Nitsas-IniWo Geschichten leben. Entdecke jetzt