Überraschender Besuch

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Adolf hatte seinen Onkel Ma'iitso, den die Weißen Martin Wolf nannten, besucht und befand sich nun auf dem Rückweg zum Dorf der Diné, in welchem er seit einigen Jahren mit seiner Frau Gah und den Kindern wohnte. Er schien freudig erregt und trieb sein Pferd zur Eile an. Er kam über den Weg der Blumen und hielt bei dem Wachposten am Eingang des Dorfes an.

„Yá'át'ééh", begrüßte er den Krieger, um gleich darauf zu fragen: „Weißt du, wo sich Schi-So aufhält?"

„Schi-So befindet sich bei den Pferden auf der Weide am Zedernwald."

„Danke."

Adolf trieb seinen Mustang wieder an und lenkte ihn in Richtung besagter Weide. Schon vom Weiten sah er den blonden Schopf seines Freundes leuchten und hielt auf ihn zu.

„Schi-So, Schiiiii-Sooooo!", rief er aufgeregt und sprang vom Pferd. Sofort erschien einer der Jungen, der die Pferde betreute und nahm ihm seinen Mustang ab. Schi-So blickte zu seinem Freund und Blutsbruder und kam ihm entgegen. Er machte sich keine Sorgen. Adolf war fast so emotional wie seine eigene Mutter und fand viele Dinge wichtig, die eher nebensächlich waren. Endlich trafen die beiden zusammen.

„Schi-So, kannst du dich noch an meinen Bruder Wolfgang erinnern?"

„Natürlich. Schließlich habe ich fast sechs Jahre bei euch jede Ferien verbracht und deinen Brüdern das Reiten beigebracht", lächelte der blonde Indianer.

„Ich habe einen Brief von ihm erhalten. Er will uns besuchen! Stell dir vor, er hat geheiratet und seine Frau Katrin hat ihn überredet, nach Amerika zu kommen."

„Das freut mich für dich. Wann wollen sie denn losfahren und wann kommen sie ungefähr hier an?"

„Der Brief ist schon einige Wochen alt, er lag bestimmt fast zwei Wochen bei Onkel Martin. So, wie ich das verstanden habe, kommen sie schon die nächsten Tage in Gallup an. Sie wollen auf jeden Fall dorthin telegraphieren, wenn sie die Ankunftszeit kennen."

„Das freut mich für dich. Wollen die beiden bei Ma'iitso wohnen?"

„Wolfgang schreibt, dass er zuerst gern bei mir vorbeischauen möchte. Onkel Martin war ja schon öfter wieder in Deutschland, aber wir haben uns über acht Jahre nicht mehr gesehen."

„Soll ich den Gästehogan für die zwei reservieren? Oder sollen die beiden bei euch übernachten?"

„Die Gästehütte wäre schon gut, bei uns ist es doch ein wenig eng. Und dann sind die beiden frisch verheiratet, sie würden sich bestimmt unwohl bei uns fühlen."

Adolf grinste. Auch er hatte sich erst daran gewöhnen müssen, mit der ganzen Familie in einem Raum zu nächtigen.

„Steht ein genaues Datum im Brief?", fragte Schi-So.

„Nein, sie waren sich nicht sicher, an welchem Tag sie in Hamburg eine Schiffspassage buchen konnten, doch wenn ich mir das früheste Datum ihrer Ankunft ausrechne, könnten sie in drei Tagen in Gallup ankommen."

„Sollen wir ihnen entgegenreiten? Im Moment gibt es nur wenig zu tun im Dorf. Und es wäre bestimmt nicht verkehrt, das mit einem Großeinkauf zu verbinden."

„Ich glaube, das ist eine gute Idee."

Der Ritt nach der Kleinstadt Gallup dauerte erfahrungsgemäß zwei Tage. Darum brachen die beiden Freunde schon am nächsten Tag in der Früh auf, jeder mit einer Einkaufsliste im Gepäck.

Vor einigen Jahren hatten Schi-So und Adolf zusammen Bäume aus den Wäldern der Diné geschlagen und das Holz gewinnbringend verkaufen können. Aus dieser Zeit stammte noch eine beträchtliche Summe, die dem ganzen Dorf zur Verfügung stand. Wann immer ein Großeinkauf geplant war, wurde dieser von dem Geld finanziert. Hauptsächlich benötigten die Diné die Dinge, die sie nicht selbst herstellen konnten, wie Zucker, Salz, Munition für Revolver und Gewehre sowie Papier und Bleistifte für die Schüler.

Nitsas-IniWo Geschichten leben. Entdecke jetzt