Weißt du noch?

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Es war an einer der Abende, die Nitsas-Ini gewöhnlich mit seinen Freunden vor dem Hogan Bee Sids verbrachte und Gidi bei Schi-So und seiner Familie zum Abendessen eingeladen war. Normalerweise ging es dabei sehr lebhaft zu, die Kinder freuten sich immer, ihre Oma zu sehen und nahmen sie ganz in Beschlag.

An diesem Abend aber war Níyol (Wind), die Älteste, mit Adolfs Tochter Łį́į́tsa'iii (Stute) bei deren Schwester She'ashkii (Liebling) eingeladen, die Zwillinge Naaki (Zwei) und Łáa'ii (Eins) durften Nitsas-Ini begleiten und Másí (Kätzchen), die Kleinste, schlief schon den Schlaf der Gerechten. Dafür saß Adolf mit in der Runde. Seine Frau Gah war zu Hause bei ihrer kranken Tochter Chʼó (Fichte) und der Deutsche hatte sich dort zwischen Tees, Räucherschalen und Gesängen überflüssig gefühlt. Nur selten kamen die Erwachsenen in dieser besonderen Konstellation zusammen und nutzten diese nun weidlich aus.

Sie sprachen deutsch miteinander. Anáá', die Frau Schi-Sos, hatte in ihrer Jugend ein Jahr bei einer deutschen Familie verbracht und dort genügend Kenntnisse in der fremden Sprache erworben, um sich, wenn auch mit starkem Akzent und manchmal um Worte ringend, unterhalten zu können. Die zweite Besonderheit lag darin, dass keiner der vier sich scheute, über Verstorbene zu reden.

Die Diné vermieden normalerweise, den Namen eines Toten auszusprechen oder überhaupt über ihn zu reden. Zu groß war die Angst, böse Geister damit anzulocken. Adolf und Gidi respektierten diese Philosophie zwar, doch wenn sie unter sich waren, galt dieses Tabu nicht. Schi-So hatte sich schon vor Jahren dazu entschlossen, der Angst vor dem bösen Geist eines Verstorbenen nicht nachzugeben, und Anáá' kannte als Lakota und getaufte Christin dieses Tabu ohnehin nicht.

„Weißt du eigentlich, Schi-So, wie stolz Papa und ich auf dich sind?"

Verblüfft schaute der blonde Indianer auf seine Mutter.

„Du hattest es von Anfang an viel schwerer als die anderen Kinder hier im Dorf. Du warst ungeschickt und hattest kein Interesse am Führen einer Waffe. Dafür hast du Geschichten gesammelt. Die Alten waren deine Freunde, doch unter den Kindern warst du nicht sehr beliebt. Sie konnten nichts mit dir und du nichts mit ihnen anfangen."

„Ich hatte einen Freund, der, den sie später Khasti-tine nannten."

„Das stimmt. Das hat mich immer gewundert. Khasti-tine war ein hervorragender Krieger, er lernte spielend den Umgang mit allen Waffen und war nicht umsonst einer unserer besten Späher. Ihr wart so gegensätzlich, so verschieden, und doch so gute Freunde."

Gidi schwieg einen Moment in Erinnerung an den tapferen Krieger.

„Aber was ich dir damit sagen wollte: Du musstest dir viele Dinge viel härter erkämpfen als die anderen Jungs. Wenn ich daran denke, was dein Großvater über dein Bogenschießen erzählte....."

„Opa ist an mir verzweifelt. Ich habe diesen Jutesack einfach nicht getroffen."

Kopfschüttelnd erzählte er nun Adolf und Anáá', wie sehr er mit der Handhabung des Bogens gekämpft hatte.

„Da war Só Ndaajeehí ganz anders. Sie war eine Kriegerin durch und durch", nahm Gidi den Faden wieder auf, nachdem Schi-So seine Erklärung beendet hatte.

„Sie führte die Waffen wie jeder gleichaltrige Knabe. Wenn sie nicht – wenn sie nicht in den Canyon gestürzt wäre, dann hätten die Diné heute einen weiblichen Häuptling."

„Só Ndaajeehí war eine Plage! Als Kleinkind lief sie ständig hinter mir her und später versuchte sie mich zu bevormunden. Ich hätte sie nicht zum Häuptling gewählt. Ich sage dir, Anáá'", Schi-So drehte sich zu seiner Frau um,

„wenn meine Schwester Häuptling geworden wäre, bekämen wir Männer jetzt die Kinder und ihr Frauen müsstet in den Krieg ziehen."

Alle lachten.

Nitsas-IniWo Geschichten leben. Entdecke jetzt